A. Tatbestand (vereinfacht):
Beschluss des BGH vom 10.5.2022 – VIII ZR 277/20, NZM 2022, 873
Vermieterin V nimmt die Mieterin M nach einem beendeten Mietverhältnis wegen notwendiger, jedoch nicht durchgeführter Schönheitsreparaturen auf Schadensersatz in Anspruch, den sie auf der Grundlage eines Kostenvoranschlags berechnet.
Die M war seit Dezember 2001 Mieterin einer 70qm Wohnung der V in Karlsruhe. Nach dem Mietvertrag war M zur Durchführung der Schönheitsreparaturen (wirksam) verpflichtet. Das Mietverhältnis endete durch Kündigung der M zum 31. Januar 2022. Mit Schreiben vom 1. Februar 2022 forderte V die M mit Fristsetzung unter anderem zur Vornahme näher bezeichneter Schönheitsreparaturen (2.000 € netto) auf. Dem kam die M nicht nach. M war der Ansicht, sie könne zum Schadensersatz nicht verpflichtet sein, sie habe die AGB für unwirksam gehalten. Diese waren aber wirksam.
I. Fallfrage
Kann V den Schaden ggü. M i.H.v. 2.000 € fiktiv abrechnen?
II. Bearbeitervermerk:
Auf § 28 IV S. 2 der II. BerechnungsVO wird hingewiesen.
Die Kosten der Schönheitsreparaturen in Wohnungen sind in den Sätzen nach Absatz 2 nicht enthalten. Trägt der Vermieter die Kosten dieser Schönheitsreparaturen, so dürfen sie höchstens mit 8,50 Euro je Quadratmeter Wohnfläche im Jahr angesetzt werden. Schönheitsreparaturen umfassen nur das Tapezieren, Anstreichen oder Kalken der Wände und Decken, das Streichen der Fußböden, Heizkörper einschließlich Heizrohre, der Innentüren sowie der Fenster und Außentüren von innen.
B. Lösung
I. §§ 280 I, III, 281 I, 535 BGB
V könnte gegen M ein Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 I, 535 BGB zustehen.
1. Schuldverhältnis, Pflichtverletzung und Fristsetzung
Die Parteien haben einen Mietvertrag über Wohnraum gem. §§ 535, 549 BGB geschlossen.
Die Pflichtverletzung folgt vorliegend aus der Nichtvornahme der geschuldeten Schönheitsreparaturen.
V hat eine ausreichende Frist am 1.2.2022 gesetzt, das Fehlen eines Enddatums war dabei unschädlich. Dies führt dazu, dass eine angemessene Frist in Gang gesetzt wird.
2. Vertretenmüssen
M hat die Nichtvornahme auch zu vertreten. Dies gilt unabhängig davon, ob man den Bezugspunkt des Vertretenmüssens in der bloßen Nichtvornahme der geschuldeten Handlung bei Fälligkeit sieht oder erst in der Nichtvornahme bei Ende der Frist. Vorliegend wurde zu beiden Zeitpunkten wissentlich und willentlich nicht geleistet. Der Irrtum der M über die Wirksamkeit der Vereinbarung stellt einen unbeachtlichen Irrtum über die Rechtslage dar. Immerhin wäre es M unproblematisch möglich gewesen, sich rechtlich über die mietvertraglichen Verpflichtungen beraten zu lassen.
3. Rechtsfolge
M ist ggü V zum Schadensersatz verpflichtet. Im Fall der Nichtleistung ist die Vornahme eines Deckungsgeschäfts nach Anwendung der Differenzhypothese grundsätzlich ersatzfähig. Dabei wäre auch eine freiwillige Vornahme der Renovierung durch den Vermieter oder beauftragte Handwerker nach den Grundsätzen der Herausforderungsfälle unproblematisch.
Die Ersatzfähigkeit richtet sich nach § 251 BGB, da ein Erfüllungsanspruch nach § 281 Abs. 4 BGB nicht mehr in Betracht kommt.
Im vorliegenden Fall musste der BGH klären, ob auch die Abrechnung nach einem hypothetischen Deckungsgeschäft (fiktive Abrechnung) möglich ist. Dies könnte man deswegen bezweifeln, weil der BGH – in BGH NJW 2018, 1463 ff. – fiktive Abrechnungen im Rahmen des Werkvertrags für unzulässig erachtet hat.
Diese Möglichkeit der Abrechnung wurde verneint um eine Übervorteilung des Bestellers zu verhindern. Eine maßgebliche Rolle spielte bei der Entscheidung auch der Vorschussanspruch des Bestellers aus § 637 Abs. 3 BGB im Fall der Selbstvornahme.
Damit stellt sich sowohl im Mietrecht als auch im Kaufrecht die Frage, ob die Grundsätze auf den Schadensersatz statt der Leistung zu übertragen sind, mit der Folge, dass eine fiktive Abrechnung unzulässig wäre.
Im Hinblick auf das Kaufrecht wurde mit BGH NJW 2022, 686 ff. eine Übertragung der Grundsätze aus dem Werkvertragsrecht bereits abgelehnt. Im Kaufrecht gibt es gerade keinen Anspruch auf Vorschuss wegen der gesamten Kosten der Nacherfüllung. Daher besteht hier nicht dieselbe Interessenlage wie im Rahmen des Werkvertrags.
Doch wie sieht es mit der Übertragbarkeit auf das Mietrecht aus? Stellt man auf einen Vorschussanspruch ab, so muss differenziert werden. Schuldet der Mieter Schönheitsreparaturen und ist das Mietverhältnis nicht beendet, so ist im Fall des Schuldnerverzugs der Vermieter zu Ersatzvornahme berechtigt. Hier wird ihm von der Rechtsprechung – ohne entsprechende gesetzliche Regelung – ein Vorschussanspruch zugebilligt.
Diese Konstellation liegt vorliegend jedoch nicht vor. Ist das Mietverhältnis beendet, kann der Vermieter Schadensersatz statt der Leistung nach erfolgter Fristsetzung geltend machen, hat aber gerade keinen Anspruch auf Vorschuss. Insoweit besteht in dieser Konstellation ebenso wie im Kaufrecht keine vergleichbare Sachlage wie im Werkvertragsrecht. Aus diesem Grund war eine Übertragung der dortigen Rechtsprechung nicht veranlasst.
Auch besteht Mietrecht – unabhängig vom Zeitpunkt der Forderung des Vermieters – die Gefahr der Überkompensation nicht im gleichen Maße wie im Werkvertragsrecht. Hier gilt es § 28 Abs. 4 Satz 2 und 3 II BV zu berücksichtigen. Die Vorschriften begrenzen die Höhe und den Gegenstand des Anspruchs verbindlich und verhindern dadurch eine gesetzlich nicht gewollte Bereicherung durch das Schadensrecht (Überkompensation).
Alles in allem ist die Rechtsprechung aus dem Werkvertragsrecht daher auf das Mietrecht nicht zu übertragen.
Hinweis
Nach dem Rechtsgedanken von § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB analog kann nur der Nettobetrag abgerechnet werden.
II. Ergebnis
V kann ggü. M den Schaden fiktiv abrechnen und hat damit einen Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1, 535, 251 BGB in Verbindung mit § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB analog.