A Sachverhalt (vereinfacht):
Die Klägerin (K) nimmt den Beklagten (B) wegen eines Wasserschadens in Anspruch, der an ihrem Haus entstanden ist.
Während eines Kuraufenthalts der K übernahm es der B, deren Haus zu versorgen und den Garten zu bewässern. Am 29. Juni 2011 bewässerte der B den Nachbargarten mit einem an eine Außenzapfstelle des Hauses montierten Wasserschlauch. Anschließend drehte er die am Schlauch befindliche Spritze zu, stellte aber nicht die Wasserzufuhr zum Schlauch ab. In der Nacht löste sich der weiter unter Wasserdruck stehende Schlauch aus der Spritze.
In der Folge trat aus dem Schlauch eine erhebliche Menge Leitungswasser aus, lief in das Gebäude der K und führte zu Beschädigungen im Untergeschoss. K ließ die Schäden reparieren, die Fachfirma stellte 11.000€ in Rechnung.
Der B ist für Schäden bei Nachbarschaftshilfe und Gefälligkeitshandlungen privat haftpflichtversichert. K meint, der B habe grob fahrlässig gehandelt als er den Wasserhahn nicht wieder verschlossen habe. Er hafte zudem auch bei einfacher Fahrlässigkeit, da von einer Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit nicht auszugehen sei.
Welche Anspruchsgrundlagen kommen in Betracht und welcher Haftungsmaßstab ist anzulegen?
B Lösung:
I §§ 280 I, 611 I?
K könnte gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Pflichtverletzung haben. Anknüpfungspunkt könnte ein zwischen den Parteien geschlossener Dienstvertrag sein. Unabhängig von der genauen Einordnung des Vertrags ist vorliegend das Zustandekommen einer vertraglichen Bindung fraglich. Insbesondere gilt es hier zur sogenannten Gefälligkeit abzugrenzen.
Das reine Gefälligkeitsverhältnis zeichnet sich gerade durch den fehlenden Rechtsbindungswillen aus. Liegt ein reines Gefälligkeitsverhältnis vor, so kommen nur deliktische Ansprüche in Betracht.
Ob ein Rechtsbindungswille im vorliegenden Einzelfall angenommen werden kann, muss anhand umfassender Würdigung des Einzelfalls erfolgen. Die bloße Unentgeltlichkeit der Tätigkeit reicht für sich genommen nicht aus eine reine Gefälligkeit anzunehmen. In Zusammenschau mit den weiteren Umständen – namentlich der nachbarschaftlichen Verbindung, den fehlenden besonderen wirtschaftlichen und tatsächlichen Interessen und der Art der Tätigkeit - ist vorliegend nicht davon auszugehen, dass die Parteien klagbare Ansprüche begründen wollten. Für dieses Ergebnis streitet auch der Gedanke, dass das mit der Tätigkeit übernommene vertragliche Haftungsrisiko nicht vom B getragen werden sollte.
Hinweis
Eine andere Lösung wäre insbesondere dann naheliegend, wenn der Sachverhalt vorgeben würde, dass der Garten besonders wertvolle Pflanzen etc. enthielt und es dem Nachbarn erkennbar darauf ankam, dass diese seine Kur sicher und unbeschadet überstehen.
Vertragliche Ansprüche kommen im vorliegenden Fall daher nicht in Betracht.
Hinweis
In der Klausur darf noch die culpa in contrahendo angesprochen werden. Hier kann insbesondere erörtert werden, ob ein Schuldverhältnis ohne Primärpflichten bestehen kann und im vorliegenden Fall auch angenommen werden kann. Dies ist streitig und wurde von der Rechtsprechung bisher noch nicht abschließend entschieden.
II § 823 I
Bei dem in Betracht kommenden deliktischen Anspruch liegen die Voraussetzungen recht unproblematisch vor. Fraglich ist jedoch welcher Haftungsmaßstab anzulegen ist. Wie sich aus § 823 Abs. 1 selbst ergibt, muss der Schuldner grundsätzlich für Vorsatz und Fahrlässigkeit haften. Fraglich ist, ob aufgrund des oben angenommenen reinen Gefälligkeitsverhältnisses eine Haftungsprivilegierung angenommen werden kann.
1 (Analoge) Anwendung der §§ 521, 599, 690
Die Anwendung der Vorschriften wird von der Rechtsprechung grundsätzlich abgelehnt.
Dagegen spricht neben den grundsätzlichen Bedenken, dass es an einer echten Anspruchskonkurrenz zwischen deliktischen und vertraglichen Ansprüchen fehlt (vgl. hierzu Senatsurteil vom 9. Juni 1992 - VI ZR 49/91, aaO, 1147), schon die Tatsache, dass es für den ebenfalls unentgeltlichen Auftrag als vertragliche Entsprechung zur Hilfe unter Nachbarn eine gesetzliche Haftungsbeschränkung nicht gibt.
2 Ergänzende Vertragsauslegung
Fraglich ist, ob der Abrede der Parteien im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung entnommen werden kann, dass eine Haftung für einfache Fahrlässigkeit nicht bestehen soll.
a) Grundsatz
Die Rechtsprechung vertritt hier im Grundsatz die Ansicht, dass aus dem bloßen Bestehen einer reinen Gefälligkeit nicht der Schluss gezogen werden kann, dass auf deliktische Schadensersatzansprüche – sei dies auch nur teilweise – verzichtet werden soll.
b) Ausnahme
Ausnahmsweise kann eine derartige Auslegung jedoch dann erfolgen, wenn die Grundsätze von Treu und Glauben dies gebieten. Hierfür sind jedoch besondere Umstände notwendig. Dies liegt insbesondere daran, dass die ergänzende Vertragsauslegung eine künstliche Rechtskonstruktion aufgrund einer Willensfiktion darstellt, da sie von einem Haftungsverzicht ausgeht, an denen beim Abschluss der Abrede niemand gedacht hat! Für die Annahme einer solchen Ausnahme reicht eine enge persönliche Beziehung zwischen den Parteien jedoch nicht aus.
Hätte sich der Vertragspartner bei Erörterung der Sachlage einer Haftungsminderung nicht verschließen dürfen?
Voraussetzung ist grundsätzlich, dass der Schädiger, wäre die Rechtslage vorher zur Sprache gekommen, einen Haftungsverzicht gefordert und sich der Geschädigte dem ausdrücklichen Ansinnen einer solchen Abmachung billigerweise nicht hätte versagen dürfen (Senatsurteil vom 10. Februar 2009 - VI ZR 28/08, aaO, Rn. 16 mwN; vom 18. Dezember 1979 - VI ZR 52/78, VersR 1980, 426, 427; vom 14. November 1978 - VI ZR 178/77, VersR 1979, 136, 137).
Eine solche Sachlage kann jedoch regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der Schädiger über eine entsprechende Haftpflichtversicherung verfügt. Die Haftungsbeschränkung soll gerade den Schädiger und nicht den Haftpflichtversicherer entlasten.
Erforderlich ist vielmehr grundsätzlich, dass der Schädiger keinen Haftpflichtversicherungsschutz genießt, für ihn ein nicht hinzunehmendes Haftungsrisiko bestehen würde und darüber hinaus besondere Umstände vorliegen, die im konkreten Fall einen Haftungsverzicht als besonders nahe liegend erscheinen lassen.
Da im vorliegenden Fall keine weiteren Umstände ersichtlich sind, ist eine Ausnahme vom Grundsatz nicht anzunehmen. B haftet demnach bereits für einfache Fahrlässigkeit.
Hinweis
Auch wenn K über eine Gebäudeversicherung verfügen würde, welche den vorliegenden Schaden decken würde, wäre kein anderes Ergebnis anzunehmen. Die Haftungsprivilegierung soll auch nicht zu Lasten der Gebäudeversicherung gehen, wenn keine Ausnahme im oben genannten Sinne vorliegt.
Hinweis
Da vorliegend bloß eine Rechnung der Firma vorliegt und noch nicht gezahlt wurde, müsste in der Klausur ein Freistellungsanspruch geprüft werden.