Der Entscheidung des BGH (Urteil vom 22.08.1996 - 4 StR 217/96, nachlesbar in der NStZ 1997, 228) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der dänische Staatsbürger A, der bereits mehrfach wegen Trunkenheit im Verkehr verurteilt worden war und zudem keine gültige Fahrerlaubnis besaß, fuhr am fraglichen Tag mit seinem Fahrzeug von Dänemark via Holland Richtung Deutschland. Unmittelbar nach der Einreise nach Holland kaufte A diverse alkoholische Getränke, die er nachfolgend konsumierte.Gegen 21.30 Uhr fuhr der mittlerweile erheblich alkoholisierte A auf den Grenzübergang Bad Bentheim zu. Hier verlor er alkoholbedingt die Kontrolle über sein Fahrzeug und erfasste mit 70 km/h zwei Grenzbeamte, die ein Fahrzeug kontrollierten. Beide starben noch an der Unfallstelle. Eine um 23.30 Uhr entnomme Blutprobe ergab einen BAK Wert von 1,95 Promille. Aufgrund sachverständiger Ausführungen ging das LG Osnabrück von einer Schuldunfähigkeit des A gem. § 20 StGB aus.den §§
A könnte sich durch das Betrinken und anschließende Fahren gem. § 21 StVG, §§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, 316 Abs. 1, 222, 323a StGB strafbar gemacht haben.
Fangen wir mit § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB an.
Der objektive Tatbestand setzt zunächst das Führen eines Fahreuges in fahruntauglichem Zustand voraus. Indem A über den Grenzübergang fuhr, führte er zunächst im öffentlichen Straßenverkehr ein Fahrzeug. Mit zumindest 1,95 Promille war er auch absolut fahruntauglich (dies beginnt bei 1,1 Promille).
Des Weiteren müsste dadurch eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen entstanden sein. Beide Grenzbeamten starben infolge des alkoholbedingten Kontrollverlustes, so dass eine konkrete Gefahr zu bejahen ist.
Der objektive Tatbestand liegt damit vor.
Aufgrund der hohen Alkoholisierung kann A unterstellt werden, dass er seine Fahruntauglichkeit kannte und eine konkrete Gefahr für die Teilnehmer des Straßenverkehrs billigend in Kauf nahm. Dolus eventualis kann damit bejaht werden, so dass auch der subjektive Tatbestand verwirklicht ist.
Problematisch ist allerdings, dass A aufgrund der Feststellungen eines Sachverständigen schuldunfähig war. (Beachten Sie: die Grenzwerte 2,00 bzw. 3,00 Promille, die Sie in Ihren Klausuren als Bestimmungsmaßstab für §§ 20, 21 StGB zugrunde legen, gelten nicht unwiderleglich. Im Einzelfall ist es Aufgabe eines Sachverständigen, die Schuldunfähigkeit festzustellen).
Fraglich ist nun, ob man mit der Rechtsfigur der actio libera in causa gleichwohl zu einer Bestrafung des A gelangen kann.
Prüfungstipp
Die Ausdehnungs- und die Ausnahmetheorie setzen an § 20 StGB an und sollten daher in einer Klausur auch in der Schuld geprüft werden, nachdem Sie gem. § 20 StGB die Schuldunfähigkeit zum Zeitpunkt des Führens eines Fahrzeuges festgestellt haben.
Die Ausdehnungstheorie dehnt in § 20 den Tatbegriff aus und erfasst das vortatbestandliche, auf die Tatbestandsverwirklichung bezogene Vorverhalten, auch soweit es sich nicht als Versuchshandlung, sondern als bloße Vorbereitung darstellt. Der BGH hat dieses Modell abgelehnt, da "nichts dafür (spreche), daß das Strafgesetzbuch den in §§ 16 I, 16 II, 17 S. 1 und in § 20 unterschiedslos verwendeten Begriff in § 20 in einem weiteren Sinn verstanden wissen will als in jenen anderen Vorschriften. Im übrigen hätte dieses "Ausdehnungsmodell" über die Fallgestaltungen der actio libera in causa hinaus, um die es ihr geht, eine auch unter Präventions- und Gerechtigkeitsgedanken nicht zu rechtfertigende Einschränkung des § 20 StGB zur Folge (vgl. die Fallgestaltung in BGH, NStZ 1995, 329)."
Die Ausnahmetheorie verweist darauf, dass die actio libera in causa eine gewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme zu dem in § 20 verankerten Koinzidenzprinzip sei, wonach die Schuld bei der Begehung der Tat vorliegen müsse. Begründet wird diese Ausnahme mit Gerechtigkeitserwägungen und Präventionsinteressen. Der BGH lehnt auch dieses Modell ab, dieses Mal unter Hinweis auf Art. 103 Abs. 2 GG, wonach Gewohnheitsrecht zu Lasten des Angeklagten unzulässig ist.
Damit scheidet eine Strafbarkeit gem. § 315c durch das alkoholisierte Fahren aus. Fraglich ist nunmehr allerdings, ob eine Strafbarkeit gem. § 315c in Verbindung mit den Grundsätzen der vorsätzlichen actio libera in causa durch das vorangegangene Betrinken in Betracht kommen könnte.
Nach dem Vorverlagerungs- oder Tatbestandsmodell wird dabei der jeweilige Tatbestand der Norm ausgedehnt und als Tathandlung wird bereits an das Betrinken angeknüpft.Die Begründungen für dieses Modell sind unterschiedlich. Der BGH hat jedoch deutlich gemacht, dass bei verhaltensgebundenen Delikten, also solchen, bei denen der Gesetzgeber die Tathandlung vorgegeben hat ("Führen eines Fahrzeuges" bei §§ 315c Abs. 1, 316 oder "falsch aussagen" bei den §§ 153 ff) die actio libera in causa nicht mehr anwendbar sein soll.
Er führt dazu folgendes aus:
"Jedenfalls bei den Delikten der Straßenverkehrsgefährdung und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis ist die Vorverlagerung der Schuld unzulässig. An seiner in BGHSt 17, 333 (= NJW 1962, 1830) - allerdings ohne Begründung - vertretenen abweichenden Auffassung hält der Senat nicht fest. Die verschiedenen Ansätze, mit denen in Rechtsprechung und Literatur die actio libera in causa erklärt wird, bieten zum einen Teil keine tragfähige Grundlage für die Anwendung der Rechtsfigur auf die hier in Rede stehenden Verkehrsstraftaten; zum anderen Teil sind sie mit dem geltenden Recht nicht in Einklang zu bringen.
(1) Mit der Erwägung, daß, wenn der Alkoholkonsum zur Schuldunfähigkeit führt, bereits das Sichbetrinken die eigentliche Tatbestandshandlung darstellt...., kann die Anwendung der actio libera in causa auf die Straßenverkehrsgefährdung und das Fahren ohne Fahrerlaubnis nicht begründet werden. Diese sogenannte "Tatbestandslösung" ...., der die Vorstellung zugrunde liegt, daß bereits das Trinken ein Anfang der Ausführung der geplanten Tat ist ...., mag, was hier keiner Entscheidung bedarf, trotz aller grundsätzlichen Bedenken gegen ihren Ansatz ...., bei anderen Delikten eine tragfähige Grundlage für die Rechtsfigur der actio libera in causa darstellen. Bei Tatbeständen aber, die wie die §§ 315c, 316 StGB und § 21 StVG ein Verhalten verbieten, das nicht auch als die Herbeiführung eines dadurch verursachten, von ihm trennbaren Erfolges begriffen werden kann, kann sie die Annahme schuldhafter Taten trotz schuldausschließenden Vollrausches bei der eigentlichen Tathandlung nicht rechtfertigen.... Das gilt nicht nur für den von der StrK angenommenen Fall eines vorsätzlichen Verstoßes gegen diese Vorschriften, sondern auch für fahrlässige Zuwiderhandlungen ....
Die Verkehrsstraftaten nach den § 315c StGB, § 21 StVG setzen voraus, daß der Täter das Fahrzeug "führt". Führen eines Fahrzeugs ist aber nicht gleichbedeutend mit Verursachen der Bewegung. Es beginnt erst mit dem Bewegungsvorgang des Anfahrens selbst (..... Dazu genügt nicht einmal, daß der Täter in der Absicht, alsbald wegzufahren, den Motor seines Fahrzeugs anläßt und das Abblendlicht einschaltet..... Um so mehr muß eine Ausdehnung auf zeitlich vorgelagerte Handlungen nach der gesetzlichen Umschreibung der Tathandlung ausscheiden. Auch im Sichberauschen in Fahrbereitschaft liegt dementsprechend noch nicht der Beginn der Trunkenheitsfahrt.
(2) Im wesentlichen aus denselben Erwägungen kommt die Heranziehung der Grundsätze der actio libera in causa auf die Trunkenheitsfahrt und die Straßenverkehrsgefährdung auch dann nicht in Betracht, wenn man die Rechtsfigur als einen Sonderfall der mittelbaren Täterschaft begreift, bei dem der Täter sich zur Ausführung der Tat seiner eigenen Person als Werkzeug bedient ..... Sieht man von den grundsätzlichen Bedenken gegen dieses Begründungsmodell ab ...., so ist auch nach ihm die tatbestandsmäßige Handlung letztlich das Sichberauschen. Indem der Täter sich berauscht, führt er aber - wie ausgeführt - kein Fahrzeug (im Ergebnis ebenso - allerdings mit dem Hinweis darauf, daß es sich bei der Trunkenheitsfahrt und dem Fahren ohne Fahrerlaubnis um eigenhändige Delikte handelt - Jakobs, 17. Abschn. Rdnr. 67; Roxin, § 20 Rdnr. 61; Salger/Mutzbauer, NStZ 1993, 561 (565))."
Damit kommt eine Strafbarkeit des A gem. §§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, 316 und § 21 StVG nicht in Betracht. A hat sich jedoch gem. § 323a StGB strafbar gemacht, indem er sich vorsätzlich in einen Rausch versetzte.
Diese Tat kann auch nach deutschem Strafrecht bestraft werden, da gem. §§ 3, 9 Abs. 1 StGB der zum Tatbestand gehörende Erfolg = Rauschtat im Inland eintrat. Beachten Sie, dass dieser zum Tatbestand gehörende Erfolg nicht deckungsgleich mit dem "tatbestandlichen Erfolg" eines Erfolgsdelikts ist. Der BGH führt dazu folgendes aus:
"Allerdings tritt der (Gefährdungs-) Erfolg des § 323a StGB bereits mit dem Beginn des Rausches ein. Die Vornahme der Rauschtat ist nicht Tatbestandsmerkmal; sie steht vielmehr außerhalb des Tatbestandes und löst als sogenannte Bedingung der Strafbarkeit die Strafe für die Volltrunkenheit aus .... Was i.S. des § 9 StGB unter dem Merkmal "zum Tatbestand gehörender Erfolg" zu verstehen ist, kann aber nicht ausgehend von der Begriffsbildung der allgemeinen Tatbestandslehre ermittelt werden. Diese Vorschrift will nicht die dogmatische Unterscheidung zwischen Tatbestand und objektiver Bedingung der Strafbarkeit aufgreifen. Nach ihrem Grundgedanken soll deutsches Strafrecht - auch bei Vornahme der Tathandlung im Ausland - Anwendung finden, sofern es im Inland zu der Schädigung von Rechtsgütern oder zu Gefährdungen kommt, deren Vermeidung Zweck der jeweiligen Strafvorschrift ist .... Die Gefahr, der § 323a StGB mit dem Verbot des Sichberauschens entgegenwirken will, ergibt sich aber gerade daraus, daß der Berauschte die Kontrolle über seine körperlichen und geistigen Kräfte verliert und sich oft in ihm wesensfremder Weise sozialschädlich verhält. Dazu gehört auch die Vornahme von Straftaten, also der Rauschtaten, zu denen es hier im Inland gekommen ist."
Darüber hinaus kommt natürlich eine fahrlässige Tötung in 2 Fällen gem. § 222 StGB in Betracht. Wollte man auf das alkoholisierte Fahren als Tathandlung abstellen, dann müsste man die Strafbarkeit erneut wegen der Schuldunfähigkeit gem. § 20 StGB verneinen. Da bei § 222 StGB als fahrlässiges Erfolgsdelikt aber an jede sorgfaltspflichtwidrige Handlung angeknüpft werden kann,die kausal und zurechenbar zum Erfolg geführt hat, kann man als Tathandlung auf das Betrinken abstellen. Ein Rückgriff auf die actio libera in causa ist nicht erforderlich.
Der BGH führt dazu folgendes aus:
"Nach § 222 StGB macht sich strafbar, wer "durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht". Den Tod der beiden Grenzschutzbeamten hat der Angekl. dadurch in vorhersehbarer und vermeidbarer Weise herbeigeführt, daß er Alkohol zu sich nahm und sich in einen Rausch versetzte, obwohl er noch keine Unterkunft gefunden hatte und deswegen damit rechnen mußte, anschließend noch ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen. Die Gefahr eines Unfalls - auch mit der Folge erheblicher Verletzungen oder der Tötung anderer Personen - war dabei gerade für den Angekl. um so deutlicher voraussehbar, als er bereits bei zwei früheren Trunkenheitsfahrten von der Fahrbahn abgekommen war. Dafür, daß der Angekl. bereits bei Vornahme dieser Handlung (dem Trinken) schuldunfähig gewesen sein könnte, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Davon ist - zu Recht - auch die StrK ausgegangen.
Dem Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung steht nicht entgegen, daß der Angekl. bei der Tötungshandlung selbst - also bei dem Unfallgeschehen, als er sich der Grenze näherte - nach der nicht zu beanstandenden Annahme der sachverständig beratenen StrK aufgrund seiner Alkoholisierung (nicht ausschließbar) schuldunfähig i.S. des § 20 StGBwar. Insofern bedarf es - entgegen der Ansicht der StrK - allerdings nicht des Rückgriffs auf die Rechtsfigur der actio libera in causa ... Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs ist bei § 222 StGB - wie auch bei anderen fahrlässigen Erfolgsdelikten - jedes in bezug auf den tatbestandsmäßigen "Erfolg" sorgfaltswidrige Verhalten des Täters, das diesen ursächlich herbeiführt. Aus diesem Grunde bestehen, wenn mehrere Handlungen als sorgfaltswidrige in Betracht kommen (wie hier das Sich-Betrinken trotz erkennbarer Gefahr einer anschließenden Trunkenheitsfahrt einerseits und diese Fahrt selbst andererseits), keine Bedenken, den Fahrlässigkeitsvorwurf an das zeitlich frühere Verhalten anzuknüpfen, das dem Täter - anders als das spätere - auch als schuldhaft vorgeworfen werden kann ...."
Nähere Ausführungen zu diesem Thema finden Sie in unseren ExO`s sowie im GuKO SR I. Einen Auszug aus dem Skript finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12528.