Viele haben es vorhergesagt: der Berliner Mietendeckel ist nun so zu werten, als wäre er nie erlassen worden. Das BVerfG hat entschieden (BVerfG, Beschl. v. 15.04.2021, Az: 2BvF 1/20, 2BvL 4/20 und 2 BvL 5/20), dass eine solche Beschränkung in einem Landesgesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in der Hauptstadt verfassungswidrig ist. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat das entsprechende Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) für nichtig erklärt. In dem Beschluss geht es nur um einen Punkt: Besaß das Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz, um das Gesetz zu erlassen, oder nicht. Der zweite Senat sagt klar: Das Land hatte sie nicht. Der Mietendeckel ist damit verfassungswidrig und nichtig. Zu weiteren Fragen, z.B. zu Verstößen gegen die Eigentums- oder Berufsfreiheit und zur Verhältnismäßigkeit einer solchen Begrenzung hat sich das Gericht nicht geäußert.
Die entscheidende Frage der Kompetenz war im Gesetzgebungsverfahren immer wieder thematisiert worden. Selbst der Berliner Senat selbst hatte angemahnt, die juristische Klärung abzuwarten und gesparte Mieten vorsichtshalber zurückzulegen. Aber er argumentierte auch: Im Zuge der Föderalismusreform war die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Wohnungswesen in Art. 74 GG gestrichen worden. Damit fiel sie gem. Art. 70 Abs. 1 GG zurück zu den Ländern. Und zum Wohnungswesen, so die Argumentation, zähle auch das Mietpreisrecht, daher könne das Land Mietpreisbestimmungen erlassen, die nicht zivilrechtlicher, sondern öffentlich-rechtlicher Natur seien.
Der Zweite Senat schloss sich dem aber nicht an und gab damit den Abgeordneten der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP statt, die einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle eingereicht hatten. Zugleich entschied er über zwei konkrete Kontrollvorlagen des Berliner LG und AG, die auch vom BVerfG wissen wollte, ob der Mietendeckel mit dem GG vereinbar sei oder nicht. Der 2. Senat prüft lehrbuchmäßig: Der Bund habe das Recht zur Gesetzgebung nur, soweit das GG ihm dieses ausdrücklich zuweise. Solange und soweit er im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch mache, entfalle die Regelungsbefugnis der Länder. Im Übrigen seien die Länder nach Art. 70 und Art. 72 Abs. 1 GG zur Gesetzgebung berufen. Welcher Materie eine gesetzliche Regelung zuzuordnen ist, bemesse sich nach ihrem objektiven Regelungsgehalt.
Dabei betonte der Senat, dass die Gesetzgebungskompetenzen abschließend zwischen Bund und Ländern aufgeteilt seien: "Doppelzuständigkeiten sind den Kompetenznormen fremd und wären mit ihrer Abgrenzungsfunktion unvereinbar", heißt es in dem Beschluss. Regelungen zur Miethöhe für sogenannten ungebundenen Wohnraum fielen dabei als Teil des Mietrechts in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, erklärt das BVerfG. Entscheidend sei hierfür, ob durch eine Vorschrift Privatrechtsverhältnisse geregelt werden, also die Rechtsverhältnisse zwischen Privaten und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten. Der Senat wies dabei darauf hin, dass bisher keine Zweifel daran bestünden, dass der Bund das Mietpreisrecht regeln und sich dabei auf diese Kompetenz stützen könne. Der Bund also hätte das Recht für eine Begrenzung.
Somit hatte das höchste Gericht zu klären, ob der Bund eine solche Regelung getroffen habe und entschied: Mit der Mietpreisbremse habe der Bund 2015 Regelungen ins BGB aufgenommen, die einen Anstieg der Mieten dämpfen sollen und 2018, 2019 und 2020 mit weiteren Gesetzesänderungen nachgesteuert. „Schon Regelungsintensität und Häufigkeit dieser bundesgesetzlichen Nachsteuerung legen nahe, dass es sich bei den §§ 556 ff. BGB um eine umfassende und abschließende Regelung handelt“, so das BVerfG. Damit blieb für eine landesrechtliche Regelung zur Miethöhe kein Raum.
Der Berliner Mietendeckel ging jedoch deutlich weiter als diese Mietpreisbremse. Für ca. 1,5 Millionen Wohnungen in Berlin, die vor 2014 gebaut wurden, sah er einen Mietenstopp vor, Mieten sollten auf den Stichtag 18. Juni 2019 eingefroren werden. Zusätzlich legte das Gesetz bestimmte Mietobergrenzen fest und ermöglichte es sogar, Mieten abzusenken. Das BVerfG befasste sich aber nicht mit Unterschieden zwischen den einzelnen Regelungen, sondern erklärte das gesamte Landesgesetz auf Grund der fehlenden Gesetzgebungskompetenz für verfassungswidrig und nichtig. Für eine abweichende Regelung sehe man keinen Raum, so der Senat am Ende des Beschlusses. Es gibt also keine Übergangsvorschriften oder Möglichkeiten für den Landesgesetzgeber nachzubessern – denn wo es keine Gesetzgebungskompetenz gibt, kann auch nichts nachgebessert werden. Hinweise, wie ein verfassungskonformer Bundesmietendeckel aussehen könnte gab der Zweite Senat nicht.
Zu beachten ist, dass das Urteil auch rückwirkend gilt. Damit können die Vermieter in Berlin nun die Beträge, die wegen des Deckels eingespart wurden, zurückfordern. Eine Umfrage der Sparkasse ergab kürzlich, dass gerade einmal die Hälfte der betroffenen Mieter Rücklagen gebildet habe. Zudem ist davon auszugehen, dass die Mieten nun wieder steigen werden, vermutlich sogar kräftig. Denn selbst die Kritiker des Deckels mussten einräumen, dass der die Mieten zumindest bei den 1,5 Millionen betroffenen Wohnung wirksam begrenzt hat. In den Jahren zuvor waren die Mieten in Berlin so drastisch gestiegen wie in keiner anderen deutschen Metropole, selbst in Hamburg oder München nicht. Zugleich verdienen die Berliner im Schnitt jedoch weit weniger als die Menschen andernorts; gut die Hälfte der Einwohner ist abhängig von staatlicher Hilfe.
Bausenator Sebastian Scheel von der Linken erklärte: „Das ist ein schwerer Tag für den Senat, aber auch für die Mieterinnen und Mieter“. Aber wenigstens habe man „mit dem Mietendeckel einen wichtigen Beitrag zur Debatte geleistet“. „Der Berliner Senat hat die Mieterinnen und Mieter wider besseren Wissens für ein ideologisches Experiment missbraucht", sagte dahingegen Daniel Föst, bau- und wohnungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, einer der Antragssteller der abstrakten Normenkontrolle. Ähnlich sah es Kai Wegner, Landesvorsitzender und Bürgermeisterkandidat der CDU in Berlin: „Der Senat hat die Mieterinnen und Mieter in Berlin mit einem falschen Mietendeckel-Versprechen getäuscht“. Kevin Kühnert, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD und Mitglied im Berliner Landesverband, fordert deshalb nun als Konsequenz aus dem Urteil einen Mietenstopp in allen angespannten Wohnlagen. Franziska Giffey, Bundesfamilienministerin und Bürgermeisterkandidatin der SPD, betonte zudem, dass es schlicht an Wohnraum fehle: „Der Neubau von Wohnungen ist jetzt umso wichtiger“.