Tatbestand:
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen Verletzung von Pflichten aus einem tierärztlichen Behandlungsvertrag in Anspruch.
Die Klägerin war Eigentümerin eines Hengstes. Am 8. Juli 2010 stellte sie das Pferd dem beklagten Tierarzt zur Behandlung vor, nachdem sie an der Innenseite des rechten hinteren Beines eine Verletzung festgestellt hatte. Sie teilte ihm mit, dass ihr Pferd durch einen Schlag einer anderen Stute verletzt wurde.
Der Beklagte hat auf eine Lahmheits- und Röntgenuntersuchung des Pferdes verzichtet, die Klägerin wurde zudem nicht auf die Möglichkeit einer bestehenden Fissur hingewiesen.
Der Beklagte verschloss die Wunde und gab die Anweisung, das Pferd müsse zwei Tage geschont werden, könne dann aber wieder geritten werden, soweit keine Schwellung im Wundbereich eintrete.
Am 11. Juli 2010 wurde das Pferd zum Beritt abgeholt. Dabei ergaben sich leichte Taktunreinheiten im Bereich des verletzten Beines, so dass das Reiten eingestellt wurde. Am 14. Juli 2010 wurde eine Fraktur der Tibia hinten rechts diagnostiziert. Die Operation der Fraktur gelang nicht, das Pferd wurde euthanasiert.
Die Klägerin behauptet, der Schlag der Stute habe nicht nur zur Verletzung der Haut, sondern auch zu einer Fissur des darunterliegenden Knochens geführt. Die Fissur habe sich innerhalb der folgenden Tage zu der am 14. Juli 2010 diagnostizierten Fraktur entwickelt. Dabei hätte die Fissur erkannt werden können.
Kann die Klägerin Schadensersatz in Höhe des objektiven Wertes des Pferdes verlangen?
I. §§ 280 I, 611
Expertentipp
Gehen sie jede Prüfung unter Heranziehung des sogenannten Anspruchsaufbaus an.
1.Schuldverhältnis
Das Schuldverhältnis ist in dem am 8. Juli 2010 geschlossenen Behandlungsvertrag zu sehen. Der Behandlungsvertrag stellt eine Unterform des Dienstvertrags gemäß § 611 dar.
2. Pflicht
Der Behandlungsvertrag in Form eines Dienstvertrags ist naturgemäß nicht erfolgsbezogen. Jedoch wird beim Behandlungsvertrag eine Behandlung nach den Regeln der tierärztlichen Kunst geschuldet.
Expertentipp
Trennen sie vorzugsweise in der Klausur die Pflicht von der Pflichtverletzung. Dies erleichtert ihnen insbesondere dann die Prüfung, wenn mehrere Pflichten verletzt sein könnten. So typischerweise beim Kaufvertrag (mangelhafte Leistung/Nichtvornahme der Nacherfüllung).
3. Pflichtverletzung
Fraglich ist, ob im vorliegenden Fall die Regeln der tierärztlichen Kunst eingehalten wurden. Die Versorgung der Wunde erfolgte dem Grunde nach ordnungsgemäß, sodass hierin ein Verstoß gegen die oben genannte Pflicht nicht gesehen werden kann.
Fraglich ist, ob der Tierarzt nach den Regeln der tierärztlichen Kunst gehalten gewesen wäre eine weitere Abklärung vorzunehmen. Nachdem dem Tierarzt mitgeteilt wurde, dass die Wunde auf dem Tritt eines anderen Pferdes beruhte, war dem Tierarzt zumindest bekannt, dass eine stumpfe Einwirkung auf die verletzte Stelle stattgefunden hat.
Daher ließe sich vertreten, dass eine weitergehende Abklärung notwendig gewesen wäre, um auszuschließen, dass keine Fissur vorliegt, welche ein zeitnahes Bereiten des Pferdes verbietet.
Auch bei Absehen von einer solchen Diagnostik wäre aufgrund der mit einer möglichen Fissur in Zusammenhang stehenden erheblichen Folgegefahren zumindest ein Hinweis geschuldet wie das Tier in den Folgetagen gehalten werden muss, um einer solchen (zumindest abstrakt bestehenden) Gefahr vorzubeugen.
4. Vertretenmüssen
Das Vertretenmüssen wird gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 vermutet. Eine Exkulpation durch den Tierarzt ist nicht ersichtlich.
5. Schaden
Da das Tier eingeschläfert werden musste ist, ein Schaden entstanden. Aufgrund des individuellen Charakters eines Pferdes ist davon auszugehen, dass die Beschaffung eines vergleichbaren Pferdes nicht möglich ist. Der Schaden wäre daher gemäß § 251 Abs. 1 ersatzfähig.
6. Haftungsausfüllende Kausalität
Fraglich ist, ob der Schaden, welcher durch die Tötung eingetreten ist, auf den Behandlungsfehler des Tierarztes zurückzuführen ist.
Nach der Äquivalenztheorie dürfte der Behandlungsfehler nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.
Ein eindeutiger Nachweis dieser Äquivalenz ist vorliegend nicht möglich. Fraglich ist zu wessen Lasten (Beweislast) sich die fehlende Aufklärbarkeit des Ursachenzusammenhangs auswirkt.
Grundsätzlich hat jede Partei die ihr günstigen Umstände zu beweisen.
Im Rahmen der humanmedizinischen Behandlung wird bei groben Behandlungsfehlern die Beweislast umgedreht. Dies gilt auch für Befunderhebungsfehler, wenn bereits die Unterlassung einer derartigen Erhebung als grober ärztlicher Fehler einzustufen ist. Diese zunächst in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze haben mittlerweile in § 630h Abs. 5 ihren Niederschlag gefunden.
Vorliegend ist zu klären, ob diese Grundsätze auch auf den tierärztlichen Behandlungsvertrag übertragen werden können. Hierfür müsste zunächst ein grober Behandlungsfehler vorliegen. Eine erweiterte Diagnostik bzw. eine Aufklärung über die möglichen Gefahren der Verletzung sind derart nahe liegend, dass von einem groben Behandlungsfehler ausgegangen werden kann.
Auch ist der Behandlungsfehler dem Grunde nach geeignet den tatsächlich eingetretenen Schaden zu bewirken.
Die beweisrechtlichen Konsequenzen im Rahmen der humanmedizinischen Behandlung (siehe oben) knüpfen daran an, dass die nachträgliche Aufklärbarkeit des tatsächlichen Behandlungsgeschehens wegen des besonderen Gewichts des Behandlungsfehlers und seiner Bedeutung in einer Weise erschwert ist, dass der Arzt nach Treu und Glauben dem Patienten den vollen Kausalitätsnachweis nicht zumuten kann. Die Beweislastumkehr bietet insoweit einen Ausgleich dafür, dass die Vielfalt der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen wegen der elementaren Bedeutung des Fehlers besonders verbreitert oder verschoben worden ist.
Gegen eine Übertragung der Grundsätze aus dem humanmedizinischen Bereich spricht die Verschiedenheit der tierärztlichen Behandlung zu humanmedizinischen. Anders als beim Menschen kann ein Tierarzt den „Patienten“ nicht über Vorerkrankungen und den Verletzungsverlauf befragen, zudem können die Haltungsbedingungen oder das nur bedingt kontrollierbare Verhalten des Tieres den Erfolg der Behandlungsmaßnahmen erheblich erschweren. Auch wird die Behandlung im Gegensatz zur Humanmedizin wesentlich mehr von wirtschaftlichen Erwägungen dominiert. Nach einer Ansicht sollen diese Unterschiede eine generelle Übertragung der oben genannten Grundsätze verbieten.
Der BGH und Stimmen in der Literatur sprechen sich für eine Übertragung auf die tierärztliche Behandlung aus. Der BGH lässt im Ergebnis offen, ob eine analoge Anwendung von § 630h Abs. 5 erfolgen soll oder die Beweislastumkehr aufgrund der früheren Rechtsprechungsgrundsätze anzunehmen ist. Die Beweisnot auf Seiten des Geschädigten wird beim tierärztlichen Behandlungsvertrag ebenso vertieft wie beim humanmedizinischen. Die unterschiedlichen wirtschaftlichen Erwägungen beider Disziplinen sind für die vorliegende Fragestellung nicht relevant. Vielmehr führt ein Behandlungsfehler dazu, dass eine im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitspostulat vorzunehmende Abwägung gar nicht stattfinden kann, wenn die Risiken nicht zutreffend dargelegt werden. Auch spricht die Tatsache nicht entgegen, dass die §§ 630a ff. nur den humanmedizinischen Vertrag regeln. In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Tätigkeit des Tierarztes und des Humanmediziners vergleichbar sei. Beide beschäftigen sich mit der Heilung eines lebenden Organismus. Dem Gesetz ist daher kein Verbot zu entnehmen diese Grundsätze zu übertragen. Der Gesetzgeber weist in der Begründung ausdrücklich darauf hin, dass die Rechtsprechung nicht gehindert sei, an den zur Humanmedizin entwickelten Grundsätzen zur Beweislastverteilung auch im Hinblick auf die Tiermedizin festzuhalten.
7. Ergebnis
Daher kann vermutet werden, dass die Fissur bereits zum Zeitpunkt der unterbliebenen Behandlungsmaßnahmen und der unzureichenden Aufklärung vorhanden war und bei ordnungsgemäßer Behandlung keine Folgeerkrankung mit tödlichem Ausgang stattgefunden hätte.
Der Schadensersatz kann daher in voller Höhe geltend gemacht werden.
II. § 823 I
1. Rechtsgut
Tiere sind gemäß § 90a rechtlich den Sachen gleichgestellt. Demnach ist das Eigentum des Klägers verletzt worden.
2. Verletzungshandlung
Die Verletzungshandlung könnte vorliegend im Unterlassen liegen. Wie oben dargelegt wäre aufgrund der beruflichen Verpflichtung eine weitergehende Untersuchung bzw. Aufklärung notwendig gewesen. Demnach lag pflichtwidriges Unterlassen vor.
3. Haftungsbegründende Kausalität
Die Beweislast ist mit der oben angeführten Argumentation auf Seiten des Beklagten. Demnach kann die haftungsbegründende Kausalität angenommen werden.
4. Rechtswidrigkeit
Die Rechtswidrigkeit folgt vorliegend aus der Pflichtwidrigkeit der Unterlassungshandlung.
5. Verschulden
Der Schuldner hat gemäß § 823 Abs. 1 für Vorsatz und Fahrlässigkeit einzustehen. Wie bereits festgestellt ist die Nichtvornahme kunstgerechter Handlungen im vorliegenden Fall grob fahrlässig gewesen.
6. Ergebnis
Der Kläger kann auch gemäß § 823 Abs. 1 in Verbindung mit § 251 Abs. 1 Ersatz des objektiven Zeitwerts verlangen.