Der BGH (NJW 2017, 1763) hat sich anlässlich folgenden Sachverhalts darüber Gedanken gemacht:
Zwischen T und dem späteren Tatopfer O kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Auseinandersetzungen, da O der Freundin des T nachstellte. Am Tattag beleidigte O den T und schlug ihn mit der Hand ins Gesicht. T ergriff daraufhin eine Fernbedienung und schlug damit so hart auf O ein, dass dieser einen Bruch des Oberkiefers erlitt und 2 Zähne verlor. Als O sich nun entfernte, ergriff T ein Küchenmesser und schlug damit mehrmals mit Körperverletzungsvorsatz in Richtung Kopf und Hals des O. O versuchte, diesen Angriff mit den Händen abzuwehren, erlitt dabei aber erhebliche Schnittverletzungen an der linken Hand, so u.a. eine Durchtrennung aller Beugesehnen und Nerven von 4 Fingern. Infolge der Verletzung kann O seine Faust nicht mehr schließen und die Finger nicht mehr strecken. Auch leidet er unter heftigen Schmerzen, so dass die Hand in erheblichem Maße gebrauchsunfähig ist. Diese Einschränkung ist allerdings auch darauf zurückzuführen, dass O die angebotene medizinische Nachbehandlung verweigerte.
T hat sich zunächst bezüglich des Zuschlagens mit der Fernbedienung einer gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 StGB strafbar gemacht. Die Fernbedienung stellt in der konkreten Art der Verwendung – Schlagen gegen das Gesicht – ein gefährliches Werkzeug dar.
Des Weiteren könnte er sich auch durch das Schlagen mit dem Messer gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 StGB strafbar gemacht haben.
Die Verletzungen an der Hand stellen sowohl eine körperliche Misshandlung als auch eine Gesundheitsschädigung dar. Diese sind auch kausal auf das Schlagen zurückzuführen. Fraglich ist, ob die Verletzungen dem T auch objektiv zurechenbar sind, sind sie doch erst durch das Abwehrverhalten des O entstanden. Allerdings liegt in dem Zuschlagen mit dem Messer das Risiko, dass das Opfer den Angriff (§ 32 StGB) abwehrt, so dass die Handlung des Opfers keine eigenverantwortliche, von der Handlung des T losgelöste Selbstgefährdung ist. Die objektive Zurechnung ist damit zu bejahen.
Auch stellt das Messer ein gefährliches Werkzeug gem. § 224 I Nr. 2 StGB dar.
Subjektiv müsste T vorsätzlich gehandelt haben, wobei dolus eventualis ausreicht. Nach h.M. setzt das voraus, dass der Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts kennt und diese billigend in Kauf nimmt. In Anbetracht der Gefährlichkeit der Handlung muss davon ausgegangen werden, dass T mit einer Abwehrreaktion des O, der sich in einer Notwehrlage befand, rechnete und dementsprechend auch mit der Möglichkeit einer Verletzung an der Hand. Das vorangegangene Verhalten des T hat gezeigt, dass er eine niedrige Hemmschwelle zum Begehen von Körperverletzungen hat, so dass auch angenommen werden kann, dass ihm mögliche Verletzungen jedenfalls egal waren, so dass dolus eventualis bzgl. der Schnittverletzungen an der Hand bejaht werden kann.
Kommen wir damit zu den Voraussetzungen des § 226 I Nr. 2 StGB. Abs. 1 ist eine Erfolgsqualifikation, so dass der Täter bezüglich der Folgen, hier: Gebrauchsunfähigkeit der Hand, gem. § 18 StGB nur fahrlässig handeln muss.
Hinweis
Im Gegensatz dazu ist Abs. 2 eine Qualifikation, da der Täter hier zumindest mit sicherem Wissen = dolus directus 2. Grades handeln muss. Handelt ein Täter mit dolus eventualis, dann ist ebenfalls Abs. 1 einschlägig, da sich aus § 18 StGB ergibt, dass der Täter „wenigstens“ fahrlässig handeln muss.
Die Voraussetzungen der Erfolgsqualifikation sind folgende:
- Eintritt der Folge
- Kausalität zwischen Grunddelikt und Folge
- Gefahrspezifischer Zurechnungszusammenhang
- Wenigstens Fahrlässigkeit gem. § 18 StGB
Die ersten beiden Prüfungspunkte sind hier unproblematisch. Problematisch könnte allerdings der Zurechnungszusammenhang sein.
Der Täter hat zwar mit den Schlägen ein rechtlich relevantes Risiko geschaffen, welches sich, wie bereits festgestellt, auch nicht atypisch in den Abwehrverletzungen des O realisiert hat. Fraglich ist aber, wie es sich auswirkt, dass O die nachfolgende Behandlung verweigert hat. Die dauernde Gebrauchsuntauglichkeit der Hand ist also auch auf ein eigenes Verhalten des O zurückzuführen. Darin könnte eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs liegen mit der Folge, dass eine Strafbarkeit gem. § 226 I Nr. 2 nicht in Betracht käme.
In der Lit. wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Dauerhaftigkeit der Folge (auch bei Nr. 3 relevant bzgl. einer Entstellung) dem Täter nicht zugerechnet werden könne, wenn das Opfer körperlich und finanziell zumutbare Behandlungen verweigere, die zu einer Besserung geführt hätten (Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 226 Rn. 5). Demnach hätte sich T nicht gem. § 226 I Nr. 2 StGB strafbar gemacht.
Das Problem dieser Auffassung ist die Bestimmung der Zumutbarkeit. Insbesondere unter Hinweis auf dieses Problem bejaht der BGH den Zurechnungszusammenhang:
„Die erhöhte Strafdrohung des § 226 StGB ist an das Ausmaß der vom Täter schuldhaft hervorgerufenen Rechtsgutsverletzung geknüpft…. Dass der Verletzte eine medizinische Behandlung zur Beseitigung oder Abmilderung der eingetretenen Beeinträchtigungen unterlässt, kann nicht dazu führen, diese vom Täter herbeigeführte gravierende Folge als Gradmesser seiner Strafwürdigkeit auszugrenzen (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 1962 – 4 StR 536/61, aaO). Das im Anwendungsbereich des § 226 StGB ohnehin stets außerordentlich schwer getroffene Opfer wird – hier nicht gegebene extrem gelagerte Konstellationen etwa der Böswilligkeit ausgenommen – in aller Regel aus Tätersicht nicht zu hinterfragende Gründe haben, weitere Behandlungen nicht auf sich zu nehmen, selbst wenn diese nach ärztlicher Beurteilung sinnvoll wären. Zu nennen ist insbesondere die Furcht vor den mit jeder (Folge-)Operation verbundenen Risiken und Leiden oder auch nur vor schmerzhaften Nachbehandlungen. Es würde jeglichem Gerechtigkeitsempfinden widersprechen, über den Gedanken der Zurechnung eine Art Obliegenheit des Opfers zu konstruieren, sich ungeachtet dessen aus übergeordneter Sicht „zumutbaren“ (Folge-)Operationen und anderen beschwerlichen Heilmaßnahmen zu unterziehen, um dem Täter eine höhere Strafe zu ersparen (vgl. auch BGH, aaO; RGSt 27, 80). Darüber hinaus würde dem irreversibel geschädigten Opfer gegebenenfalls durch Gerichtsurteil bescheinigt, es sei gar nicht auf Dauer beeinträchtigt (vgl. Stree/Sternberg-Lieben, aaO, § 226 Rn. 1a). Hinzu kommt, dass die durch das Schrifttum angeführten Kriterien für die anzustellende wertende Betrachtung „vage“ sind (in diesem Sinne auch MüKo-StGB/Hardtung, aaO). Dementsprechend ist kein überzeugender rechtlicher Maßstab vorhanden, anhand dessen Risiken und Qualen sowie sonstige Beschwerlichkeiten gewichtet und dem Opfer dann „zugemutet“ werden könnten. Es kann in diesem Rahmen auch nicht Aufgabe der Strafjustiz sein, die ihrerseits zumeist durch viele Faktoren bedingten Motive zu bewerten, die ein Opfer von der Durchführung einer weiteren medizinischen Behandlung abgehalten haben. Der Senat hatte mehrfach über Fälle zu entscheiden, in denen Schwerstverletzte im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits eine Vielzahl von Operationen über sich hatten ergehen lassen müssen. Es ist nicht ersichtlich, wie mithilfe des Kriteriums der „Zumutbarkeit“ entschieden werden könnte, ob dem hiervon erschöpften Opfer noch eine weitere Operation aufzugeben gewesen wäre, weil sie dessen Zustand nach sachverständiger Beurteilung so weit verbessert hätte, dass der von § 226 Abs. 1 StGB geforderte Schweregrad gerade nicht mehr erreicht wäre. Stellt man im Rahmen der Zumutbarkeitsbetrachtung ferner auf die Finanzierbarkeit der dem Opfer angesonnenen Behandlungen ab und gibt ihm insoweit gar eine „vernünftige“ Verwendung etwa vorhandener eigener Mittel vor (so MüKo-StGB/Hardtung, aaO), wäre die Entscheidung endgültig dem Zufall preisgegeben (vgl. auch BGH, Urteil vom 2. März 1962 – 4 StR 536/61, aaO). Die im Schrifttum befürwortete Anschauung ist danach geeignet, die Bestimmtheit der Strafdrohung (Art. 103 Abs. 2 GG, §§ 1, 2 StGB) durchgreifend in Frage zu stellen.“
T hätte sich damit auch gem. § 226 I Nr. 2 StGB strafbar gemacht. Neben dem § 224 I Nr. 2 stünde er aus Klarstellungsgründen in Tateinheit, da die Gebrauchsunfähigkeit nicht regelmäßig durch ein gefährliches Werkzeug hervorgerufen wird. Aufgrund der vorangegangenen Provokation des O gegenüber dem T könnte ein minder schwerer Fall gem. § 226 III StGB angenommen werden. Allerdings ist zu beachten, dass die eigentliche Provokation bereits abgeschlossen war und T darauf bereits mit dem Zuschlagen mit der Fernbedienung reagiert hatte. Zum Zeitpunkt des Schlagens mit dem Messer hatte sich O bereits abgewendet.