Sachverhalt
Die beschwerdeführende Person P beantragte beim Standesamt die Berichtigung ihres Geburtseintrags. Sie wurde bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet und als Mädchen in das Geburtenregister eingetragen. Die Person verfügt über einen atypischen Chromosomensatz und fühlt sich dauerhaft weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugehörig. Sie begehrte, dass die bisherige Geschlechtsangabe „weiblich“ gestrichen und stattdessen die Angabe „inter/divers“ eingetragen wird.
Nach den einschlägigen Vorschriften (§§ 21 Abs. 1 Nr. 3, 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz) ist als Geschlecht lediglich die Angabe „männlich“ oder „weiblich“ zugelassen; daneben besteht die Möglichkeit, auf die Eintragung eines Geschlechts zu verzichten. Daher lehnte das Standesamt den Antrag von P ab. Auch vor dem Amtsgericht und im weiteren Instanzenzug bis zum BGH blieb P erfolglos.
Daraufhin erhebt P form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde.
Zulässigkeit
Das BVerfG ist für die Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG i.V.m. §§ 90 ff. BVerfG zuständig.
P ist als Grundrechtsträger zulässiger Beschwerdeführer. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich auch gegen einen zulässigen Beschwerdegegenstand, nämlich den Ablehnungsbescheid des Standesamts als zuständige Behörde und die diesen bestätigenden gerichtlichen Entscheidungen (Urteilsverfassungsbeschwerde). Dass die Regelungen des Personenstandsrechts neben dem Eintrag „weiblich“ oder „männlich“ keine dritte Möglichkeit bieten, ein Geschlecht positiv eintragen zu lassen, verletzt P möglicherweise im allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG. Die mögliche Grundrechtsverletzung betrifft P auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar. Der Rechtsweg wurde vor der Verfassungsbeschwerde ausgeschöpft (§ 90 BVerfGG), eine Verstoß gegen den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist nicht ersichtlich. Die form- und fristgerecht (vgl. §§ 23, 93 Abs. 1 BVerfGG) eingelegte Verfassungsbeschwerde ist somit zulässig.
Begründetheit:
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn der Beschwerdeführer in einem seiner Grundrechte verletzt ist.
Prüfung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
In Betracht kommt hier zunächst eine mögliche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Dazu ist zunächst der Schutzbereich näher zu bestimmen.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt - so das BVerfG
„die geschlechtliche Identität, die regelmäßig ein konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit ist. Der Zuordnung zu einem Geschlecht kommt für die individuelle Identität herausragende Bedeutung zu; sie nimmt typischerweise eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis der Person als auch dabei ein, wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen wird. Dabei ist auch die geschlechtliche Identität jener Personen geschützt, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind.“
In der Regelung im Personenstandsrecht, wonach als Geschlecht lediglich die Alternativen „weiblich“ oder „männlich“ möglich sind, liegt ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Denn das Personenstandsgesetz ermöglicht der beschwerdeführenden Person, die sich selbst dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnet, keinen Eintrag, der ihrer eigenen Geschlechtsidentität entspricht. Daran ändert auch die Möglichkeit nicht, auf jegliche Angabe beim Merkmal „Geschlecht“ zu verzichten. Denn durch die fehlende Angabe würde nicht abgebildet, dass die beschwerdeführende Person sich nicht als geschlechtslos begreift, sondern nach eigenem Empfinden ein Geschlecht jenseits von männlich oder weiblich hat. Daher wird die selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit der beschwerdeführenden Person spezifisch gefährdet.
Fraglich ist, ob dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Einschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind durch oder auf Grund eines formellen Gesetzes möglich. Jedoch muss dabei in besonderer Weise der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden. Es bedarf also zunächst eines legitimen Zwecks, der durch die gesetzliche Regelung in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise verfolgt wird.
Belange Dritter kommen zunächst als legitimer Zweck nicht in Betracht. Denn durch die bloße Eröffnung der Möglichkeit eines weiteren Geschlechtseintrags wird niemand benachteiligt, insbesondere niemand gezwungen, sich diesem weiteren Geschlecht zuzuordnen bzw. auf die Möglichkeit sich als „männlich“ oder „weiblich“ registrieren lassen, verzichten.
Auch andere Zwecke können den Eingriff nicht rechtfertigen. Dazu führt das BVerfG aus:
„Ordnungsinteressen des Staates vermögen die Verwehrung einer weiteren einheitlichen positiven Eintragungsmöglichkeit ebenfalls nicht zu rechtfertigen. (…) Durch die Ermöglichung des positiven Eintrags eines weiteren Geschlechts unter einer dritten Bezeichnung entstehen keine Zuordnungsprobleme, die sich nach geltendem Recht nicht ohnehin schon stellen. (…) Auch die Dauerhaftigkeit des Personenstands wird durch die Option eines weiteren Geschlechtseintrags nicht beeinträchtigt, weil mit der bloßen Schaffung einer weiteren Eintragungsmöglichkeit zum Geschlecht keine Aussage zu den Voraussetzungen des Wechsels des Personenstands getroffen ist.“
Daher kann der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht gerechtfertigt werden und die gesetzliche Regelung ist verfassungswidrig.
Da das Urteil, bzw. die ablehnende Entscheidung des Standesamtes, auch auf dem Gesetz beruhen, sind sie ebenfalls verfassungswidrig.
Prüfung von Gleichheitsgrundrechten
Neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht kommt auch eine Verletzung des Diskriminierungsverbots gem. Art. 3 Abs. 3 GG in Betracht.
Dabei ist zunächst fraglich, ob Art. 3 Abs. 3 GG überhaupt einschlägig ist. Als verbotenes Differenzierungsmerkmal kommt das „Geschlecht“ in Betracht. Das BVerfG führt dazu aus:
„…Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG schützt nicht nur Männer vor Diskriminierungen wegen ihres männlichen Geschlechts und Frauen vor Diskriminierungen wegen ihres weiblichen Geschlechts, sondern schützt auch Menschen, die sich diesen beiden Kategorien in ihrer geschlechtlichen Identität nicht zuordnen, vor Diskriminierungen wegen dieses weder allein männlichen noch allein weiblichen Geschlechts. Zweck des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG ist es, Angehörige strukturell diskriminierungsgefährdeter Gruppen vor Benachteiligung zu schützen. Die Vulnerabilität von Menschen, deren geschlechtliche Identität weder Frau noch Mann ist, ist in einer überwiegend nach binärem Geschlechtsmuster agierenden Gesellschaft besonders hoch. Der Wortlaut des Art.3 Abs. 3 S. 1 GG lässt es ohne Weiteres zu, sie in den Schutz einzubeziehen. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG spricht ohne Einschränkung allgemein von „Geschlecht“, was auch ein Geschlecht jenseits von männlich oder weiblich sein kann….Die Entstehungsgeschichte steht der Annahme, dass Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG die Diskriminierung wegen eines weiteren Geschlechts erfasst, ebenfalls nicht entgegen. Dass dem Verfassungsgeber 1949 bei der Formulierung von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG kaum Menschen weiteren Geschlechts vor Augen gestanden haben dürften, hindert die Verfassungsinterpretation nicht daran, diese Menschen angesichts des heutigen Wissens um weitere geschlechtliche Identitäten in den Diskriminierungsschutz einzubeziehen.“
Die gesetzliche Regelung des §§ 21, 22 PStG stellt eine Ungleichbehandlung dar, die an dem verbotenen Differenzierungsmerkmal „Geschlecht“ ansetzt. Den es werden dadurch Menschen, die weder männlichen noch weiblichen Geschlechts sind, „wegen“ ihres Geschlechts benachteiligt, da sie im Gegensatz zu Männern und Frauen nicht ihrem Geschlecht gemäß registriert werden können.
Insgesamt verletzt die bisherige gesetzliche Regelung also sowohl das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG als auch das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG.
Die Verfassungsbeschwerde ist daher begründet.
Fazit und Hinweise:
Die Entscheidung belegt die besondere Bedeutung der Grundrechte als Minderheitenschutz. Das BVerfG hatte bereits in früheren Entscheidungen die rechtliche Stellung von Transsexuellen (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 11.01.2011, Az. 1 BvR 3295/07) entscheidend verbessert. Intersexualität ist ein komplexes Problem, das medizinische, psychologische, soziologische und rechtliche Aspekte berührt. Zugleich zeigt die Entscheidung, dass auch solch komplizierte Konstellationen unter handwerklich sauberer Anwendung der Instrumente allgemeiner Grundrechtsdogmatik angemessen und überzeugend gelöst werden können.
Das BVerfG hat dem Gesetzgeber nun den Auftrag erteilt, bis zum 31. Dezember 2018 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu schaffen. Zwei mögliche Wege hat das BVerfG dabei vorgezeichnet: Der Gesetzgeber könnte für die betroffenen Personen die Möglichkeit schaffen, eine weitere positive Bezeichnung eines Geschlechts zu wählen. Daneben könnte der Gesetzgeber aber auf einen personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag generell verzichten.