Der 11. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts wies mit zwei Eilbeschlüssen am 4. Juni 2021 die jeweiligen Beschwerden zurück.
Hinweis
Die Beschlüsse des OVG vom 4.6.2021 – 11 ME 126/21 und 127/21 sind abrufbar auf der Website des OVG.
Geplant waren Proteste im Rahmen bundesweiter Aktionen am 5. Juni 2021 mit Fahrrädern u.a. auf den Bundesautobahnen A 2 und der A 39 (Az.: 11 ME 127/21) sowie am 6. Juni 2021 auf der A 33 (Az.: 11 ME 126/21). Mit den Aktionen sollte gegen den Ausbau von Autobahnen und für eine Verkehrswende protestieren werden. Die Beschlüsse bestätigten die jeweiligen erstinstanzlichen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Braunschweig und Osnabrück. Beide Beschlüsse sind unanfechtbar. Niedersachsen gehört zu den Ländern, die von der durch Art. 125 a I 2 GG eingeräumten Möglichkeit der Ersetzung oder Ergänzung des Versammlungsgesetzes des Bundes Gebrauch gemacht haben, in diesem Falle durch eine völlig eigenständige Regelung.
Im Verfahren 11 ME 126/21 wurde der Stadt Osnabrück für Sonntag, den 6. Juni eine Fahrrad-Demonstration mit einer erwarteten Teilnehmerzahl von 250 Personen angezeigt. Anlass war ein bundesweit stattfindender „Anti-Autobahn-Aktionstag“, spezieller Anlass für Osnabrück der geplante Lückenschluss der Bundesautobahn 33 Nord. Der Demonstrationsweg sollte vor der Stadthalle in der Innenstadt von Osnabrück beginnen und weiter über die A 33 bis zum Ende der Autobahn, anschließend über die Bremer Straße wieder in die Innenstadt zurückkehren. Mit Bescheid vom 27. Mai 2021 bestätigte die Stadt Osnabrück die angemeldete Demonstration, untersagte allerdings die Nutzung der A 33. Alternativ verfügte sie eine Ausweichroute auf autobahnnahen Straßen entlang der A 33. Den hiergegen gerichteten Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht Osnabrück mit Beschluss vom 2. Juni 2021 -Az.: 6 B 37/21 – ab.
Die dagegen von der Antragstellerin erhobene Beschwerde wies der für das Versammlungsrecht zuständige Senat zurück und führte aus, das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass die von der Stadt Osnabrück verfügte streitgegenständliche Routenänderung auf § 8 Abs. 1 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) gestützt werden könne und sich als voraussichtlich rechtmäßig erweise. Nach § 8 Abs. 1 NVersG könne eine Versammlung unter freiem Himmel beschränkt werden, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwenden. Die von der Antragstellerin auf der A 33 beabsichtigte Fahrraddemonstration begründe eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Eine solche ergebe sich etwa aus der zu erwartenden Staubildung und der damit verbundenen Unfallgefahr. Zwar gewähre die Versammlungsfreiheit dem Veranstalter grundsätzlich das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Der Beschluss weicht damit von einer Entscheidung des 13. Senats des OVG Lüneburg aus dem Jahr 1994 ab, wonach Bundesautobahnen aufgrund ihres Widmungszwecks „von vornherein demonstrationsfrei“ seien und daher für Demonstrationen grundsätzlich nicht zur Verfügung stünden. Vielmehr sei stets eine Bewertung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen, bei der ggf. kollidierende Rechtsgüter so in Ausgleich zu bringen seien, dass die jeweiligen Grundrechtspositionen für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam würden (praktische Konkordanz).
Somit ist in der Prüfung im Rahmen der Rechtfertigung des Eingriffs eine Abwägung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG mit kollidierenden Verfassungsgütern geboten, wie auch sonst bei solchen Prüfungen üblich. Hier bestätigt das OVG die Argumentation und Beurteilung der Stadt und des VG Osnabrück. Beide seien zu Recht davon ausgegangen, dass die Versammlungsfreiheit der Antragstellerin durch das Verbot, die A 33 zu befahren, nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt werde und dass durch die von der Stadt Osnabrück vorgegebene Alternativroute ein nicht zu beanstandender Ausgleich zwischen dem Interesse der Antragstellerin an der Durchführung ihrer verfassungsrechtlich geschützten Versammlung und den öffentlichen Interessen an einer Vermeidung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit hergestellt werde. Der Senat führt aus: „Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, evtl. Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit evtl. verhinderter Anliegen, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand. […] Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist.“ Unter Berücksichtigung dieser Argumentation teilte das OVG die Einschätzung des VG, das verfolgte Anliegen könne in ähnlich öffentlichkeitswirksamer Weise auch auf der Alternativroute verfolgt werden und wies die Beschwerde ab.
Im Verfahren 11 ME 127/21 war der Sachverhalt ähnlich: für Samstag, den 5. Juni 2021, wurde eine Fahrrad-Demonstration angezeigt, die vom Schlossplatz in Braunschweig über die A 2 bis zum Autobahnkreuz Wolfsburg/Königslutter und weiter auf der Bundesautobahn A 39 bis zur Anschlussstelle Wolfsburg-Mörse und danach bis zur Wolfsburger City-Galerie führen sollte. Mit Bescheid vom 28. Mai 2021 bestätigte der als zuständige Versammlungsbehörde bestimmte Landkreis Helmstedt die angemeldete Demonstration, untersagte allerdings die Nutzung der A 2 und der A 39 und verfügte eine Alternativroute auf autobahnnahen Kreis- und Landstraßen. Den gegen diese Routenänderung erhobenen Eilantrag hat das Verwaltungsgericht Braunschweig mit Beschluss vom 2. Juni 2021 abgelehnt (Az.: 5 B 158/21).
Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat der Senat mit Verweis auf die o.g. Begründung zurückgewiesen. Der Senat betont die Wichtigkeit der Abwägung auch im Eilverfahren: „Bei Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, müssen die Verwaltungsgerichte schon im Eilverfahren durch eine möglichst umfangreiche Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen versammlungsrechtlichen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen; im Übrigen kommt es auf eine sorgsame Interessenabwägung an.