Sachverhalt (gekürzt)
Die Stadt K ist Betreiber eines öffentlichen Schwimmbads als öffentliche Einrichtung. Für dieses hat der Stadtrat formell ordnungsgemäß am 1. März 2019 eine Badeordnung erlassen.
Darin sind neben Vorschriften über den Zugang zum Schwimmbad detaillierte Regelungen für die zulässige Badebekleidung enthalten.
„Ziffer 7 – Badebekleidung
- Der Aufenthalt im Nassbereich des Schwimmbads ist nur in Badehose, Badeanzug, Bikini und Badeshorts gestattet.
- Leistungsschwimmer und Triathleten dürfen im Rahmen des Schwimmtrainings Neoprenanzüge tragen.
- Das Tragen einer Burkini ist ausschließlich im Rahmen des Schulschwimmens gestattet.
- Besucher, die diese Vorschriften missachten oder sonst gegen das Hausrecht verstoßen, können vorübergehend oder dauernd vom Besuch des jeweiligen Bades ausgeschlossen werden.“
Begründet wird der Ausschluss der Burkini für den allgemeinen Badebetrieb mit hygienischen und gesundheitlichen Gründen. So müsste das Badepersonal die Möglichkeit haben bei Badegästen offene Wunden, auffällige Hautausschläge oder Hinweise auf meldepflichtige Krankheiten zu erkennen. Dies sei nur beim Tragen üblicher Badebekleidung möglich. Bei vollständiger Bekleidung der Badegäste sei eine solche Kontrolle dagegen nicht denkbar.
B ist strenggläubige Muslima. Aus gesundheitlichen Gründen möchte sie gerne regelmäßig das öffentliche Schwimmbad besuchen. Sie kann sich dies allerdings nur vorstellen, wenn sie eine Burkini trägt, da ihr Körper in einem Badeanzug – oder gar einem Bikini – den Blicken fremder Männer ausgesetzt sei, was ihr ihre Religion verbiete. Sie hält die Badeordnung für diskriminierend. Unabhängig davon, dass der Ausschluss einer Burkini im allgemeinen Badebetrieb ihre Religionsfreiheit verletze, werde sie auch gegenüber Gästen benachteiligt, die Neoprenanzüge tragen dürften. Denn gesundheitlich-hygienische Bedenken – soweit sie überhaupt begründet seien – träfen dann jedenfalls auch auf diese zu. Widersprüchlich sei die Badeordnung zudem insofern, als Burkinis im Schulschwimmen zugelassen werden. Auch dies zeige, dass das Verbot des Tragens von Burkinis im allgemeinen Badebetrieb willkürlich sei.
B möchte Rechtsschutz unmittelbar gegen die Badeordnung ersuchen.
Hat ihr Begehren Aussicht auf Erfolg?
Eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist nicht zu prüfen.
Lösung
Zulässigkeit
Es kommt hier eine abstrakte Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Betracht.
Dafür müsste es sich zunächst um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handeln. Dies ist nicht unproblematisch, da die Nutzungsverhältnisse eines öffentlichen Schwimmbads sowohl privatrechtlich als auch öffentlich-rechtlich ausgestaltet sein können. Die Gemeinde hat insoweit ein Wahlrecht. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um öffentliche Einrichtungen im Sinne des Kommunalrechts handelt, bei denen den Einwohnern der Gemeinde ein dem öffentlichen Recht zugehöriger Anspruch auf Benutzung eingeräumt ist. Es ist nämlich durchaus möglich, dass zwar das „Ob“ des Zugangs öffentlich-rechtlich, die Einzelheiten des „Wie“ der Nutzung aber privatrechtlich ausgestaltet sind (Zwei-Stufen-Theorie).
„Für den Charakter der Badeordnung als einer einheitlichen öffentlich-rechtlichen Regelung und damit für eine öffentlich-rechtliche Ausgestaltung auch des Benutzungsverhältnisses sprechen aber die Art und Weise sowie die äußere Form, in der die Badeordnung erlassen wurde. Hier ist davon auszugehen, dass der Stadtrat mit der Badeordnung eine einheitliche hoheitliche Regelung erlassen hat. (…) Außerdem ist die Bezeichnung der Regelung als „Badeordnung“ ein Indiz für deren öffentlich-rechtlichen Charakter. Die Regelung über die Ausübung des Hausrechts in Ziff. 7 Nr. 4 bildet die Grundlage für den Erlass von Verwaltungsakten, durch die das subjektiv-öffentliche Recht der Gemeindeeinwohner auf die Benutzung der städtischen Bäder eingeschränkt wird. Es spricht in den Fällen, in denen eine Gemeinde eine öffentliche Aufgabe durch Errichtung einer von ihr betriebenen öffentlichen Einrichtung erfüllt und die Benutzer zudem einen öffentlich-rechtlichen Benutzungsanspruch haben, die dadurch begründete Zuordnung der entsprechenden Regelungen zum öffentlichen Recht im Zweifel dafür, dass das gesamte Benutzungsverhältnis dem öffentlichen Recht angehört.“
Danach handelt es sich also um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit.
Der Antrag müsste auf eine abstrakte Normenkontrolle müsste auch statthaft sein. Nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist eine abstrakte Normenkontrolle statthaft gegen im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt. Hier ist davon auszugehen, dass das Landesrecht eine solche Ermächtigung enthält, so dass der Antrag statthaft ist.
B ist auch nach § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO antragsbefugt, weil die Regelungen in der Badeordnung zumindest möglicherweise ihr Recht auf allgemeine Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG verletzen. Daneben kommt auch eine mögliche Verletzung in der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG oder der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Betracht. Zudem wird durch die Regelung ihr kommunalrechtlich garantierter Anspruch auf Zugang zu öffentlichen Einrichtungen beschränkt und es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass diese Beschränkung rechtswidrig erfolgte.
Die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO wurde gewahrt. Der Antrag richtet sich gem. § 47 Abs. 2 S. 2 VwGO gegen die juristische Person, die die Rechtsvorschrift erlassen hat. Dies ist hier die Stadt K.
Die Antragstellerin B sowie die Antragsgegnerin K sind hier nach den §§ 61, 62 VwGO beteiligten- und prozessfähig.
Somit ist der Antrag der B im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle nach § 47 VwGO zulässig.
Begründetheit
Der Antrag müsste auch begründet sein. Der Normenkontrollantrag ist begründet, wenn die angegriffene Rechtsvorschrift gegen höherrangiges Recht verstößt. Die Norm wird hier also insgesamt auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft und nicht nur im Rahmen der subjektiven Rechte der Betroffenen
Die Badeordnung wurde formelle ordnungsgemäß erlassen.
Fraglich ist, ob sie auch materiell rechtmäßig, also mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Hier kommt insbesondere ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht. Nach Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Daher darf wesentlich Gleiches nicht ungleich behandelt werden.
Hier kommt eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes unter dem Aspekt in Betracht, dass das Tragen eines Neoprenanzugs erlaubt ist, das Tragen einer Burkini jedoch nicht. Als gemeinsamer Oberbegriff dieser beiden Kleidungsstücke kann man „Ganzkörper-Badebekleidung“ benennen. Neoprenanzug und Burkini unterscheiden sich gemeinsam von der anderen Badebekleidung dadurch, dass die Arme und Beine, sowie teilweise sogar der Kopf vollständig abgedeckt sind.
Die Ungleichbehandlung dieser beiden Sachverhalte liegt darin, dass ein Neoprenanzug – jedenfalls von Triathleten bei ihrem Schwimmtraining – getragen werden darf, während das Tragen einer Burkini im Nassbereich des öffentlichen Schwimmbads verboten ist – mit einer engen Ausnahme, die auf den Schulsport beschränkt ist und daher für die B von vornherein nicht in Betracht kommt.
Fraglich ist, ob diese Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Je nach Sachverhalt wird dies von einer bloßen Willkürprüfung bis zu einer vollständigen Verhältnismäßigkeitsprüfung beurteilt. Da sich die Ungleichbehandlung der Burkini hier zugleich auf die Ausübung ihrer Freiheitsgrundrechte, insbesondere der Religionsfreiheit auswirkt, muss man von einer strengeren Prüfung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit ausgehen. Die Ungleichbehandlung könnte verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden, wenn zwischen den beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen können.
Die Stadt verweist hier zur Begründung des Burkini-Verbots auf hygienische Aspekte und somit den Gesundheitsschutz der übrigen Badegäste. Das ist grundsätzlich ein sachlicher Grund. Allerdings ist zweifelhaft, ob die Differenzierung zwischen (Verbot der) Burkini und (Erlaubnis des) Neoprenanzugs geeignet, erforderlich und angemessen ist, dieses Ziel zu fördern.
„Ein Burkiniverbot mag zwar – für sich betrachtet – zunächst in plausibler Weise dem Anstaltszweck dienen, da es zum Schutz der Gesundheit der anderen Badegäste beiträgt. Allerdings wird dieser Zweck von der Bestimmung nicht konsequent durchgehalten. Vielmehr belastet sie die Trägerinnen von Burkinis ohne zureichende sachliche Gründe stärker als vergleichbare andere Gruppen von Badegästen, welche die städtischen Schwimmbäder mit Badebekleidung nutzen dürfen, die den Körper ebenfalls weitgehend bedeckt. Eine ausreichende sachliche Rechtfertigung dafür, dass die angegriffene Vorschrift Neoprenanzüge für Leistungsschwimmer und Triathleten im Rahmen des Schwimmtrainings zulässt, ist im Hinblick auf das den Gesundheitsschutz der Badegäste verfolgende Regelungskonzept der Antragsgegnerin nicht erkennbar. Neoprenanzüge können ebenso wie Burkinis den ganzen Körper bedecken und haben unter Umständen eine Kopfhaube, lassen daher zur Kontrolle durch das Badepersonal nicht weniger Körperteile frei als Burkinis. Nach alledem ist die ungleiche Behandlung von Burkini-Trägerinnen einerseits und Träger von Neoprenanzügen andererseits sachlich nicht gerechtfertigt.“
Somit verstößt die Regelung in der Badeordnung über die Burkinis gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Der Antrag der B ist also zulässig und begründet und wird Erfolg haben. Das OVG wird die Rechtsvorschrift für ungültig erklären und zwar nach § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO allgemein verbindlich.
Weiterführende Hinweise
Der Antrag nach § 47 VwGO ist gem. § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, statthaft. Dies betrifft insbesondere Bebauungspläne (§ 10 BauGB).
Daneben ist ein Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthaft gegen andere im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschriften (also insbesondere Rechtsverordnungen und Satzungen), sofern das Landesrecht dies bestimmt. Soweit ersichtlich haben inzwischen alle Länder von dieser Möglichkeit Gebraucht gemacht, mit Ausnahme von Berlin und Hamburg. Auch in Nordrhein-Westfalen wurde zum 01.01.2019 mit § 109a JustG NRW diese Möglichkeit geschaffen. Damit können beispielsweise kommunale Abgabensatzungen, Anstalts- oder Benutzungsordnungen, aber auch ordnungsbehördliche Verordnungen Gegenstand einer abstrakten Normenkontrolle sein.
Die Originalentscheidung beruht auf einem Antrag im einstweiligen Rechtsschutz, der nach § 47 Abs. 6 VwGO statthaft ist.
Wegen des Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz musste sich das OVG Rheinland-Pfalz nicht mit Fragen der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG befassen.