A. Sachverhalt
Die Klägerin (K) hat die Beklagte (B) auf der Grundlage einer von den Parteien geschlossenen Vereinbarung auf Zahlung einer Provision in Anspruch genommen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung der B nach vorherigem Hinweis durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Dagegen hat die B Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.
Richter am Bundesgerichtshof Dr. L. , der auf der Grundlage der senatsinternen Mitwirkungsgrundsätze zur Mitwirkung an der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde der B berufen wäre, hat angezeigt, dass seine Ehefrau an der angefochtenen Entscheidung des Berufungsgerichts mitgewirkt hat.
Die Parteien hatten Gelegenheit hierzu Stellung zu nehmen. Die K hat Richter am Bundesgerichtshof Dr. L. wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
Wären eine Selbstablehnung des Richters Dr. L sowie das Ablehnungsgesuch der K begründet?
B. Lösung
Fraglich ist, ob die Selbstablehnung (§ 48 ZPO) und das gegen Dr. L gerichtete Ablehnungsgesuch gemäß § 42 Abs. 1 ZPO begründet ist.
Dies ist dann der Fall, wenn der Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen ist oder die Besorgnis der Befangenheit besteht.
Dies könnte sich daraus ergeben, dass Dr. L mit einer der Richterinnen vom Berufungsgericht, die an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, verheiratet ist.
I. Ausschluss gem. § 41 ZPO
Die Konstellation verwirklicht keinen Fall von § 41 Nr. 1-8 ZPO, weshalb ein Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes nicht gegeben ist.
II. Ausschluss gemäß § 42 Abs. 2 ZPO
Fraglich ist, ob ein Grund vorliegt, der geeignet ist Misstrauen gegen die Unparteilichkeit von Dr. L zu rechtfertigen.
Hierfür ist tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit nicht erforderlich; es genügt schon der "böse Schein", das heißt der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (BVerfG, NJW 2012, 3228). Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu zweifeln. Dabei kommen nur objektive Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit des abgelehnten Richters aufkommen lassen (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2016 - VII ZR 36/14, NJW 2016, 1022). Solche Zweifel können sich aus dem Verhalten des Richters innerhalb oder außerhalb des konkreten Rechtsstreits, aus einer besonderen Beziehung des Richters zum Gegenstand des Rechtsstreits oder zu Prozessbeteiligten (vgl. BGH, NJW 2019, 516) oder - wie vorliegend - aus nahen persönlichen Beziehungen zwischen an derselben Sache beteiligten Richtern ergeben.
Wie der BGH schon in BGH NJW 2008, 1672 klargestellt hat, stellt die Mitwirkung des Ehegatten eines Rechtsmittelrichters an der angefochtenen Entscheidung keinen generellen Ablehnungsgrund gemäß § 42 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf dessen Beteiligung an der Entscheidung im Rechtsmittelverfahren dar. Eine derartige generalisierende Betrachtung, welche bloß auf die Tatsache des ehelichen Verhältnisses abstellt, würde im Ergebnis über den Umweg über § 42 ZPO zu einer (unzulässigen) Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 41 ZPO führen. In diesen Fällen hätte § 42 ZPO faktisch die Wirkung eines Ausschlusses kraft Gesetzes. Einer erweiternden Auslegung von § 41 ZPO steht jedoch der mit Verfassungsrang ausgestattete Anspruch auf den im Voraus möglichst eindeutig zu bestimmenden Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) entgegen.
Hinweis
Eine generalisierte Betrachtungsweise hat der BGH bisher nur dann zugelassen, wenn der Ehegatte Einzelrichter in der Vorinstanz war. In einer solchen Konstellation ist die Solidarisierungsneigung des abgelehnten Richters aufgrund der alleinverantwortlichen Entscheidung des Ehegatten aus Sicht der ablehnenden Partei naheliegend und nachvollziehbar. Dies unterscheidet diese Konstellation gerade von der Entscheidung im Rahmen eines Kollegialgerichts.
Diese Ansicht der Rechtsprechung ist in der Literatur auf erhebliche Kritik gestoßen. Hier wird insbesondere vorgetragen, dass bei einer Beteiligung von Ehegatten im Instanzenzug der „böse Schein“ der Befangenheit stets gegeben sei.
Fraglich ist, ob auch im vorliegenden Fall eine generelle Betrachtungsweise vorzunehmen ist. Im vorliegenden Fall hat die Ehefrau an einem Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO mitgewirkt. Dieser Beschluss kann nur einstimmig gefasst werden!
Sie hat damit nicht allein als - möglicherweise überstimmtes - Mitglied eines Kollegiums, sondern infolge der Einstimmigkeit des gefassten Beschlusses in nach außen erkennbarer Weise die Verantwortung für die angefochtene Entscheidung mit übernommen. Dieser Fall ist nicht anders zu beurteilen als der Fall, dass der Ehegatte des abgelehnten Richters die angefochtene Entscheidung als Einzelrichter getroffen hat. Ein solcher Sachverhalt begründet ebenfalls die Besorgnis, dass der abgelehnte Richter der Sache nicht unvoreingenommen gegenübersteht.
Hinweis
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stellt die Ehe zwischen einer an einem Revisionsgericht tätigen Richterin und einem Richter, der an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, "angesichts der Komplexität der Verfahren und der Intensität, mit der sich die für die Entscheidung zuständigen Richter mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzen", einen Grund dar, die Besorgnis der Befangenheit der Richterin, deren Ehepartner an der vorinstanzlichen Entscheidung mitgewirkt hat, zu rechtfertigen (BSG, Beschluss vom 18. März 2013 - B 14 AS 70/12 R). Nach dieser Rechtsprechung, die maßgeblich auf die Tätigkeit der abgelehnten Richterin oder des abgelehnten Richters an einem der obersten Gerichtshöfe des Bundes abstellt, wäre das Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Bundesgerichtshof Dr. L. ebenfalls begründet.
Daher war im vorliegenden Fall eine Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (BGBl. I S. 661) ist nicht veranlasst. Eine Abweichung gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes ist nicht gegeben, wenn die Rechtsauffassungen zwar nicht voll übereinstimmen, aber zum selben Ergebnis führen (BGH, Beschluss vom 6. Mai 1999 - V ZB 1/99, BGHZ 141, 351 [juris Rn. 20] mwN).
III. Ergebnis
Aufgrund der verpflichtend einstimmigen Entscheidung ist eine generalisierte Betrachtung veranlasst und damit sowohl die Selbstablehnung des Richters Dr. L als auch das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch der K begründet.