A Sachverhalt:
Die kinderlose Erblasserin (E) starb am 5. Juli 2016; ihr Ehemann (M) war am 10. März 2015 vorverstorben. Die Beteiligte zu 1 ist die Cousine (C) der E, die Beteiligten zu 2 bis 5 sind Nichte und Neffen (N) des M.
Die E und M hatten am 1. Dezember 2002 handschriftlich ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben eingesetzt hatten und dieses unterschrieben. Am 7. März 2012 hatten sie folgenden Text handschriftlich angefügt und unterschrieben.
"Für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens ergänzen wir unser Testament wie folgt: Das Erbteil soll gleichmäßig unter unseren Neffen bzw. Nichte [es folgen die Namen der Beteiligten zu 2 bis 5] aufgeteilt werden."
Auf Antrag der N erteilte das Nachlassgericht einen Erbschein, der die N als Erben der E zu je 1/4 auswies.
Die C hat daraufhin gegenüber dem Nachlassgericht die Einziehung des Erbscheins angeregt und die Ansicht vertreten, die Testamentsergänzung sei keine allgemeine Schlusserbenregelung, sondern betreffe lediglich den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Eheleute.
Sind die N Erben der E?
Bearbeitervermerk: Es gilt zu unterstellen, dass die Erblasser den Willen hatten die N als Schlusserben einzusetzen.
B Leitsatz:
Zur Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments, in dem Schlusserben "für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens" eingesetzt wurden.
C Lösung:
I Wirksames Testament
N wäre nur dann Erben der E zu je ¼, wenn eine entsprechende testamentarische Anordnung besteht.
1 Ordnungsgemäße Errichtung
In Betracht kommt vorliegend ein gemeinschaftliches Testament nach den §§ 2265 ff. BGB. Ein solches kann nur von Eheleuten geschlossen werden. Dabei genügt zur Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments nach § 2247, wenn einer der Ehegatten das Testament in der dort vorgeschriebenen Form errichtet und der andere Ehegatte die gemeinschaftliche Erklärung eigenhändig mitunterzeichnet.
E und M sind zum Zeitpunkt der Errichtung verheiratet gewesen und haben das Testament handschriftlich errichtet und unterschrieben. Die formellen Voraussetzungen sind damit gegeben.
2 Ordnungsgemäße Ergänzung
Gleiches gilt für die Ergänzung von 7. März 2012. Auch diese wurde handschriftlich verfasst und von beiden Ehegatten unterschrieben.
II Inhalt des Testaments
1 Auslegungsgrundsätze
Fraglich ist, ob sich aus der testamentarischen Anordnung auch eine Einsetzung der N zu je ¼ ergibt. Hierfür müssten die N als Schlusserben eingesetzt worden sein.
Bei der Auslegung eines Testaments ist gemäß § 133 vor allem der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Daher kann sich die Auslegung nicht auf die bloße Analyse der Worte beschränken. Die im Testament verwendeten Ausdrücke müssen damit im Hinblick auf ihren Bedeutungsgehalt bestimmt werden, um den Willen des Erblassers zur größtmöglichen Wirkung zu verhelfen. Zur Bestimmung des Bedeutungsgehalts sind auch Umstände, die außerhalb der Urkunde liegen, heranzuziehen.
Der so ermittelte Wille des Erblassers geht jedoch nur dann der Interpretation, die der Wortlaut zulassen würde, vor, falls er formgerecht erklärt ist. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Formvorschriften. Diese sollen gerade den wirklichen Willen des Erblassers zur Geltung kommen lassen und die Selbstständigkeit des Willens verbürgen sowie die Echtheit der Erklärung sicherstellen. Dadurch soll verantwortliches Testieren gefördert werden und Streitigkeiten über den Inhalt letztwilliger Verfügungen möglichst vermieden werden.
Der aufgrund äußerer Umstände ermittelte potentielle Wille des Erblassers ist nur dann formgerecht erklärt, wenn der Wille in dem Testament zumindest andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck kommt (sogenannte Andeutungstheorie).
Sind die Anforderungen an die Andeutungstheorie nicht erfüllt, so ist die Erklärung nach § 125 Satz 1 nichtig.
Bei der Auslegung gilt es zu berücksichtigen, dass eine Andeutung nicht schon daher angenommen werden kann, dass der Wortlaut überhaupt auslegungsbedürftig ist und sich die generelle Willensrichtung aus dem Wortlaut herleiten lässt (so aber OLG Hamm ZEV 2011, 427). Die bloße Auslegungsbedürftigkeit bestimmter Begriffe zeigt gerade nicht – auch nicht andeutungsweise – wie dieser jeweilige Begriff nach dem Willen des Erblassers auszulegen sein soll.
2 Auslegung im vorliegenden Fall
Formulierungen wie „bei gleichzeitigen Ableben“ bzw. „bei gleichzeitigem Versterben“ sind so auszulegen, dass hiervon auch Fälle erfasst sind, bei denen die Ehegatten innerhalb eines kurzen Zeitraums nacheinander versterben und der Überlebende in dieser Zeitspanne daran gehindert war, ein neues Testament zu errichten. Im vorliegenden Fall ist jedoch ein erheblicher Zeitraum zwischen den beiden Todesfällen verstrichen.
Nach den oben genannten Grundsätzen zur Andeutungstheorie müsste sich im Testament der wirkliche Wille (siehe Bearbeitervermerk) der Erblasser zumindest andeutungsweise erkennen lassen. Aus dem ursprünglichen Testament ergibt sich keine entsprechende Einsetzung der N. Auch die Bezeichnung als „unsere“ Neffen im Rahmen der Ergänzung führt zu keinem anderen Ergebnis. Aus dieser Bezeichnung ergibt sich bloß das zum Ausdruck kommende Näheverhältnis, gerade jedoch nicht unter welchen Umständen eine Zuwendung an diese Personen erfolgen soll. Weitergehende Motive, Erläuterungen oder zusätzliche Bestimmungen enthält das Testament gerade nicht.
Es findet sich gerade keine Andeutung dafür, dass die Formulierung „für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens“ als eine generelle Schlusserbeneinsetzung gemeint war.
III Gesamtergebnis
N sind nicht Erben der E zu je ¼ geworden.