Diesen „frühen“ Betrug nennt man Eingehungsbetrug. Aufgrund der Vorverlegung der Vollendung ist er in der Literatur umstritten (Anm. Hoven NStZ 2022, 415). Der BGH und das BVerfG („Al Kaida Fall“ NJW 2012, 907) haben jedoch grundsätzlich keine Bedenken gegen dieses Konstrukt. Im Einzelfall kann jedoch die Bemessung des Schadens problematisch sein.
Mit folgendem Sachverhalt musste sich jüngst der BGH (NStZ 2022, 409) befassen:
Der hochverschuldete A schließt 12 Risiko-Lebensversicherungen ab. Als Begünstigte setzt er seine in seinen Plan eingeweihte Ehefrau E und seine Mutter M ein. Die Versicherungsleistungen sollen sich im Todesfall auf 200.000 bis 400.000 € belaufen. Alle Policen sehen vor, dass die Auszahlung von der Vorlage einer Sterbeurkunde abhängig gemacht wird. Alsdann täuscht A ein Bootsunglück vor, indem er an der dänischen Seegrenze sein Boot versenkt und mit einem Schlauchboot, welches er im Anschluss vernichtet, zurückkehrt. Nachdem er untergetaucht ist, meldet ihn seine Ehefrau als vermisst. Eine Suchaktion der Polizei bleibt erfolglos. E und M melden danach den Bootsunfall den jeweiligen Versicherungen, wobei sie wissen, dass das zur Auszahlung der Lebensversicherungssumme noch nicht ausreicht. E und M versuchen in den nächsten Monaten, A für tot erklären zu lassen und eine Sterbeurkunde zu erhalten, was jedoch nicht gelingt, so dass es nicht zur Auszahlung der Versicherungssummen kommt. Während der gesamten Zeit ist A aktiv involviert in z.B. das Ausfüllen von Formularen etc. 7 Monate später wird A in seinem Versteck gefunden.
Natürlich kann man zunächst an eine mittäterschaftlich begangenen, versuchten Betrug von A, E und M gem. §§ 263 I, 22, 23, 25 II StGB denken, indem diese den Bootsunfall den Versicherungen meldeten.
Der Tatentschluss aller war darauf gerichtet, gegenüber den zuständigen Mitarbeitern der Versicherung den Eintritt des Versicherungsfalls vorzutäuschen. Die jeweiligen Handlungen basierten auf einem gemeinsamen Tatplan und wurden mit Tatherrschaft und Täterwillen ausgeführt.
Die Mitarbeiter der Versicherungen sollten sich dementsprechend irren und alsdann über das Vermögen der Versicherung, auf welches sie aufgrund ihrer Arbeitsvertraglich begründeten Stellung zugreifen konnten, durch Auszahlung der Versicherungssumme verfügen. Der Schaden wäre in Höhe der ausgezahlten Summe eingetreten, da die Versicherungen gem. § 81 VVG von der Verpflichtung zur Leistung befreit gewesen wären.
Entsprechend wollten sich die Täter auch rechtswidrig bereichern.
Allerdings fehlt es am unmittelbaren Ansetzen. Die Täter hatten bislang nur den Bootsunfall gemeldet aber noch nicht die Auszahlung der Versicherungssumme verlangt, weil sie wussten, dass sie dafür die Sterbeurkunde benötigen. Damit hatten sie im Hinblick auf die Auszahlung noch nicht die Schwelle zum „Jetzt geht`s los“ überschritten. Auch stellte das Erlangen der Sterbeurkunde noch einen wesentlichen Zwischenschritt nach ihrer Vorstellung dar.
Dazu der BGH (a.a.O.):
„Wesentliches Kriterium für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium ist das aus der Sicht des Täters erreichte Maß konkreter Gefährdung des geschützten Rechtsguts. Beim Erfüllungsbetrug zum Nachteil einer Lebensversicherung durch Vortäuschen des Versicherungsfalls hat der BGH ein unmittelbares Ansetzen verneint, sofern für die Auszahlung der Versicherungssumme noch wesentliche Zwischenschritte erforderlich waren, wie etwa auch das Besorgen erforderlicher Dokumente für den Todesnachweis ….
Vor dem Hintergrund der insoweit klaren Bedingungen der Lebensversicherungen, die jeweils (wie vom Angekl. H teils mit Textmarker hervorgehoben) die Vorlage einer amtlichen Sterbeurkunde als Voraussetzung der Versicherungsleistung benannten, konnte das LG deshalb ohne Rechtsfehler davon ausgehen, das Erwirken und die Vorlage eines solchen Dokuments stelle jeweils auch aus Sicht der Angekl. noch einen wesentlichen Zwischenschritt für den beabsichtigten Erfüllungsbetrug dar.“
Hinweis
Wir halten also fest, dass ein Erfüllungsbetrug, der im Auszahlen der Leistung gelegen hätte, weder vollendet noch versucht wurde. Das Geld der Versichertengemeinschaft in Gestalt der Auszahlungssumme war nicht konkret gefährdet. Dies vor Augen habend wird nun nachfolgend klar, was das Problem der Literatur mit dem Eingehungsbetrug ist.
Kommen wir damit zum Eingehungsbetrug, den A, E und M mehrfach und mittäterschaftlich durch Abschluss der Verträge begangen haben könnten.
Dann müsste zunächst eine Täuschung über Tatsachen vorliegen. Bei Abschluss der Vertrages hat A über seine innere Bereitschaft zu vertragsgerechtem Verhalten getäuscht und konkludent erklärt, er werde nicht manipulativ auf die Geschäftsgrundlage einwirken, die bei einer Risiko-Lebensversicherung darin besteht, dass für beide Parteien der Eintritt des versicherten Risikos ungewiss ist. Diese Täuschung wird E und M über § 25 II StGB zugerechnet. Entsprechend hat sich auch der jeweilige Mitarbeiter jedenfalls im Wege des sachgedanklichen Mitbewusstseins geirrt.
Die Vermögensverfügung liegt im Abschluss des Vertrags, mit dem eine Verpflichtung der Versicherung auf Auszahlung der vereinbarten Summe im Versicherungsfall begründet wird.
Problemtisch ist der Schaden. Nun könnte man diesen im Hinblick auf die ggfs. auszuzahlende Versicherungssumme in eben dieser Höhe über die konkrete schadensgleiche Vermögensgefährdung begründen. Wie wir aber gesehen haben, ist die diesbezügliche Gefährdung des Vermögens mit Abschluss des Vertrages noch abstrakt. Selbst der Bootsunfall und das Anmelden desselben führen noch nicht zu einer konkreten Gefahr für das Vermögen in Gestalt der auszuzahlenden Summe.
Beim Eingehungsbetrug werden aber vor allem die wechselseitig geschuldeten Leistungen miteinander verglichen. Entsprechen sich Leistung und Gegenleistung nicht im Wert, dann liegt ein Schaden vor. Die von A aufgrund des Vertrags zu erbringende Leistung besteht im Zahlen der vereinbarten Versicherungsprämie. Die Höhe dieser Prämie wird vom Versicherer anhand des Risikos des Vertragspartners berechnet: je älter und kränker der andere desto teurer wird es.
Vor dem Hintergrund der beabsichtigten Manipulation ist dieses Risiko für den Versicherer nun gestiegen, so dass der Schaden in der inadäquat berechneten Prämie liegen kann (sog. „Prämienschaden“). Dies wurde vom BGH früher ohne weitere Ausführungen bejaht, indem der BGH deutlich machte, dass die Prämie jedenfalls höher gewesen wäre, als sie es tatsächlich war. Das BVerfG („Al Kaida Fall“ NJW 2012, 907) hat diese Praxis beendet unter Hinweis auf die Tatsache, dass der Schaden der Höhe nach berechnet werden müsse, da § 263 StGB ein Erfolgsdelikt sei und das Tatbestandsmerkmal „Schaden“ nicht unbestimmt werden dürfe. An dieser Berechnung sind nachfolgend die Gerichte gescheitert, so auch im vorliegend Fall das LG Kiel.
Dazu führt der BGH (a.a.O.) nun folgendes aus:
„Der 3. Strafsenat des BGH hat entschieden, dass in Fällen wie dem vorliegenden ein Eingehungsbetrug in Betracht kommt, wenn über die Zahlungswilligkeit und die Absicht, den Versicherungsfall alsbald vorzuspiegeln, getäuscht wird … Diese Entscheidung ist vom BVerfG allerdings aufgehoben worden, weil es an einer ausreichenden Beschreibung und Bezifferung des Vermögensschadens gefehlt habe und die Annahme einer bereits bei Vertragsschluss bestehenden Verlustwahrscheinlichkeit aufgrund unredlichen Verhaltens auch wegen intensiver polizeilicher Überwachung lediglich ein abstraktes Risiko, aber keinen konkreten Vermögensschaden beschreibe … Die Möglichkeit, dass in derartigen Fällen gleichwohl ein Eingehungsbetrug in Frage kommt, hat das BVerfG aber nicht ausgeschlossen…
Das LG hätte vor diesem Hintergrund näher prüfen müssen, ob bereits der Abschluss einer Lebensversicherung einen vollendeten (Eingehungs-)Betrug darstellt. Es liegt nahe, dass die Versicherungsgesellschaften die jeweiligen Verträge lediglich irrtumsbedingt geschlossen haben. Die Frage, ob ihnen hierdurch bereits ein Schaden entstanden ist, unterliegt tatgerichtlicher Bewertung und Entscheidung; sie kann vom Revisionsgericht regelmäßig weder abstrakt verneint noch abstrakt bejaht werden. Entscheidend ist vielmehr die konkrete wirtschaftliche …. Zu bewerten sind einerseits der wirtschaftliche Wert des Anspruchs auf Zahlung der Versicherungsprämien, andererseits der wirtschaftliche Wert der Risikoabsicherung. Entscheidende Faktoren sind dabei die Leistungsfähigkeit und -willigkeit des Versicherungsnehmers, die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Ausführung des Tatplans, der gleichzeitige Abschluss mehrerer Versicherungen sowie Sicherungsmechanismen seitens der Versicherung auf dem Weg zur erstrebten Auszahlung der Versicherungssumme … Letztlich setzt die Bestimmung eines Mindestschadens voraus, dass die Verlustwahrscheinlichkeit tragfähig eingeschätzt werden kann…, sich also wirtschaftlich messbar ergibt, inwieweit die jeweiligen Ansprüche auf Leistung (Versicherungsprämie) und Gegenleistung (Risikoabdeckung im Versicherungsfall) voneinander zu Lasten der getäuschten Versicherung negativ abweichen. Die besonderen Schwierigkeiten bei der Bestimmung eines derartigen Vermögensschadens beim Eingehungsbetrug können Anlass dazu geben, die Verfolgung nach § 154 a Abs. 2 StPO auf andere Gesichtspunkte zu beschränken …“
Ob und inwieweit eine Solche Berechnung möglich sein wird, bleibt abzuwarten. Sofern der Prämienschaden nicht berechenbar ist, kommt eine Strafbarkeit wegen vollendeten Eingehungsbetrugs nicht in Betracht.
Zu denken ist aber an eine strafbare Verabredung zu dem Verbrechen des banden- und gewerbsmäßigen Erfüllungsbetrugs gem. § 30 II iVm § 263 III, V StGB.
Der gewerbsmäßige Bandenbetrug gem. § 263 V StGB wird im Mindestmaß mit einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet und ist damit gem. § 12 I StGB ein Verbrechen, zu dessen mittäterschaftlicher Begehung sich A, E und M durch die gemeinsame Planung verabredet haben könnten.
Dazu führt der BGH (a.a.O.) folgendes aus:
„ Das LG hat – worauf der GBA zutreffend hinweist – nicht geprüft, ob sich das Vorgehen der … Angekl. als strafbare Verabredung zu einem Verbrechen des banden- und gewerbsmäßigen (Erfüllungs-)Betruges nach § 30 Abs. 2 StGB iVm § 263 Abs. 5 StGB darstellt. Hierzu bestand aber Anlass, da die … Angekl. … geplant und verabredet hatten, in arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrere Versicherungsgesellschaften irrtumsbedingt zur Auszahlung der Versicherungssumme zu bewegen, um sich durch die zu Unrecht erhaltenen Beträge eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einiger Dauer und Erheblichkeit zu verschaffen. Dies legt nahe, dass die Voraussetzungen einer entsprechenden Verbrechensverabredung vorliegen:
Eine Bande setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstyps zu begehen … Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende, nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle verschaffen will … Die Verabredung eines Verbrechens nach § 30 Abs. 2 Var. 3 StGB erfordert die Willenseinigung von jedenfalls zwei tatsächlich zur Tatbegehung entschlossenen Personen, an der Verwirklichung eines hinreichend konkretisierten Verbrechens mittäterschaftlich mitzuwirken …
Indem die … Angekl. … von Anfang an die arbeitsteilig organisierte betrügerische Einwirkung auf mehrere Versicherungsgesellschaften geplant hatten, können diese Voraussetzungen erfüllt sein. Jeder Beteiligte sollte von den mehrfach erstrebten Auszahlungen der Versicherungsgesellschaften profitieren. Dass sämtlichen Versicherungsgesellschaften lediglich ein identischer Versicherungsfall vorgespiegelt werden sollte, ist hierfür unbeachtlich. Die Begrenzung auf einen kurzen Zeitraum, eine einheitliche Handlungsweise und auf bestimmte Geschädigte stellt die Annahme einer Bandenabrede nicht in … Ebenso wenig ist bei einer solchen Vorgehensweise ein gewerbsmäßiges Handeln ausgeschlossen … Eine gegen eine Bandentat sprechende Beschränkung auf wenige, von vornherein – dh im Zeitpunkt der Bandenabrede – individuell bestimmte Taten … ist den bisherigen Feststellungen des LG nicht zu entnehmen…“