In dem vom BVerfG (Beschl. v. 11.06.2018, 2 BvR 819/18) zu entscheidenden Fall war der Beschwerdeführer im November 2016 wegen des dringenden Tatverdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung und schwerer räuberischer Erpressung in Untersuchungshaft genommen worden. Sieben Monate dauerte es bis zur Einreichung einer Anklageschrift, weitere 13 Monate bis zum ersten Hauptverhandlungstermin. Damit vergingen aufgrund von Umständen, die ausschließlich im Verantwortungsbereich der Staatsanwaltschaft und vor allem des Gerichts lagen (Überlastung) 21 Monate. Die Beschwerden blieben erfolglos, weswegen der Beschwerdeführer schließlich Verfassungsbeschwerde einlegte, die erfolgreich war. Das BVerfG hob die Entscheidung des OLG Dresden auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück.
Das BVerfG setzt sich zunächst einmal mit dem Sinn und Zweck der Untersuchungshaft auseinander und macht deutlich, dass hier das aus Art. 2 II 2 GG ergebende Recht des Inhaftierten auf persönliche Freiheit mit dem Recht der effektiven Strafverfolgung kollidiert. Es führt hierzu aus:
„Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist, …. nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt.“
Aus diesem Grund sind die Strafverfolgungsorgane und die Gerichte gehalten, mit der nötigen Schnelligkeit vorzugehen. Sofern Anklage erhoben und die Eröffnung gem. § 207 StPO beschlossen ist, sollen in der Regel nicht mehr als 3 Monate bis zur Hauptverhandlung vergehen, so das BVerfG. Für die Hauptverhandlung bedeutet der Beschleunigungsgrundsatz, dass zwischen den einzelnen Verhandlungstagen nur max. ein Monat liegen darf, Unterbrechung gem. § 229 II StPO. Wird die Frist nicht gewahrt, ist die Hauptverhandlung auszusetzen mit der Folge, dass das Verfahren von Neuem startet.
Für die Untersuchungshaft regelt § 121 StPO, dass „…der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden (darf), wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.“
Ein wichtiger Grund im Sinne dieser Norm ist nachvollziehbarerer Weise nun aber nicht die Überlastung des Gerichts, schon gar nicht, wenn sie schon seit langer Zeit „Gerichts bekannt“ ist. Das BVerfG führt hierzu aus:
„Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch Verfahrensverzögerungen verursacht ist, die ihre Ursache nicht in dem konkreten Strafverfahren haben und daher von dem Beschuldigten nicht zu vertreten, sondern vermeidbar und sachlich nicht gerechtfertigt sind …. Entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat können zwar kleinere Verfahrensverzögerungen die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermögen aber bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu ….Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann insofern niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein. Vielmehr kann die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts selbst dann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt …. Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen.“
Hinweis
Als Rechtsmittel stehen dem Inhaftierten die Haftprüfung, § 117 StPO, die Haftbeschwerde, § 304 StPO, sowie die weitere Beschwerde, § 310 StPO, zu. Über die Haftprüfung entscheidet der Richter, die Richterin, der oder die auch den Haftbefehl erlassen hat, § 126 I StPO. Über die Haftbeschwerde entscheidet gem. § 306 II StPO zunächst ebenfalls der Richter, die Richterin, der oder die den Haftbefehl erlassen hat. Wird nicht abgeholfen, entscheidet das nächst höhere Beschwerdegericht. Bei einer Fortdauer der U-Haft länger als 6 Monate bedarf es keines Rechtsmittels. Hier ergibt sich aus den §§ 121, 122 StPO, dass „das zuständige Gericht die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor (legt), wenn es die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich hält oder die Staatsanwaltschaft es beantragt.“
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