Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Presseunternehmen B vertreibt die Zeitung „Gesundheit heute“. Ein bekannter Naturheilkundler Y gibt in der Zeitschrift des B unter der Rubrik „Kräuterkunde“ unentgeltliche Ratschläge zur Nutzung von Heilkräutern. Dabei wird in einem Beitrag ein Ratschlag zur Nutzung von Kräutern in Gestalt einer Auflage auf den Körper gemacht.
Folgende Empfehlung findet sich in diesem Artikel:
„Diese Auflage kann man durchaus zwei bis fünf Stunden oben lassen, bevor man sie wiederum entfernt.“ Anstelle von „Stunden“ hätte es allerdings „Minuten“ heißen müssen.
Eine Leserin vertraute auf die Ausführungen und trug aufgrund zu langer Anwendungsdauer der Kräuter Hautverletzungen davon.
Fallfrage:
Liegt ein fehlerhaftes Produkt im Sinne des Produkthaftungsgesetzes vor?
Lösung
I Vorbemerkung
Der EuGH (EuGH NJW 2021, 2015) musste vorliegend im Wege des Vorabentscheidungsersuchen entscheiden. Dabei ging es im Kern um die Auslegung der Produkthaftungsrichtlinie – insb. des Art. 2 RL 85/374/EWG – (im Folgenden: PH-RL).
Gemäß Art. 2 PH-RL „(…) gilt als ‚Produkt‘ jede bewegliche Sache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet. Unter ‚Produkt‘ ist auch Elektrizität zu verstehen.“
Die zentrale Frage lag hier in der Abgrenzung eines „Produkts“ von einer „Dienstleistung“. Im Fall einer Dienstleistung käme eine Produkthaftung nicht in Betracht.
Hinweis
Im Examen wird diese Frage im Zusammenhang mit § 2 ProdHaftG relevant. Zur Bestimmung des Begriffs ist in diesem Zusammenhang die Richtlinie heranzuziehen.
1 Fehlerhaftigkeit der Zeitung selbst
Eine unmittelbare Fehlerhaftigkeit der Zeitung im Sinne der Produkthaftung besteht gerade nicht. So ist das Material, aus dem die Zeitung besteht, nicht gesundheitsgefährdend oder anderweitig fehlerhaft.
2 Fehlerhaftigkeit aufgrund falscher Informationen
Der in der Zeitung enthaltene Gesundheitstipp ist primär eine Dienstleistung des Experten. Fraglich ist, ob die Zeitung durch den fehlerhaften Inhalt selbst fehlerhaft wird.
Dies muss unter anderem unter Rückgriff auf Art. 6 PH-RL bestimmt werden.
„Demnach ist ein Produkt „fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere a) der Darbietung des Produkts, b) des Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, c) des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde, zu erwarten berechtigt ist.“
Die Fehlerhaftigkeit des Produkts ist anhand bestimmter Faktoren zu ermitteln, welche dem Produkt selbst innewohnen und insbesondere mit seiner Darbietung, seinem Gebrauch und dem Zeitpunkt seines Inverkehrbringens zusammenhängen.“
Abgedruckte Beiträge in Zeitschriften enthalten jedoch regelmäßig keinen Ratschlag bezüglich bestimmter Faktoren, die der Sache selbst innewohnen. Daher stellen diese regelmäßig eine selbstständige Dienstleistung dar, welche gerade nicht unter das Produkthaftungsgesetz fällt.
Hinweis
Anders kann dies ausnahmsweise sein, wenn etwaige Informationen zur möglichen Verwendung der Zeitung gegeben werden. So zum Beispiel dann, wenn angegeben wird, dass sich die Zeitschrift nach dem Lesen besonders gut zum Anschüren eines Kaminofens eignet und in Wirklichkeit dabei gesundheitsschädigende Dämpfe (zum Beispiel aufgrund der Druckerschwärze) freigesetzt werden.
II Ergebnis
Der vorliegende Gesundheitsrat hat keinen Bezug zu Umständen, die der Zeitung selbst innewohnen und ist daher als Dienstleistung einzuordnen. Ein fehlerhaftes Produkt im Sinne des Produkthaftungsgesetzes liegt demnach gerade nicht vor.