Auch die Vorschriften, welche eine Übermittlung erhobener Daten an andere inländische sowie an ausländische Behörden gestatten, befand das BVerfG als mit der Verfassung unvereinbar.
Das BVerfG gab dem Bundesgesetzgeber bis zum 30. Juni 2018 Zeit, die verfassungswidrigen Normen neu zu fassen. Bis dahin dürfen sie unter Einschränkungen weiter angewandt werden.
Sachverhalt:
Die zwei Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen Befugnisse, die im Jahr 2009 „zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus“ in das Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) eingefügt worden waren.
Im Einzelnen ging es um Ermächtigungsgrundlagen für verdeckte Maßnahmen wie längerfristige Observation, akustische wie optische Wohnraumüberwachung und Onlinedurchsuchungen. Außerdem ermöglichten neu geschaffene Vorschriften die zweckändernde Verwendung vorhandener Daten und ihre Übermittlung an inländische Behörden und ins Ausland.
Unter anderem griffen die Beschwerdeführer folgende Vorschriften an:
§ 20g BKAG, welcher unter anderem dazu ermächtigt, eine Person durchgehend länger als 24 Stunden oder an mehr als zwei Tagen zu beobachten (längerfristige Observation). Außerdem gestattet die Vorschrift das Abhören außerhalb der Wohnung und den Einsatz verdeckter Ermittler.
Daneben wendeten sich die Beschwerden gegen § 20h BKAG, welcher die optische und akustische Wohnraumüberwachung („Lauschangriff“) ermöglicht.
Weiter griffen die Beschwerden § 20k BKAG an, welcher die Rechtsgrundlage für den Zugriff auf Computerfestplatten (oder andere informationstechnische Systeme) mittels eines Trojaners darstellt.
Ebenfalls Gegenstand der Beschwerden war § 14 BKAG, der die Übermittlung von Daten ins Ausland regelt. Nach § 14 VII 7 BKAG setzt dies das „Vorhandensein eines angemessenen Datenschutzniveaus im Empfängerstaat“ voraus.
Die Beschwerdeführer hatten gerügt, dass Überwachungsmaßnahmen auch ohne das Vorliegen einer konkreten Gefahr ermöglicht würden. Zahlreiche Bestimmungen seien zu unbestimmt, indem sie lediglich pauschal auf den Begriff des „internationalen Terrorismus“ Bezug nähmen. Bürger seien durch die weitreichenden Eingriffsbefugnisse in besonderem Maße in ihrer Privat- und Intimsphäre betroffen. Es drohe die Gefahr der Erstellung umfassender Persönlichkeitsprofile.
Auch werde dem Bundeskriminalamt die umfangreiche Weitergabe von Daten an eine Vielzahl von Behörden im In- und Ausland ermöglicht. Einmal erhobene Daten dürften in weitem Umfang für neue Zwecke genutzt werden.
Schließlich sei durch die Vorschriften das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nicht in hinreichendem Maße berücksichtigt. Allein die Behörden hätten darüber zu entscheiden, ob Betroffene von ihrer Überwachung überhaupt benachrichtigt werden – damit werde ihnen effektiv die Möglichkeit genommen, behördliche Maßnahmen gerichtlich überprüfen zu lassen.
Dagegen wendete die Bundesregierung ein, die durch das BKA-Gesetz eingeräumten Befugnisse seien verhältnismäßig. Sie dienten ausschließlich dem Schutz von Rechtsgütern besonderen Gewichts und stünden darüber hinaus unter einem strengen Erforderlichkeitsvorbehalt.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
1. Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen
Der Erste Senat des BVerfG stellte zunächst fest, dass die heimliche Erhebung personenbezogener Daten nach dem BKA-Gesetz Eingriffe ermöglicht in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG, das Telekommunikationsgeheimnis nach Art. 10 Abs. 1 GG und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).
2. Verhältnismäßigkeitskontrolle
Sodann untersuchte das Gericht, ob die festgestellten Eingriffe gerechtfertigt sind. Dazu musste insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. Der Erste Senat führte aus, es sei ein Ausgleich zwischen der Schwere der Grundrechtseingriffe auf der einen Seite und der Pflicht des Staates zum Schutz der Bevölkerung auf der anderen Seite zu schaffen.
a. Hinreichend konkrete Gefahrenlage
Das Gericht führte an, dass wirksame Ermittlungsbefugnisse zur Abwehr von Gefahren des Terrorismus für die demokratische und freiheitliche Ordnung und den Schutz der Grundrechte von großem Gewicht seien.
Jedoch griffen die Ermittlungsmittel regelmäßig sehr tief in die Privatsphäre der Betroffenen ein. Voraussetzung sei daher in jedem Fall, dass die Eingriffe auf Fälle beschränkt seien, in denen eine Gefährdung dieser Rechtsgüter hinreichend konkret absehbar ist. Eine konkrete Gefahr dürfe etwa dann angenommen werden, wenn „das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie […] in überschaubarer Zukunft [terroristische Straftaten] begehen wird. Denkbar ist das etwa, wenn eine Person aus einem Ausbildungslager für Terroristen im Ausland in die Bundesrepublik Deutschland einreist.“ Diesen Anforderungen entsprachen verschiedene Eingriffsnormen nicht, die Überwachungsmaßnahmen schon ohne hinreichende Verdachtsmomente gestatteten.
Weiter statuierte der Erste Senat, dass sich die Maßnahmen „auf nichtverantwortliche Dritte aus dem Umfeld der Zielperson [nur] nur unter eingeschränkten Bedingungen erstrecken [dürften].“
b. Schutz des Kernbereichs der betroffenen Grundrechte
Auch stellte das Gericht fest, dass verschiedene Vorschriften zwar Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung enthalten. Diesem Zweck dient etwa § 20h Abs. 5 BKAG in seiner bisherigen Fassung:
„Das Abhören und Beobachten nach Satz 1 ist unverzüglich zu unterbrechen, soweit sich während der Überwachung tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Inhalte, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. Bestehen insoweit Zweifel, darf nur eine automatische Aufzeichnung fortgesetzt werden. Automatische Aufzeichnungen nach Satz 3 sind unverzüglich dem anordnenden Gericht zur Entscheidung über die Verwertbarkeit oder Löschung der Daten vorzulegen.“
Dieser Mechanismus genügt laut BVerfG aber nicht den an den Kernbereichsschutz zu stellenden Anforderungen. Das Gericht führte insofern aus, es seien zunächst alle Daten von einer unabhängigen Stelle zu sichten, ob sie höchstprivate Informationen enthalten. Die Stelle müsse mit externen, nicht mit Sicherheitsaufgaben betrauten Personen besetzt sein. Diese sollten „kernbereichsrelevante Informationen“ vor der Verwendung der Daten durch die Sicherheitsbehörden herauszufiltern.
c. Wahrung gerichtlicher und aufsichtlicher Kontrollmöglichkeiten
Der Erste Senat stellte weiter fest, dass allen Ermittlungs- und Überwachungsbefugnissen flankierende Regelungen zur Gewährleistung von Transparenz, Rechtsschutz und aufsichtlicher Kontrolle fehlten. Insbesondere müssten turnusmäßige Pflichtkontrollen sowie Berichtspflichten gegenüber Parlament und Öffentlichkeit geschaffen werden.
Weiter habe zwar das BKA nach derzeitiger Rechtslage die erhobenen Daten nach Zweckerfüllung zu löschen. Die entsprechenden Löschungsprotokolle würden aber nur für eine sehr kurze Zeit aufbewahrt. Dadurch könne eine spätere Kontrolle der Überwachung und Datenlöschung nicht hinreichend gewährleistet werden.
d. Weiterverwendung einmal ermittelter Daten (Zweckbindung/Zweckänderung)
Weiter setzte sich der Erste Senat des BVerfG mit der Frage auseinander, unter welchen Voraussetzungen die Ermittler des BKA einmal rechtmäßig erhobene Daten weiterverarbeiten dürfen. Dabei entwickelte er in Anknüpfung an die bisherige Rechtsprechung des BVerfG auch neue Differenzierungen dazu, wann ermittelte Daten für Zwecke verwendet werden dürfen, die über das ursprüngliche Ermittlungsverfahren hinausreichen.
Maßgeblich sind hierfür prinzipiell die Grundsätze der Zweckbindung und Zweckänderung. Grundsätzlich zulässig ist die weitere Nutzung der Daten im Rahmen des ursprünglichen Erhebungszweckes. Dagegen darf eine Zweckänderung nur in bestimmten Grenzen erlaubt werden. Sie ist nur dann zulässig, wenn die Daten für den zweiten, neuen Zweck auch rechtmäßig erhoben werden könnten (sog. Grundsatz der hypothetischen Datenneuerhebung). Allerdings ist in diesem Fall nicht erforderlich, dass auch bereites eine (erneute) konkretisierte Gefahrenlage vorliegt.
Die letztere Einschränkung hob das Gericht nun mit Hinblick auf das besondere Eingriffsgewichts von Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen auf. Aus derartig eingriffsintensiven Maßnahmen gewonnene Daten dürften nur dann weiterverwendet werden, wenn gerade auch die Anforderungen an eine konkrete Gefahrenlage erfüllt sind. Diese „Einschränkung der Einschränkung“ stelle eine „konkretisierende Konsolidierung“ der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG dar.
3. Übermittelung von Daten an ausländische Sicherheitsbehörden
Schließlich prüfte der Erste Senat, wann eine Übermittelung von durch Überwachungsmaßnahmen gewonnenen Daten an ausländische Behörden zulässig ist. Dabei stellte er zunächst klar, dass die deutsche Staatsgewalt bei der Entscheidung über eine Übermittlung an die Grundrechte gebunden bleibt. „Der Gesetzgeber hat daher dafür Sorge zu tragen, dass dieser Grundrechtsschutz durch eine Übermittlung der von deutschen Behörden erhobenen Daten ins Ausland und an internationale Organisationen ebenso wenig ausgehöhlt wird wie durch eine Entgegennahme und Verwertung von durch ausländische Behörden menschenrechtswidrig erlangten Daten.“
Allerdings müssten in der betreffenden ausländischen Rechtsordnung nicht zwingend institutionelle und verfahrensrechtliche Vorkehrungen nach deutschem Vorbild gewährleistet sein.
Vielmehr genüge die in § 14 Abs. 7 BKAG enthaltene Regelung den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Sie schreibt lediglich vor, dass sich die Behörden vor Übermittelung der Daten vergewissern müssen, ob im Empfängerland ein datenschutzrechtlich vertretbarer Umgang mit den übermittelten Daten gewährleistet sei.
Verfassungswidrig sei § 14 BKAG allerdings insoweit, als er die Übermittelungszwecke zu weit fasst und nicht sicherstellt, dass die Weiterverwendung der Daten im Ausland im Rahmen der Grundsätze von Zweckbindung und Zweckänderung erfolgt.
4. Entscheidung des Ersten Senats
Das BVerfG erklärte die Vorschriften des BKAG, welche unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe ermöglichen, nach § 31 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVerfGG für mit der Verfassung unvereinbar (nicht aber für nichtig). Er führte aus: „Die Unvereinbarkeitserklärung kann das Bundesverfassungsgericht dabei zugleich mit der Anordnung einer befristeten Fortgeltung der verfassungswidrigen Regelung verbinden. Dies kommt in Betracht, wenn die sofortige Ungültigkeit der zu beanstandenden Norm dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls die Grundlage entziehen würde und eine Abwägung mit den betroffenen Grundrechten ergibt, dass der Eingriff für eine Übergangszeit hinzunehmen ist.“
Weil die festgestellten Mängel nicht die Ermittlungsbefugnisse als solche, sondern allein die nähere Ausgestaltung der Eingriffsnormen beträfen, dürften die verfassungswidrigen Normen bis zum Ablauf des 30. Juni 2018 weiter angewendet werden. Sie sind bis dahin verfassungskonform auszulegen.
Dem Urteil fügten die Richter Eichberger und Schluckebier jeweils ein Sondervotum bei: Sie führten aus, sie könnten die Entscheidung insofern nicht mittragen, als diese dem Gesetzgeber an zahlreichen Stellen zu detaillierte Vorgaben mache. Dadurch würde die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers in unzulässiger Weise eingeschränkt. Die „überzogenen verfassungsrechtlichen Vorgaben“ seien vor dem Hintergrund der rechtsstaatlichen Gewaltenteilung bedenklich.
Bedeutung für ExamenskandidatInnen
Das Urteil dürfte, abgesehen von seiner allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Brisanz, für ExamenskandidatInnen insbesondere für die mündliche Prüfung von Relevanz sein. Auch lässt sich an den Ausführungen des BVerfG generell verdeutlichen, wie differenziert zu untersuchen ist, ob Rechtsnormen mit den Grundrechten vereinbar sind – und welche Anforderungen an den Kernbereichsschutz zu ste