Verharmlosung des nationalsozialistischen Völkermords – nicht immer strafbar
Sachverhalt
Der B veröffentlichte auf seiner Homepage einen Text, in dem die Wehrmachtsausstellung, in der u.a. Verbrechen der Wehrmacht dokumentiert werden, scharf kritisiert wird. B wirft den alliierten Siegermächten „Lügenpropaganda“ vor und behauptet, Menschen seien freiwillig mit der SS in Lager gegangen. Holocaust-Überlebenden wirft er vor, mit Vorträgen über den Holocaust Geld zu verdienen, die Widerstandskämpfer und andere Zeugen hätten während der juristischen Aufarbeitung der Nazi-Diktatur – u.a. in den Nürnberger Prozessen – gelogen. B behauptet, historische Wahrheiten – nämlich Zweifel an dem Massenmord in den Konzentrationslagern – würden verfolgt und mit Kerker berstraft.
Das Amtsgericht verurteilte den B daraufhin wegen Volksverletzung gem. § 130 Abs. 3 StGB zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen. Die Berufung des B beim Landgericht sowie die Revision beim Oberlandesgericht blieben erfolglos.
Daraufhin erhebt der B form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde.
Lösung des BVerfG
Zulässigkeit
Für die Verfassungsbeschwerde ist gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 BVerfGG, §§ 13 Nr. 8, 90 ff. BVerfGG das Bundesverfassungsgericht zuständig.
Als natürliche Person ist der B ein „Jedermann“ und somit beschwerdefähig.
Als zulässiger Beschwerdegegenstand kommt nach § 90 BVerfGG grundsätzlich jeder Akt öffentlicher Gewalt in Betracht. Dies ist hier der letztinstanzliche Beschluss des Oberlandesgerichts als Akt der Judikative. Damit handelt es sich um eine Urteilsverfassungsbeschwerde.
Die für die Beschwerdebefugnis gem. § 90 BVerfGG erforderliche mögliche Grundrechtsverletzung ergibt sich daraus, dass eine Verletzung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen ist.
Zudem ist der B von der Entscheidung selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen.
JURIQ-Hinweis:
Dies ist bei Verfassungsbeschwerden gegen Urteile regelmäßig unproblematisch der Fall. Seine eigentlich Bedeutung erhält die Formel „selbst, gegenwärtig und unmittelbar“ betroffen im Zusammenhang mit Rechtssatzverfassungsbeschwerden, also Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze.
Da es sich um eine letztinstanzliche Entscheidung des OLG handelt, ist hier auch die Voraussetzung der Rechtswegerschöpfung gem. § 90 Abs. 2 BVerfGG erfüllt.
JURIQ-Hinweis:
Dieser Fall ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass nicht nur Entscheidungen der obersten Bundesgerichte (BGH, BVerwG etc.) letztinstanzlich i.S.d. § 93 BVerfGG sein können.
Es gibt hier auch keine anderen Rechtsschutzmöglichkeiten des B gegenüber denen die Verfassungsbeschwerde subsidiär wäre.
Schließlich hat B laut Sachverhalt form- und fristgerecht seine Verfassungsbeschwerde eingereicht, also gem. § 23 BVerfGG schriftlich und begründet und innerhalb der Monatsfrist nach Zustellung der letztinstanzlichen Entscheidung gem. § 93 Abs. 1 BVerfGG.
Begründetheit
Die Verfassungsbeschwerde des B ist begründet, wenn er durch die Entscheidung des OLG in einem seiner Grundrechte verletzt ist.
Hier kommt eine Verletzung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG in Betracht. Als Jedermanns-Grundrecht ist der persönliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit unproblematisch eröffnet. Der sachliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst alle Äußerungen, die durch Wertungen und Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind
Das BVerfG stellt hier fest, dass auch die Äußerungen des B vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst sind:
„Neben Meinungen sind vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG auch Tatsachenmitteilungen umfasst, da und soweit sie als Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind bzw. sein können. Nicht mehr in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG fallen hingegen bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen, da sie zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung nichts beitragen können. Die Äußerungen des B unterfallen als mit diffusen Tatsachenbehauptungen vermischte Werturteile dem Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit.“
Eingriff
Unproblematisch ist in der strafgerichtlichen Verurteilung ein Eingriff in die Meinungsfreiheit zu sehen.
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Der Eingriff könnte aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.
Die Schranken der Meinungsfreiheit ergeben sich nach Art. 5 Abs. 2 GG aus den allgemeinen Gesetzen sowie den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Von besonderer Bedeutung bei dieser „Schrankentrias“ sind die allgemeinen Gesetze. Allgemeine Gesetze sind Gesetze, die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen. Dies ist im Hinblick auf die Vorschrift des § 130 Abs. 3 StGB zumindest zweifelhaft, weil dadurch gerade – und nur – eine Leugnung oder Verharmlosung von unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene völkerstrafrechtliche Verbrechen, Völkermord, unter Strafe gestellt wird.
Allerdings erkennt das BVerfG hinsichtlich des formellen Elements der „Allgemeinheit“ des einschränkenden Gesetzes eine Ausnahme an:
„§ 130 StGB ist auch als nichtallgemeines Gesetz mit Art. 5 Abs. 1 und 2 GG vereinbar. Angesichts des sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und des Schreckens, die die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat, und der als Gegenentwurf hierzu verstandenen Entstehung der Bundesrepublik Deutschland ist Art. 5 Abs. 1 und 2 GG für Bestimmungen, die der propagandistischen Gutheißung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft Grenzen setzen, eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze immanent.“
Daher ist § 130 Abs. 3 StGB materiell verfassungsgemäß.
Fraglich ist aber, ob in der konkreten Gerichtsentscheidung bei der Anwendung und Auslegung des § 130 StGB als Schranke der freien Meinungsäußerung die verfassungsrechtlichen Anforderungen gewahrt sind.
Hier stellt das BVerfG zunächst die allgemeinen Anforderungen an die Anwendung und Auslegung meinungsbeschränkender Gesetze dar, die sich in der Rechtsprechung der vergangenen Jahrzehnte zu Art. 5 Abs. 1 GG herausgebildet haben und mit dem Begriff „Wechselwirkungs-Lehre“ auf den Punkt gebracht wird und erklärt die Bedeutung für den konkreten Fall:
„Das Grundgesetz kennt kein allgemeines Grundprinzip, das ein Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts erlaubt. Vielmehr gewährleistet Art. 5 Abs. 1 und 2 GG die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ihrer Richtigkeit und Gefährlichkeit. Art. 5 Abs. 2 GG ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-Richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen umschlagen. Dies ist der Fall, wenn sie den öffentlichen Frieden gefährden und so den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren“.
Im konkreten Fall sieht das BVerfG diese Schwelle noch nicht überschritten. Es seien keine ausreichenden Hinweise erkennbar, dass die Äußerungen des B geeignet waren, den öffentlichen Frieden zu stören. Dieser müsse verfassungskonform eng ausgelegt werden:
„Nicht tragfähig ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ ist ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien“.
Die Schwelle zur Strafbarkeit sei erst überschritten, wenn die Äußerungen verbunden sind mit Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können.
Dafür gebe es aber im konkreten Falle keine ausreichenden Hinweise. Daher hält das BVerfG die Entscheidung des OLG für verfassungswidrig und hebt sie auf. Im Ergebnis ist die Verfassungsbeschwerde des B zulässig und begründet.
Weiterführende Hinweise
Die Entscheidung des BVerfG führt zu den Grenzen der Meinungsfreiheit und behandelt rechtlich und auch politisch sensible Fragen.
Ausdrücklich betont das BVerfG, dass der Schutz solcher Äußerungen durch die Meinungsfreiheit diese inhaltlich akzeptabel werden lässt und sie mit Gleichgültigkeit in der öffentlichen Diskussion aufzunehmen seien. Die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes setzt darauf, dass solchen Äußerungen, die für eine demokratische Öffentlichkeit schwer erträglich sein können, grundsätzlich nicht durch Verbote, sondern in der öffentlichen Auseinandersetzung entgegengetreten wird.
Wie schwierig es zu bestimmen ist, wann die Grenze zur Unfriedlichkeit überschritten und damit auch strafrechtliche Sanktionen nach § 130 Abs. 3 StGB verfassungsgemäß sind, zeigt eine weitere Entscheidung des BVerfG vom selben Tage. Dabei geht es um Äußerungen, mit denen die massenhafte Tötung von (u.a.) Menschen jüdischen Glaubens bestritten und insbesondere die Massenvergasungen in dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau geleugnet werden. Die gegen diese strafrechtliche Verurteilung gerichtete Verfassungsbeschwerde blieb ohne Erfolg. Hier sah das BVerfG die Gefahr, dass derartige Äußerungen die politische Auseinandersetzung ins Feindselige und Unfriedliche umschlagen lassen und dadurch gezielt und bewusst Stimmung gegen die jüdische Bevölkerung gemacht wird.