A Leitsatz
Der Arbeitgeber verhandelt nicht entgegen § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB deswegen unfair, weil er den von ihm angebotenen Aufhebungsvertrag nur zur sofortigen Annahme unterbreitet und der Arbeitnehmer diesen nur sofort annehmen kann (§ 147 Abs. 1 Satz 1 BGB).
B Tatbestand (vereinfacht und leicht abgewandelt):
Urteil des BAG vom 24.2.2022 – 6 AZR 333/21, NZA 2022, 779
Die Parteien streiten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Am 22. November 2019 führten der Geschäftsführer (G) und der spätere Prozessbevollmächtigte (P) der Beklagten GmbH (B), der sich als Rechtsanwalt für Arbeitsrecht vorstellte, im Büro des G ein Gespräch mit der seit 1. Juni 2015 als Teamkoordinatorin des Verkaufs im Bereich Haustechnik beschäftigten Klägerin (K). Sie erhoben K gegenüber den Vorwurf in der Vergangenheit unberechtigt Einkaufspreise für Waren in der EDV der B reduziert zu haben, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln.
Der K war zuvor nicht mitgeteilt worden, dass dieser Vorwurf Gegenstand des Gesprächs sein würde. In dem Gespräch legten die Vertreter der B der K einen vorbereiteten Aufhebungsvertrag vor, der ein einvernehmliches Ausscheiden der K aus betrieblichen Gründen mit Ablauf des 30. November 2019 vorsah.
Darüber hinaus enthielt er neben einer Abgeltungsklausel für wechselseitige finanzielle Ansprüche u.a. die Verpflichtung der B bis zum Vertragsende die vereinbarte Vergütung zu zahlen und ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen.
Nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, unterzeichnete die K den angebotenen Aufhebungsvertrag. Die weiteren Einzelheiten zum Verlauf des Gesprächs sind streitig geblieben.
K wurde in dem Gespräch am 22. November 2019 für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrags die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung sowie die Erstattung einer Strafanzeige angedroht. Ihrer Bitte, eine längere Bedenkzeit zu erhalten und Rechtsrat einholen zu können, hat die B nicht entsprochen. Vielmehr habe P der K erklärt, dass dann, wenn sie durch die Tür gehe, der Abschluss des Aufhebungsvertrags nicht mehr in Betracht komme. Vor diesem Hintergrund hat K sich dazu bestimmen lassen, den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen.
Die K focht den Aufhebungsvertrag mit Schreiben vom 29. November 2019 wegen widerrechtlicher Drohung an.
Fallfrage:
Ist der Arbeitsvertrag durch den Aufhebungsvertrag vom 22.11.2019 zum 30.11.2019 aufgehoben worden?
C Lösung
I Der Arbeitsvertrag vom 1.6.2015 könnte durch den Aufhebungsvertrag vom 22.11.2019 zum 30.11.2019 aufgehoben worden sein.
Die Aufhebung eines Arbeitsvertrags kann von den Parteien im Wege der Privatautonomie nach § 311 Abs. 1 vereinbart werden. Das Bestehen der Einigung ist im vorliegenden Fall unproblematisch, insbesondere ist die B gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 ordnungsgemäß vertreten worden.
Fraglich ist, ob die Einigung wirksam ist.
1 Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung
K wurde für den Fall der Nichtunterzeichnung die fristlose Kündigung und eine Strafanzeige angekündigt. Darin ist eine Hinzufügung eines Übels, welche als vom Machtbereich des Ankündigenden abhängig dargestellt wird, zu erblicken.
a Die Drohung müsste zudem widerrechtlich sein.
„Die Drohung mit einer (außerordentlichen) Kündigung ist dann widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte (vgl. etwa BAG 21. April 2016 - 8 AZR 474/14 - Rn. 54 mwN). Nicht erforderlich ist allerdings, dass die angedrohte Kündigung, wenn sie erklärt worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte. Von einem verständigen Arbeitgeber kann nicht generell verlangt werden, dass er bei seiner Abwägung die Beurteilung des Tatsachengerichts „trifft“. Nur wenn er unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Falle ihrer Erklärung einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er sie nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen. (…) Die Drohung mit einer Strafanzeige ist rechtmäßig, wenn sie nur dazu dient, den Täter zur Wiedergutmachung des Schadens zu veranlassen. Eine solche Drohung ist nicht widerrechtlich, da das Mittel, also das angedrohte Verhalten und der Zweck, die Schadenswiedergutmachung, nicht, auch nicht in der Mittel-Zweck-Relation, widerrechtlich sind. Auch hier ist darauf abzustellen, ob ein verständiger Arbeitgeber die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung gezogen hätte.“
An diesem Maßstab ändert auch die Tatsache nichts, dass ein Rechtsanwalt auf Seiten des Arbeitgebers beteiligt war. Dessen Teilnahme ermöglicht nur eine fachkundige Beurteilung der Rechtslage durch den Arbeitgeber, sie verändert aber nicht den dargestellten Prüfungsmaßstab.
Im vorliegenden Fall durfte B davon ausgehen, dass die K ihre Pflichten durch Manipulation der EDV schwerwiegend verletzt hat. In einer solchen Situation ist der Arbeitgeber nicht gehalten zunächst eine Abmahnung auszusprechen. Auch durfte B von der Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Abs. 2 ausgehen.
Auch durfte der Arbeitgeber in der vorliegenden Situation vom Vorliegen von Straftaten ausgehen.
b Zwischenergebnis
Die Drohung war vorliegend nicht widerrechtlich und daher ein Anfechtungsgrund gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 2 nicht gegeben.
2 Widerruf des Aufhebungsvertrags gemäß §§ 355 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 312g, 312b
Da der Aufhebungsvertrag in den Geschäftsräumen der B abgeschlossen wurde, liegt bereits kein Außergeschäftsraumvertrag gem. § 312b vor.
Darüber hinaus sind die §§ 312 ff. nach ständiger Rechtsprechung auf Aufhebungsverträge nicht anwendbar. Die Vorschriften erfassen nur Verträge, bei denen vom Unternehmer gegenüber dem Verbraucher eine vertragscharakteristische Leistung erbracht wird.
Der Aufhebungsvertrag ist daher nicht widerruflich.
3 Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2, § 249 Abs. 1
„Das Gebot fairen Verhandelns ist eine durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht iSd. § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB. § 241 Abs. 2 BGB schützt mit den „Interessen“ nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich auch die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners (BT-Drs. 14/6040 S. 126). Die Bestimmung trägt so dem Gebot Rechnung, unzulässiger Fremdbestimmung bei der Willensbildung in der vorkonsensualen Phase wirksam zu begegnen. Das Gebot fairen Verhandelns wird missachtet, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird. Bei Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags kann eine Seite gegen ihre Verpflichtungen aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, wenn sie eine Verhandlungssituation herbeiführt oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt. Dabei geht es nicht um das Erfordernis der Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation, sondern um das Gebot eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses § 241 Abs. 2 BGB zwingt nicht zu einer Verleugnung der eigenen Interessen, sondern nur zu einer angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite, indem er unfaire Verhandlungen missbilligt“
Das Gebot des fairen Verhandelns schützt nicht den Inhalt des Vertrags, sondern den Weg zum Vertragsschluss. Insoweit besteht ein wesentlicher Unterschied zur Sittenwidrigkeitskontrolle nach § 138. Die Anforderungen an einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns werden von der Rechtsprechung hoch angesetzt.
„Der Senat hat ausgehend von diesem Ansatz eine Verhandlungssituation erst dann als unfair bewertet, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht.“
Ob die Anforderungen erfüllt sind, ist stets unter Betrachtung der Gesamtumstände in der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden.
Ein relevantes Kriterium kann unter anderem aus unangenehmen Rahmenbedingungen folgen.
Hinweis
So verhält es sich beispielsweise, wenn der Arbeitnehmer unter einem anderen Vorwand in das Zimmer des Vorgesetzten gebeten wird, um ihn dort mehrere Stunden in einer kreuzverhörähnlichen und von Außenkontakten isolierten Situation so lange festzuhalten, bis er den Aufhebungsvertrag unterzeichnet.
Dabei kann die Nutzung eines Überraschungsmoments zu berücksichtigen sein.
„Eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit ist jedoch nicht allein deswegen gegeben, weil der eine Auflösungsvereinbarung anstrebende Arbeitgeber dem Arbeitnehmer kein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräumt. Auch eine Ankündigung des Unterbreitens einer Aufhebungsvereinbarung ist nicht erforderlich.“
K hätte damit nicht vorab über das Thema des Treffens informiert werden müssen.
Fraglich ist, ob sich eine unfaire Behandlung daraus ergibt, dass das Aufhebungsvertragsangebot nur zur sofortigen Annahme angeboten wurde.
„Für den Inhalt des Gebots fairen Verhandelns ist entscheidend, dass diese Nebenpflicht - wie dargelegt - die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners als Interesse iSd. § 241 Abs. 2 BGB schützt. Dieser soll „Herr“ über seine Entscheidung sein und bleiben. Erst wenn dies nicht mehr gegeben ist, kann eine Verhandlungssituation als unfair bezeichnet werden. Muss der Arbeitnehmer bei objektivierter Betrachtung davon ausgehen, dass ihm nur noch eine Option - nämlich die der Unterschrift unter den Aufhebungsvertrag - verbleibt, um sich der Verhandlungssituation zu entziehen, ist seine Entscheidungsfreiheit unfair beeinträchtigt. Führt der Arbeitgeber eine solche Situation herbei oder nutzt er eine solche von ihm vorgefundene Situation aus, verletzt er die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers zurechenbar und schuldhaft.“
„Eine solche Konstellation ist abzugrenzen von der Situation, in der der Arbeitgeber ein nur „Jetzt und Heute“ anzunehmendes Angebot unterbreitet. Damit entspricht er dem gesetzlichen Leitbild, wonach ein unter Anwesenden unterbreitetes Angebot grundsätzlich nur sofort angenommen werden kann (§ 147 Abs. 1 Satz 1 BGB). Hier verbleibt dem Arbeitnehmer die Freiheit zu entscheiden, dieses Angebot nicht anzunehmen und die Situation durch ein schlichtes „Nein“ zu beenden. Dass dies nur um den Preis des Verlustes des Aufhebungsvertragsangebots möglich ist, stellt sich dann nicht als unfair dar, sondern ist ein im Rahmen von Vertragsverhandlungen zulässiger Druck, mit dem der Arbeitgeber auf legitime Weise versucht, sein Verhandlungsziel zu erreichen.“
Aus der alleinigen unterbreiten des Angebots zur sofortigen Annahme kann demnach kein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns abgeleitet werden.
„Ausgehend von diesen Überlegungen stellt es auch kein unfaires Verhandeln dar, wenn der Arbeitgeber der Bitte des Arbeitnehmers nach Einräumung einer (weiteren) Bedenkzeit und/oder Einholung eines Rechtsrates nicht nachkommt, sondern sein Aufhebungsvertragsangebot nur zur sofortigen Annahme unterbreitet und dem Arbeitnehmer zu verstehen gibt, dass er es nicht mehr aufrechterhält, wenn der Arbeitnehmer den Raum verlässt. Einer solchen Situation kann sich der Arbeitnehmer ebenfalls durch ein schlichtes „Nein“ entziehen. Insofern unterscheidet sich die Situation auch von der einer einseitig vom Arbeitgeber erklärbaren Verdachtskündigung, zu deren Voraussetzungen die Anhörung des Arbeitnehmers gehört. Bittet der Arbeitnehmer im Rahmen einer solchen Anhörung um Hinzuziehung eines Rechtsanwalts, so hat der Arbeitgeber dem nachzukommen.“
K wurden im vorliegenden Fall vielmehr zwei Optionen gelassen. Sie konnte gerade zwischen außerordentlicher Kündigung und dem Aufhebungsvertrag wählen. Es wurde bloß klargestellt, dass bei Verlassen des Raumes der Aufhebungsvertrag „vom Tisch“ sei. Hierdurch wurde jedoch gerade keine Situation hergestellt, in der sich die K der Situation nur dadurch entziehen konnte, indem sie den Aufhebungsvertrag unterschrieb. Das bloße Angebot zur sofortigen Annahme entsprach dem gesetzlichen Leitbild und war daher zulässig. Eine Leugnung der eigenen Interessen, um der Durchsetzung der Interessen der K willen, verlangt diese Norm von der B nicht.
Das Gebot fairen Verhandelns wurde auch nicht durch die Drohung mit außerordentlicher Kündigung bzw. Strafanzeige verletzt. Die fehlende Widerrechtlichkeit der Drohung (siehe oben) führt dazu, dass eine Pflichtverletzung nicht angenommen werden kann. Die Zulässigkeit der nicht widerrechtlichen Drohung muss zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch im Rahmen der Pflichtverletzung Berücksichtigung finden.
II Ergebnis
Der Arbeitsvertrag wurde durch den Aufhebungsvertrag vom 22.11.2019 zum 30.11.2019 beendet.