A Sachverhalt (leicht vereinfacht):
Der Kläger ist Eigentümer und Halter eines Motorrads, einer Honda CBF 1000, das nicht ganzjährig, sondern in der Zeit von März bis Ende Oktober zugelassen ist. Der Kläger nutzt das Motorrad nur bei gutem Wetter und fährt ansonsten mit der Bahn.
Am 5. September 2014 stieß der Beklagte das Motorrad aus Unachtsamkeit um, so dass dieses erheblich beschädigt wurde; für den Schaden ist der Beklagte dem Grunde nach voll einstandspflichtig.
Der Kläger konnte sein einziges Fahrzeug wegen Begutachtung und Reparatur im Zeitraum vom 5. September 2014 bis 14. Oktober 2014 (= 40 Tage) nicht nutzen. Hierfür begehrt der Kläger vollständigen Ersatz. Im streitgegenständlichen Zeitraum hat es nachweislich 10 Tage stark und durchgehend geregnet.
Hat der Kläger einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung in angemessener Höhe für den gesamten Zeitraum?
Bearbeitervermerk:
Es ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen von § 823 I dem Grunde nach vorliegen. Die Nutzungsausfallentschädigung ist mit 45€ pro Tag anzusetzen.
B Leitsätze:
„Der vorübergehende Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines Motorrads, das dem Geschädigten als einziges Kraftfahrzeug zur Verfügung steht und nicht reinen Freizeitzwecken dient, stellt einen Vermögensschaden dar und kann einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung begründen.
Der Umstand, dass der Geschädigte das Motorrad nur bei günstigen Witterungsbedingungen nutzt, spielt erst im Rahmen der konkreten Schadensbetrachtung bei der Frage eine Rolle, ob der Geschädigte - auch im Hinblick auf die Wetterlage - zur Nutzung willens und in der Lage war.“
C Lösung:
I Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 1
1 Voraussetzungen
Die Voraussetzungen von § 823 Abs. 1 liegen laut Bearbeitervermerk dem Grunde nach vor.
2 Ersatzfähigkeit des Schadens.
Fraglich ist, ob der begehrte Nutzungsausfallschaden für die gesamte Zeit gefordert werden kann.
Grundsätzlich sind nur Vermögensschäden ersatzfähig. Fraglich ist, ob der Nutzungsausfallschaden als Vermögensschaden eingestuft werden kann.
„Ersatz für den Ausfall der Nutzungsmöglichkeit eines Wirtschaftsguts kommt nur für einen der vermögensmehrenden, erwerbswirtschaftlichen Verwendung vergleichbaren eigenwirtschaftlichen, vermögensmäßig erfassbaren Einsatz der betreffenden Sache in Betracht. Der Ersatz für den Verlust der Möglichkeit zum Gebrauch einer Sache muss grundsätzlich Fällen vorbehalten bleiben, in denen die Funktionsstörung sich typischerweise als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt. Andernfalls bestünde die Gefahr, unter Verletzung des § 253 BGB die Ersatzpflicht auf Nichtvermögensschäden auszudehnen. Auch würde dies mit den Erfordernissen von Rechtssicherheit und Berechenbarkeit des Schadens in Konflikt geraten (Senatsurteil vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 7; BGH, Urteil vom 24. Januar 2013 - III ZR 98/12, BGHZ 196, 101 Rn. 9).
Deshalb beschränkt sich der Nutzungsausfallersatz auf Sachen, deren ständige Verfügbarkeit für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist (Senatsurteil vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 7; BGH, Urteil vom 24. Januar 2013 - III ZR 98/12, BGHZ 196, 101 Rn. 9; Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen vom 9. Juli 1986 - GSZ 4 5 - 6 - 1/86, BGHZ 98, 212, 222 f.).
Dabei müssen die Nutzungseinbußen an objektiven Maßstäben gemessen werden können. Der Tatrichter soll den Schadensersatz nicht an unkontrollierbaren subjektiven Wertschätzungen festmachen müssen, die ihm der Geschädigte angibt, sondern an Werten, die der Verkehr dem Interesse an der konkreten Nutzung beimisst (Senatsurteil vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 7; BGH, Urteil vom 24. Januar 2013 - III ZR 98/12, BGHZ 196, 101 Rn. 9; Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen vom 9. Juli 1986 - GSZ 1/86, BGHZ 98, 212, 222).
Hierzu kann auf die Verkehrsanschauung abgehoben werden, wenn diese auch nicht darüber entscheiden kann, wo die Grenze des § 253 BGB verläuft (Senatsurteil vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, aaO, mwN).“
Bei der Prüfung, ob nach der Verkehrsauffassung der vorübergehende Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Gegenstandes als wirtschaftlicher Schaden gewertet werden kann, ist ein strenger Maßstab anzulegen.
Das verlangt die in § 253 BGB getroffene gesetzgeberische Entscheidung, wonach ein immaterieller Schaden nur ausnahmsweise, nämlich in den gesetzlich geregelten Fällen, zu ersetzen ist. Es gilt daher unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung zwischen einem wirtschaftlichen Schaden und einer bloßen Genussschmälerung zu differenzieren.
Hinweis
Dieser restriktive Maßstab hat dazu geführt, dass der Bundesgerichtshof mehrfach für den Nutzungsausfall von Gegenständen eine Entschädigungspflicht verneint hat (vgl. Senatsurteile vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 10 ff. - Wohnmobil; vom 15. November 1983 - VI ZR 269/81, BGHZ 89, 60 - Motorsportboot; BGH, Urteile vom 15. Dezember 1982 - VIII ZR 315/80, BGHZ 86, 128 - Wohnwagen; vom 28. Februar 1980 - VII ZR 183/79, BGHZ 76, 179 - privates Schwimmbad; vom 12. Februar 1975 - VIII ZR 131/73, BGHZ 63, 393 - Pelzmantel).
Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung einen Anspruch auf Entschädigung für den Fortfall der Nutzungsmöglichkeit von Kraftfahrzeugen grundsätzlich bejaht (z.B. Senatsurteile vom 15. April 1966 - VI ZR 271/64, BGHZ 45, 212, 215; vom 18. Mai 1971 - VI ZR 52/70, BGHZ 56, 214, 215; vom 23. November 2004 - VI ZR 357/03, BGHZ 161, 151, 154; vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 6, 8 mwN; BGH, Urteil vom 30. September 1963 - III ZR 137/62, BGHZ 40, 345, 348 ff.).
Nach der Verkehrsauffassung und allgemeiner Rechtsauffassung stellt die Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich ein vermögenswertes Gut dar und ist als geldwerter Vorteil anzusehen, so dass sich bei vorübergehender Entziehung ein Vermögensschaden ergeben kann.
Dies ergibt sich vor allem daraus, dass die Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs innerhalb und außerhalb des Erwerbslebens geeignet ist, Zeit und Kraft zu sparen und damit - in Unabhängigkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln (BGH, Urteil vom 30. September 1963 - III ZR 137/62, BGHZ 40, 345, 349) - das Fortkommen im allgemeinsten Sinne zu fördern (Senatsurteile vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 6 mwN; vom 18. Mai 1971 - VI ZR 52/70, BGHZ 56, 214, 215 f.).
Hinweis
Dass der Gebrauch eines Kraftfahrzeugs für den Benutzer daneben einen Gewinn an Bequemlichkeit bedeuten kann, steht bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise nicht im Vordergrund, weil Anschaffung und Unterhaltung eines Kraftfahrzeugs in erster Linie um des wirtschaftlichen Vorteils willen erfolgen, der in der Zeitersparnis liegt (Senatsurteil vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 8 mwN).
Eine Ausnahme ist dann anzunehmen, wenn die Nutzung des Kraftfahrzeugs nur reinen Freizeitzwecken dient.
Hier betrifft die Einschränkung nicht die alltägliche Nutzbarkeit zur eigenwirtschaftlichen Lebensführung und entzieht sich deshalb einer vermögensrechtlichen Bewertung (Senatsurteil vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 10 - Wohnmobil).
Demnach steht dem Anspruch des Klägers nicht bereits entgegen, dass es sich um keinen Pkw sondern nur um ein Motorrad handelt.
Durch die Ausweitung des Vermögensschadens auch auf Nutzungsausfallschäden darf aber das Bereicherungsverbot nicht ausgehöhlt werden.
„Um sicherzustellen, dass der Geldersatz für Verluste im eigenwirtschaftlichen Einsatz der Sache ungeachtet der notwendigen Typisierung und Pauschalierung einer konkreten, auf das jeweils betroffene Vermögen bezogenen Schadensbetrachtung verhaftet bleibt, und um dem schadensrechtlichen Grundsatz des Bereicherungsverbots gerecht zu werden, ist die Zuerkennung der Entschädigung weiter davon abhängig, dass der Eigentümer sein Fahrzeug in der fraglichen Zeit benutzen wollte und hierzu in der Lage war. Darüber hinaus muss die Entbehrung der Nutzung auch deshalb "fühlbar" geworden sein, weil der Geschädigte das Fahrzeug mangels eines weiteren geeigneten Kraftfahrzeugs für seine alltägliche Lebensführung wirklich gebraucht hätte (Senatsurteil vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 7; Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen vom 9. Juli 1986 - GSZ 1/86, BGHZ 98, 212, 220; vgl. auch Senatsurteil vom 4. Dezember 2007 - VI ZR 241/06, NJW 2008, 913 Rn. 10 für gewerblich genutztes Kfz).“
Fraglich ist, ob diese Grundsätze auch auf die Nutzung eines Motorrads übertragen werden können.
Diese Grundsätze gelten auch für die Gebrauchsmöglichkeit eines Motorrads, das als Kraftfahrzeug ebenfalls geeignet ist Zeit und Kraft zu sparen und unabhängige Mobilität zu gewährleisten. Der BGH stellt klar, dass sich grundsätzlich keine Unterschiede zur Rechtsprechung bzgl. eines Kfz ergeben.
„Der Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines Motorrads, das als einziges dem Geschädigten zur Verfügung stehendes Kraftfahrzeug nicht ausschließlich zu Freizeitzwecken genutzt wird, stellt sich nicht lediglich als individuelle Genussschmälerung dar und kann ebenso wie der Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines Pkw den Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung begründen (vgl. OLG Hamm, MDR 1983, 932; einschränkend: OLG Saarbrücken, NZV 1990, 312; OLG Düsseldorf, NJW 2008, 1964 sogar für den Fall, dass ein Zweitfahrzeug vorhanden ist; Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 25 Rn. 51).“
Hinweis
Verfügt allerdings der Geschädigte neben dem Motorrad über einen Pkw und stützt er die Wertschätzung des Motorrads vor allem darauf, dass das Motorradfahren sein Hobby sei oder im Vergleich zur Fahrt mit einem Pkw ein anderes Fahrgefühl vermittle, betrifft dieser Gesichtspunkt nicht die alltägliche Nutzbarkeit zur eigenwirtschaftlichen Lebensführung und entzieht sich daher einer vermögensrechtlichen Bewertung (Senatsbeschlüsse vom 11. September 2012 - VI ZR 92/12, Schaden-Praxis 2012, 438; vom 13. Dezember 2011 - VI ZA 40/11, NZV 2012, 223).
Fraglich ist, ob die Ersatzfähigkeit jedoch ausscheiden muss, da der Kläger das Fahrzeug nur bei gutem Wetter nutzt und es im streitgegenständlichen Zeitraum nachweislich 10 Tage stark und durchgehend geregnet hat.
„Im Rahmen der im ersten Schritt anzustellenden typisierenden Betrachtungsweise ergibt sich anderes nicht daraus, dass die Nutzung eines Motorrads häufig - insoweit anders als in der Regel die Nutzung eines Pkw - von den Wetter- und Witterungsbedingungen abhängig gemacht wird. Auch der Gebrauch eines Motorrads, das nur in der wärmeren Jahreszeit zugelassen ist und auch in diesem Zeitraum nur bei geeignetem Wetter gefahren wird, spart Zeit und Kraft und ermöglicht es seinem Nutzer, sein Ziel unabhängig von öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.“
Es ist zwar zutreffend, dass das Motorrad im vorliegenden Fall nur bei gutem Wetter genutzt wird und der Kläger daher gelegentlich auf öffentliche Verkehrsmittel ausweichen und sich den Wetterverhältnissen anpassen muss, doch ändert dieser Umstand allein nichts an der generellen Ersatzfähigkeit des Nutzungsausfalls.
Fraglich ist aber, wie sich die nur teilweise Nutzung des Motorrads bei der konkreten Berechnung des Schadens auswirkt. Wie oben bereits festgestellt, ist bei der konkreten Schadensbetrachtung zu berücksichtigen, ob der Geschädigte im streitgegenständlichen Zeitraum zur Nutzung willens und in der Lage gewesen wäre und demnach der Gebrauchsentzug für ihn fühlbar geworden ist.
Dies kann im vorliegenden Fall nur für 30 Tage angenommen werden. An den 10 Tagen, in denen es durchgehend und stark geregnet hat, ist anzunehmen, dass dieser zumindest nicht willens gewesen wäre das Motorrad zu nutzen und daher keine fühlbare Beeinträchtigung für diesen Zeitraum angenommen werden kann.
Hinweis
Ein anderes Ergebnis wäre auch dann nicht anzunehmen, wenn der Kläger Inhaber einer Jahreskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel wäre. Es ist auch nicht entscheidend, ob die Nutzung des Motorrads über das Jahr betrachtet eher die Regel oder die Ausnahme ist.
Demnach ist der Zeitraum von 30 Tagen ersatzfähig.
II Gesamtergebnis
Der Kläger hat einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 auf Ersatz des Nutzungsausfallsschadens für 30 Tage, mithin 1350 €.