Mit dieser Frage musste sich jüngst der BGH (NStZ 2021,290) befassen. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der 65-jährige A und die 17-jährige J, die eine Liebesbeziehung miteinander haben, beschließen, gemeinsam auf dem Leben zu scheiden. Aus diesem Grund A im Innenraum seines Wohnwagens, in welchem sich beide regelmäßig aufhalten, Benzin und zündet es an. Das Feuer breitet sich innerhalb kürzester Zeit aus und ergreift auch den daneben parkenden PKW des A. Nunmehr entschließt sich A, sich selbst und auch F in Sicherheit zu bringen. Es gelingt ihm, ein Fenster zu öffnen und der F durch dieses herauszuhelfen. F erleidet Verbrennungen am Rücken, Unterarm, Knie und Wade und muss 5 Tage stationär behandelt werden. Der Wohnwagen brennt ebenso wie das Fahrzeug des A komplett aus.
Das LG hat A wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 5 StGB in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung gem. §§ 306a I Nr. 3, 306b II Nr. 1 StGB verurteilt.
Expertentipp
Natürlich muss man auch an versuchten Totschlag gem. §§ 212, 22, 23 StGB denken. Davon ist A aber jedenfalls strafbefreiend gem. § 24 I StGB zurückgetreten, indem er F aus dem Wagen half.
Bei der Prüfung des Grundtatbestands des § 223 I StGB müsste in einer Klausur im objektiven Tatbestand zunächst thematisiert werden, ob nicht die objektive Zurechnung aufgrund einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung durchbrochen ist. F hat sich in den Wohnwagen begeben und diesen auch nicht verlassen, als A das Benzin verschüttete. Von daher kann, auch wenn A das verschüttete Benzin anzündete, von einer Selbstgefährdung in Abgrenzung zur Fremdgefährdung ausgegangen werden.
Hinweis
Etwas anderes ergibt sich nach Auffassung des BGH nur dann, wenn das Opfer sich der Tatherrschaft begibt und den Tod „duldend“ vom Täter entgegennimmt.
In diese Selbstgefährdung muss sich das Opfer aber auch eigenverantwortlich hineinbegeben. Nach dem von der h.M. – auch dem BGH – vertretenen Einwilligungsmaßstab setzt das voraus, dass das Opfer in der Lage ist, die Tragweite seines Handelns zu erkennen und dass der Entschluss frei von Täuschung, Drohung oder Zwang gefasst wurde.
Hinweis
Dies schien im vorliegenden Fall nicht gegeben zu sein, weswegen dieses Thema bei der Entscheidung letztlich ohne Relevanz war. In einem Klausursachverhalt würden Sie hier nähere Angaben finden, die Sie entsprechend auswerten müssten.
Sofern eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung ausgeschlossen ist, kann der Tatbestand des § 223 I StGB bejaht werden, zumal im Tötungsvorsatz der Körperverletzungsvorsatz mit enthalten ist, da eine Tötung ohne Verletzung eines Körpers nicht möglich ist.
Auch § 224 I Nr. 5 StGB ist tatbestandlich verwirklich, tritt aber im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter § 306b II Nr. 1 StGB zurück. Nach h.M. ist für § 224 I Nr. 5 StGB nur eine abstrakt lebensgefährdende Handlung erforderlich, wohingegen § 306b II Nr. 1 StGB eine konkrete Todesgefahr voraussetzt. Liegt diese vor, verdrängt die konkrete Gefahr die abstrakte. § 223 I StGB steht aber in Tateinheit zu § 306b II Nr. 1 StGB, da deutlich gemacht werden muss, dass es nicht nur zu einer konkreten Gefahr, sondern auch zu einer daraus resultierenden Verletzung gekommen ist.
Durch das Anzünden des Wohnwagens hat A § 306a I Nr. 3 StGB verwirklicht. Der Wohnwagen ist eine Räumlichkeit, die dem Aufenthalt von Menschen dient. Diese Räumlichkeit hat A zu einer Zeit, zu der sich Menschen dort aufzuhalten pflegen, vorsätzlich in Brand gesetzt. Dadurch hat er des Weiteren vorsätzlich eine konkrete Gefahr des Todes gem. § 306b II Nr. 1 StGB herbeigeführt.
Expertentipp
Auch hier gilt: eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung würde den Zurechnungszusammenhang durchbrechen.
Nunmehr stellt sich aber die Frage, ob A nicht tätige Reue gezeigt hat und eine Strafmilderung gem. § 306e StGB in Betracht kommen könnte.
Expertentipp
Diesen Aspekt sprechen Sie in einer Klausur nach der Schuld an.
Der Wortlaut verhindert eine direkte Anwendung des § 306e StGB, da der Täter hiernach den „Brand löschen“ muss. A hat aber nicht den Brand gelöscht, sondern das gem. § 306b II Nr. 1 StGB konkret gefährdete Opfer gerettet, was wahrscheinlich die effektivere Rettung des Opfers war. Fraglich ist nun, ob § 306e StGB analog angewendet werden kann.
Art. 103 II GG steht dieser Analogie zunächst nicht entgegen, da hiernach nur Analogien zulasten des Täters, nicht aber zugunsten des Täters verfassungswidrig sind.
Hinweis
Denken Sie an die analoge Anwendung des § 16 I StGB beim Erlaubnistatbestandsirrtum.
Eine Analogie hat folgende Voraussetzungen, die der BGH (a.a.O.) nun einzeln durchgeht:
- es muss eine planwidrige Regelungslücke bestehen, was dann nicht der Fall ist, wenn sich aus der Gesetzesbegründung, dem Rechtsgüterschutz und der Systematik ergibt, dass der Gesetzgeber diesen Fall nicht regeln wollte,
- und die Analogie muss aufgrund der Ähnlichkeit des gesetzlich nicht geregelten Falls mit dem gesetzlich geregelten Fall dem Gerechtigkeitsgebot entsprechen.
Verglichen werden muss § 306e StGB dabei mit den anderen, nachfolgend geregelten „Tätige Reue“ Vorschriften der §§314a und 320 StGB, die ausdrücklich davon sprechen, dass der Täter „freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder sonst die Gefahr abwendet.“ Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber hier ein „sonstiges Abwenden der Gefahr“ in die Norm aufgenommen hat, dies aber § 306e StGB unterlassen und nur auf das Löschen des Brandes abgestellt hat, könnte geschlossen werden, dass eine tätige Reue bei den §§ 306a II und 306b II Nr. 1 StGB durch die Rettung des Opfers = Abwenden der Gefahr nicht möglich ist und der Gesetzgeber diese Lücke absichtlich gesetzt hat.
Dem widerspricht der BGH aber mit folgender Argumentation:
Zur Gesetzesbegründung: „Die Gesetzesbegründung steht dem nicht entgegen. Ein Wille des Gesetzgebers, die Fälle des § 306 aAbs. 2 StGB und § 306 b Abs. 2 Nr. 1 StGB vom Anwendungsbereich des § 306 e StGB auszunehmen, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen.“
Hinweis
Warum dies der Fall ist, führt der BGH unter Bezugnahme auf die Gesetzgebungsgeschichte im Einzelnen aus. Sie können dies nachlesen bei NStZ 2021, 290.
Zur Systematik: „Diese lässt sich jedoch durch die unterschiedlichen Tathandlungen der Straftatbestände erklären. Denn die §§ 306 ff. StGB knüpfen allein an das Inbrandsetzen einer Sache beziehungsweise die Brandlegung durch den Täter an, wohingegen die §§ 307 ff. StGB auf eine Vielfalt von Handlungen, wie das Herbeiführen einer Explosion durch Freisetzen von Kernenergie, das Freisetzen ionisierender Strahlen, das Bewirken von Kernspaltungsvorgängen oder das Herbeiführen einer Überschwemmung abstellen. Diese Tathandlungen können wiederum auf unterschiedliche Weise bewirkt werden. Auch die §§ 315 ff. StGB beziehen sich auf verschiedene Arten der Zerstörung von Anlagen, des Bereitens von Hindernissen oder ähnliche gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr. Bereits auf Grund der vorhandenen unterschiedlichen Arten der gefahrverursachenden Tathandlungen bietet sich im Rahmen der §§ 307 ff., 315 ff. StGB für die Regelung der tätigen Reue eine allgemeine Formulierung der „Gefahrabwendung“ an, um alle Tathandlungen zu erfassen. Dies ist bei den §§ 306 ff. StGB, die lediglich das Inbrandsetzen bzw. die Brandlegung vorsehen, nicht erforderlich. Zum anderen können die Tathandlungen nach §§ 307 ff., 315 ff. StGB nicht mehr rückgängig gemacht, sondern – im Fall der Unternehmensdelikte – nur von ihnen abgesehen oder – im Fall der konkreten Gefährdungsdelikte – die entstandene Gefahr und damit die Folgen der Tat beseitigt werden. Entsprechend knüpft die tätige Reue nach §§ 314 a, 320 StGB an die freiwillige Aufgabe der Tatausführung oder die sonstige Abwendung der Gefahr an. Dies ist im Falle der §§ 306 ff. StGB ebenfalls anders, da dort die Tathandlung des Inbrandsetzens durch das Löschen des Brandes quasi wieder rückgängig gemacht und bereits hierdurch die Gefahr abgewendet werden kann.“
Zum Rechtsgüterschutz: „Durch die vom Gesetzgeber in § 306 e StGB gewählte Formulierung bleibt aber unberücksichtigt, dass es Situationen geben kann, in denen eine andere Gefahrbeseitigung als das Löschen des Brandes effektiver sein kann, etwa wenn ein Löschen nicht mehr ohne Weiteres möglich ist, die Gefahr aber durch Verbringung der Person aus dem Gefahrbereich unproblematisch abgewendet werden kann. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nur bei den Brandstiftungsdelikten andere Formen der Gefahrabwendung ausschließen wollte, sondern diese Konstellation bei den §§ 306 ff. StGB übersehen hat; somit liegt eine planwidrige Regelungslücke vor.“
Damit kann § 306e StGB analog angewendet werden, wenn der Täter die Gefahr beseitigt, indem er das Opfer rettet.