Der Entscheidung des BGH (Urt. v. 30.04.2014 – VIII ZR 275/13 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de = NJW 2014, 2351 = ZIP 2014, 1127 = MDR 2014, 764 = BeckRS 2014, 10778 (beck-online) = LSK 2014, 240705 (beck-online) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Kläger (K) kauften im Herbst 2009 bei der Beklagten (B), die unter anderem mit Bodenbelägen handelt, Massivholzfertigparkett, das sie anschließend durch einen Schreiner in ihr Wohnhaus einbauen ließen. Dieser ging dabei nach einer von der B mitgelieferten Verlegeanleitung vor, die von der Streithelferin der B als der Herstellerin des Parketts stammte. In der Folgezeit traten an dem verlegten Parkett Verwölbungen und andere Veränderungen wie etwa ein Schrumpfen in Randbereichen auf. Die von den K erhobene Mängelrüge wies die B nach Rücksprache mit der Streithelferin zurück, weil die Veränderungen nach deren Einschätzung auf einer zu geringen Raumfeuchte beruhten. Die K beauftragten daraufhin einen Privatsachverständigen mit der Begutachtung der Mangelerscheinungen und wandten dafür 1.258,72 € an Sachverständigenhonorar auf. Als Gutachtensergebnis stellte sich heraus, dass die Veränderungen des Bodenbelages auf eine in diesem Fall ungeeignete, in der mitgelieferten Verlegeanleitung so aber als zulässig und möglich empfohlene Art der Verlegung zurückzuführen war. Hierauf gestützt, begehrten die K anschließend eine Minderung des Kaufpreises um 30 %. Der Rückerstattung des geminderten Betrags kam die B nach. Die Zahlung der Kosten für die Einholung des Privatgutachtens verweigerte sie.
Haben die K gegen B einen Anspruch auf Zahlung der Kosten für die Einholung des Privatgutachtens?
Die K könnten gegen B einen Anspruch auf Zahlung der Kosten für die Einholung des Privatgutachtens i.H.v. 1.258,72 € gemäß § 439 II BGB haben.
I. Kaufvertrag
Ein wirksamer Kaufvertrag (§ 433 BGB) wurde zwischen K und B geschlossen.
II. Mangel bei Gefahrübergang
Des Weiteren müsste ein Mangel bei Gefahrübergang gemäß § 434 BGB gegeben sein.
1. Mangel nach § 434 I S. 1 BGB
Zunächst könnte ein Mangel gemäß § 434 I S. 1 BGB gegeben sein. Dies wäre der Fall bei einer negativen Abweichung der Ist- Beschaffenheit von der vertraglich vereinbarten Soll- Beschaffenheit. Unabhängig davon, davon, ob eine solche Vereinbarung gegeben ist, war das Parkett einwandfrei. Somit ist kein Mangel gemäß § 434 I S. 1 BGB gegeben.
2. Mangel nach § 434 I S. 2 Nr. 1 BGB
Aus dem gleichen Grund ist auch ein Mangel nach § 434 I S. 2 Nr. 1 BGB abzulehnen.
3. Mangel nach § 434 I S. 2 Nr. 2 BGB
Fraglich ist aber, ob ein Mangel gemäß § 434 I S. 2 Nr. 2 BGB gegeben ist. Dies wäre zu bejahen, wenn die Sache sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Da hier das Parkett an sich einwandfrei ist, könnte § 434 I S. 2 Nr. 2 BGB trotzdem gegeben sein, wenn die Voraussetzungen von § 434 II S. 2 BGB vorliegen. Hiernach liegt ein Sachmangel bei einer zur Montage bestimmten Sache ferner vor, wenn die Montageanleitung mangelhaft ist, es sei denn, die Sache ist fehlerfrei montiert worden. Hier kam es zu Verwölbungen und anderen Veränderungen wie etwa ein Schrumpfen in Randbereichen, sodass das Parkett nicht fehlerfrei montiert war. Fraglich ist aber, ob die Montaganleitung fehlerhaft war. Hier hat der Schreiner beim Einbau des Parketts, auf die von B mitgelieferten Verlegeanleitung zurückgegriffen. In diesem Fall war die Art der Verlegung ungeeignet, obwohl sie in der Anleitung als zulässig und möglich empfohlen wurde. Somit lässt sich im Ergebnis sagen, dass die Anleitung mangelhaft war, sodass die Voraussetzungen von § 434 II S. 2 BGB erfüllt sind. Eine mangelhaft montierte Sache weist auch nicht die Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann, sodass ein Mangel gemäß § 434 I S. 2 Nr. 2 BGB gegeben ist.
Dieser Mangel war auch schon bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) gegeben.
III. Rechtsfolgen § 439 II BGB
Als Rechtsfolgen ergeben sich aus § 439 II BGB, dass der Verkäufer zum Zwecke der Nacherfüllung die erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen hat. Fraglich ist aber ob die Kosten für ein Gutachten zur Auffindung der Mangelursache auch hierunter fällt, wenn hiermit die Geltendmachung eines Gewährleistungsanspruchs vorbereitet wird. Es umstritten, ob zu den zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Kosten nach § 439 Abs. 2 BGB auch Aufwendungen zählen, die nötig sind, um die Ursache eines möglichen Mangels aufzuklären.
1. e.A.: Kosten für Vorbereitung von Gewährleistungsansprüchen sind nicht miterfasst
Eine Ansicht geht davon aus, dass § 439 II BGB keine Anspruchsgrundlage für Aufwendungen zur Vorbereitung von Gewährleistungsansprüchen bietet. „Derartige Aufwendungen seien, da sie mit der Behebung des Mangels nicht zusammenhingen, nur auf der Grundlage von § 280 I BGB ersatzfähig (MünchKommBGB/Westermann, 6. Aufl., § 439 Rn. 15; BeckOK-BGB/Faust, Stand März 2011, § 439 Rn. 21 f.).“
2. a.A.: Kosten für Vorbereitung von Gewährleistungsansprüchen sind miterfasst
Eine andere Ansicht geht davon aus, dass diese Kosten von § 439 II BGB miterfasst sind. „Überwiegend wird jedoch die Auffassung vertreten, dass darunter auch Aufwendungen zur Klärung einer unklaren Mängelursache fielen, weil das damit verbundene Kostenrisiko grundsätzlich dem Verkäufer zugewiesen sei (Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2014, § 439 Rn. 16, 90; Palandt/Weidenkaff, BGB, 73. Aufl., § 439 Rn. 11; Jauernig/Berger, BGB, 15. Aufl., § 439 Rn. 37 [...]).“
3. Streitentscheid
Mit dem BGH ist der letztgenannten Ansicht zu folgen: „[...] § 439 Abs. 2 BGB stellt [...] eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar [...]. Der Wortlaut lässt es ohne Weiteres zu, darunter auch die zur Klärung der Mangelursache erforderlichen Sachverständigenkosten zu fassen. Denn letztere werden mit der Zielrichtung, dem Käufer die Durchsetzung eines daran anknüpfenden Nacherfüllungsanspruchs zu ermöglichen, und damit "zum Zwecke der Nacherfüllung" aufgewandt.
[...] Dieses Verständnis spiegelt sich bereits in der Entstehungsgeschichte der Norm wider. Denn es war die Absicht des Gesetzgebers, mit Schaffung des § 439 Abs. 2 BGB den auf das vereinbarte Nachbesserungsrecht bezogenen, ansonsten aber weitgehend wortlautidentischen bisherigen § 476a Satz 1 BGB aF zu übernehmen und darin aufgehen zu lassen [...]. Für diesen war durch die höchstrichterliche Rechtsprechung [...] geklärt, dass es sich um eine eigenständige, von einem Verschulden des Verkäufers unabhängige Anspruchsgrundlage des Käufers auf Erstattung seiner notwendigen Aufwendungen handelt. Dazu zählen auch Kosten, die für ein die Schadensursache untersuchendes und der Vorbereitung der Nachbesserung dienendes Gutachten aufgewandt werden. Dass der Gesetzgeber von dem so geprägten Normverständnis abrücken wollte, ist nicht ersichtlich.
[...] Zu Unrecht geht die Revision davon aus, dass die in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie [Richtlinie (EG) 44/1999] aufgeführten Rechtsbehelfe keine verschuldensunabhängige Haftung für die in § 439 Abs. 2 BGB genannten Aufwendungen zuließen, sondern dass es dazu einer in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie angesprochenen Verschuldenshaftung bedürfe. Diese Sichtweise verkennt nicht nur den gegenüber den sonstigen Rechten und Pflichten der Kaufvertragsparteien eigenständigen Anspruchscharakter des § 439 Abs. 2 BGB und die hiermit verbundene Absicht des nationalen deutschen Gesetzgebers, mit dieser Norm die von Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 der Richtlinie geforderte Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung verschuldensunabhängig zu gewährleisten [...]. Sie lässt auch außer Acht, dass der deutsche Gesetzgeber, nicht gehindert gewesen wäre, die Richtlinie durch die Übernahme der in § 476a Satz 1 BGB aF vorgefundenen Regelung überschießend umzusetzen, ohne dabei auf die von der Revision angenommenen gesetzessystematischen Grenzen zu stoßen. Denn Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie hat es - wie in Erwägungsgrund 24 eigens hervorgehoben ist - den Mitgliedstaaten freigestellt, im Anwendungsbereich der Richtlinie strengere Bestimmungen zu erlassen oder aufrechtzuerhalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen. Das schließt es ein, den nach bisherigem Recht gemäß § 476a Satz 1 BGB aF für das vertraglich vereinbarte Nachbesserungsrecht enthaltenen Schutzstandard beizubehalten und auf das gesetzliche Nacherfüllungsrecht gemäß § 439 Abs. 1 BGB auszudehnen.“
Somit sind im Ergebnis die Gutachterkosten von § 439 II BGB erfasst.
IV. Auswirkungen der Minderungserklärung?
Fraglich ist, ob der Anspruch der K durch die Minderungserklärung (§ 441 BGB) ausgeschlossen wird. Dies ist im Ergebnis abzulehnen: „Dem Ersatzanspruch der Kläger aus § 439 Abs. 2 BGB steht [...] nicht entgegen, dass sie nach der Erstellung des Privatgutachtens nicht mehr gemäß § 439 Abs. 1 BGB Nacherfüllung verlangt, sondern den Kaufpreis gemäß § 441 BGB gemindert haben. Dies ändert nichts daran, dass die angefallenen Sachverständigenkosten jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer für den Ersatzanspruch maßgeblichen Entstehung nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts zumindest auch zum Zwecke der Nacherfüllung als dem anderen Gewährleistungsrechten vorgeschalteten Gewährleistungsrecht aufgewandt worden sind und aus damaliger Sicht zur Klärung der Ursache des Mangels und seiner Zurechnung erforderlich waren [...]. Ob derartige Aufwendungen anschließend tatsächlich zu einer (erfolgreichen) Nacherfüllung führen, ist für den zuvor bereits wirksam entstandenen Ersatzanspruch ohne Bedeutung [...]. Das gilt insbesondere auch dann, wenn der Verkäufer [...] anschließend weiterhin jegliche Mängel bestritten hat und deshalb der Käufer eine Nacherfüllung auch im Falle einer Fristsetzung unter keinen Umständen erwarten konnte, so dass für ihn gemäß § 437 Nr. 2, § 440, § 323 Abs. 2 Nr. 1, § 441 Abs. 1 BGB der letztlich eingeschlagene Weg zur Kaufpreisminderung eröffnet war.“
V. Ergebnis
Die K haben daher im Ergebnis gegen B einen Anspruch auf Zahlung der Kosten für die Einholung des Privatgutachtens i.H.v. 1.258,72 € gemäß § 439 II BGB.
Anmerkung: Zur weiteren Vertiefung der Problematik des Falls kann auf den interessanten und recht kritischen Aufsatz von S. Lorenz (NJW 2014, 2319) verwiesen werden. Weitere Ausführungen zu diesem Thema finden Sie auch in unseren ExO`s und im GuKO ZR I. Eine Leseprobe aus unserem Skript finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/skript.php?id=37303.