Der BGH - Urteil vom 30. 8. 2000 - 2 StR 204/00, abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de - musste sich mit folgendem Sachverhalt auseinander setzen:
Die beiden Angeklagten, die damals 17-jährige A und ihr seinerzeit 20 Jahre alter Freund B, lebten zusammen in einem kleinen Haus, das ihnen B's Pflegemutter zur Verfügung gestellt hatte; sie selbst bewohnte mit weiteren Pflegekindern, darunter der 15-jährigen J, ein größeres Haus in der Nähe. Zwischen A und J traten im Laufe der Zeit Spannungen auf. A sann daher auf eine Gelegenheit, J eine „gründliche Abreibung” zu verpassen. Diese Gelegenheit bot sich, als die Pflegemutter ein Sängerfest im Dorf besuchte und J in deren Haus allein war. A ging am Abend zu ihr, traf sie an und begann einen Streit. Die beiden Frauen rauften sich in den Haaren. A schlug dabei J zu Boden und brachte ihr mit einem Klappmesser insgesamt 16 Stichverletzungen bei. Anfangs stach sie ihr in den Bauch und in den Rücken. Mit weiteren Stichen fügte sie ihr Verletzungen an den Armen, der linken Hand und am Halse zu. Schließlich versetzte sie ihr in Tötungsabsicht mehrere wuchtige Messerstiche ins Gesicht, von denen einer das Nasenbein zertrümmerte, ein anderer den Oberkiefer durchtrennte und 3 Zähne herausbrach. Beim letzten Stich blieb das Messer so fest im Gesicht stecken, dass A es nicht mehr herausziehen konnte. J lebte zwar noch, war aber so zugerichtet, dass A sie für tot hielt.
Anschließend lief sie nach Hause und berichtete ihrem Freund, dem B, sie habe J erstochen. Beide kehrten daraufhin zum Tatort zurück, um die Spuren der Tat zu beseitigen. Während A draußen blieb, drang B in das Haus ein und fand dort J , die mit blutüberströmtem Kopf regungslos auf dem Rücken lag. Da sie Geräusche von sich gab, die sich wie ein Röcheln anhörten, nahm B zutreffend an, dass sie noch lebe. Er zog ihr das Messer aus dem Gesicht, wusch sich die Hände und suchte nach einem Gegenstand, um die - wie er annahm - bereits Sterbende zu töten. Mit einer beidhändig gehaltenen Wasserflasche schlug er auf ihren Kopf ein, so dass ihr Stirnbein zersplitterte. Das röchelähnliche Geräusch hielt jedoch an - J war noch nicht tot. B legte daraufhin eine Jeansjacke über ihr Gesicht, warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie und würgte sie bis zum Todeseintritt.
Der BGH hat zunächst die Kausalität zutreffend bejaht. Da der Zweittäter B an die Erstursache, die A durch die Stiche gesetzt hatte, angeknüft hat, liegt keine überholende Kausalität vor. Der BGH hat dazu ausgeführt, dass ursächlich jede Bedingung sei, die den Erfolg herbeiführe; dabei sei gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen hätten. Anders verhielte es sich allerdings, wenn ein späteres Ereignis ihre Wirkung beseitige und unter Eröffnung einer neuen Kausalreihe den Erfolg allein herbeiführe. Dagegen schließe es die Ursächlichkeit des Täterhandelns nicht aus, dass ein weiteres Verhalten, sei es des Täters, sei es des Opfers, sei es auch Dritter, an der Herbeiführung des Erfolgs mitgewirkt habe. Ursächlich bleibe das Täterhandeln selbst dann, wenn ein später handelnder Dritter durch ein auf denselben Erfolg gerichtetes Tun vorsätzlich zu dessen Herbeiführung beitrage, sofern er nur dabei an das Handeln des Täters anknüpfe, dieses also die Bedingung seines eigenen Eingreifens sei.
Problematisch für Sie wäre nun in der Klausur die objektive Zurechnung, denn es könnte ein eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten vorliegen, da B vorsätzlich den Tod der J herbei führte. Zu beachten ist jedoch, dass das Handeln des B einen so engen Zusammenhang mit der Ausgangsgefahr aufweist, dass der Erfolg insgesamt noch als Werk der A angesehen werden kann. B hat letztlich in dem von A gesetzten Risiko weiter gehandelt, indem er zur Verdeckung ihre Tat vollendete.
Der BGH, der im objektiven Tatbestand eines Vorsatzdeliktes nicht mit der objektiven Zurechnung arbeitet, hat sich Gedanken darüber gemacht, ob evetuell ein atypischer Kausalverlauf vorliege, der nicht mehr vom Vorsatz des Täters umfasst sein könnte. Er hat dazu ausgeführt, dass die strafrechtliche Haftung der A i.S. eines vollendeten Tötungsverbrechens auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung des tatsächlichen Kausalverlaufs vom vorgestellten entfalle. Abweichungen vom vorgestellten Kausalverlauf seien rechtlich bedeutungslos, wenn sie sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hielten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigten So liege es hier. Der Tod des Opfers sei nicht etwa Folge einer außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegenden Verkettung unglücklicher Umstände, bei der eine Haftung der A für den Erfolg ausscheiden würde. Die Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf sei vielmehr unwesentlich und rechtfertige auch keine andere Bewertung der Tat.
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