Das Urteil können sie wie gewohnt auf der BGH Seite unter folgendem Link abrufen.
Sachverhalt (leicht vereinfacht):
Der Kläger buchte bei der beklagten Reiseveranstalterin eine Reise nach Teneriffa von 12. bis 25. September 2014. Vereinbart war die Unterbringung in einem Hotel in Puerto de la Cruz. Während des gesamten Aufenthalts fanden im Eingangsbereich des Hotels und auf einem benachbarten Grundstück Bauarbeiten statt, die tagsüber mit erheblicher Lärmentwicklung verbunden waren. Der Kläger und seine Ehefrau beanstandeten dies gegenüber der zuständigen Reiseleiterin am 22. September 2014. Der Kläger macht eine Minderung des Reisepreises und eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit wegen des Baulärms und weiterer Mängel geltend.
Welche Ansprüche stehen dem Reisenden zu?
Lösung:
I. Ansprüche aus §§ 280ff?
Die Ansprüche aus den §§ 280ff. werden von den speziellen Normen des Reisevertragsrechts grundsätzlich verdrängt.
II. Anspruch aus §§ 651d Abs. 1, 638 Abs. 3, Abs. 4?
Fraglich ist, ob dem M ein Anspruch auf Rückerstattung eines Teils der Reisevergütung für den gesamten Reisezeitraum zusteht oder ob nur der Zeitraum nach Mangelanzeige berücksichtigungsfähig ist.
Der Anspruch wäre gegeben, wenn ein Mangel vorläge und die Minderung nicht wegen schuldhaft unterlassener Mängelanzeige gemäß § 651d Abs. 2 ausgeschlossen wäre.
Expertentipp
In einer Klausur würden sie zunächst die Rechtsfähigkeit der Parteien kurz festhalten und sodann kurz den Reisevertrag mit der geschuldeten Gesamtheit der Reiseleistungen begründen.
1. Mangel
Ein Mangel nach § 651c Abs. 1 liegt vor, wenn die Reise nicht die zugesicherten Eigenschaften enthält bzw. mit Fehlern behaftet ist, die den Wert der Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen aufheben oder mindern.
Während des Aufenthalts des Reisenden im Hotel wurden in unmittelbarer Nähe des Zimmers sowie in der Umgebung Bauarbeiten ausgeführt. Diese wiesen einen außerordentlichen Geräuschpegel auf. Eine solche durch Baumaßnahmen bedingte Störung ist als Reisemangel zu qualifizieren.
2. Mangelanzeige
Eine Minderung ist ausgeschlossen insoweit es der Reisende schuldhaft unterlässt den Mangel anzuzeigen.
Fraglich ist, ob im vorliegenden Fall eine Mangelanzeige überhaupt notwendig war. Diese könnte entbehrlich sein, da dem Reiseveranstalter bzw. der für ihn vor Ort tätige Reiseleiter den Mangel bereits positiv kannte.
a. Ob eine solche Kenntnis das Erfordernis der Anzeige entbehrlich macht, ist umstritten.
aa. Das Landgericht Düsseldorf sah in Übereinstimmung mit anderen Instanzgerichten und Teilen der Literatur eine Mangelanzeige als entbehrlich an. Diese Ansicht sieht das Erfordernis der Mangelanzeige in solchen Fällen als bloße Förmelei an. Die in § 651d Abs. 2 vorgesehene Mangelanzeige diene in erster Linie dazu den Reiseveranstalter über ihn unbekannte Mängel zu informieren, damit er gegebenenfalls Abhilfe schaffen könnte. Sei ihm der Mangel bereits bekannt, werde das primäre Ziel der Norm auch ohne Mangelanzeige erreicht. Bei gehöriger Gewissensanstrengung hätte der Reiseveranstalter erkennen müssen, dass der baubedingte Lärmpegel eine erhebliche Beeinträchtigung der Reisenden darstellt.
bb. Andere Stimmen in der Literatur sehen die Notwendigkeit einer Mangelanzeige auch in diesen Fällen nicht als entbehrlich an. Dieser Ansicht hat sich der BGH angeschlossen.
§ 651d Abs. 2 BGB begründet eine Obliegenheit des Reisenden einen Reisemangel anzuzeigen. Verletzt der Reisende diese Obliegenheit schuldhaft steht ihm regelmäßig ein Anspruch auf Minderung nicht zu. Nach Auffassung des Gesetzgebers soll die Anzeige des Mangels dem Reiseveranstalter Gelegenheit geben, dem Mangel abzuhelfen und für die Zukunft eine vertragsgemäße Leistung sicherzustellen (BT-Drucks. 8/2343, S. 10). Sie liegt im berechtigten Interesse des Reiseveranstalters, der die Möglichkeit haben soll, dem Mangel abzuhelfen und damit Gewährleistungsansprüche zu vermeiden oder zu begrenzen. Eine Mangelanzeige mit Abhilfeverlangen, die regelmäßig nur geringe Mühe macht, liegt aber auch im wohlverstandenen Interesse des Reisenden an einem möglichst ungestörten Urlaub. Mängel, die zu beheben sind, stillschweigend in Kauf zu nehmen, um nach Beendigung der Reise daraus Ansprüche herleiten zu können, entspricht dagegen nicht redlicher Vertragsabwicklung.
Die bloße Kenntnis des Reiseveranstalters von einem Reisemangel genügt als solche nicht, um die in § 651d Abs. 2 BGB bestimmte Folge des Unterbleibens einer Mangelanzeige auszuschließen. Ein Reiseveranstalter kann bei einem ihm bekannten Mangel dem Reisenden zwar auch ohne Anzeige Abhilfe anbieten. Der Umstand, dass dies nicht geschieht, rechtfertigt aber nicht die Schlussfolgerung, dass der Reiseveranstalter dazu nicht in der Lage oder nicht willens ist. Gerade in dieser Situation ermöglicht es die im Gesetz vorgesehene Mangelanzeige, für beide Vertragsparteien klare Verhältnisse zu schaffen. Für den Reisenden stellt das Anzeigeerfordernis schon deshalb keine unzumutbare Erschwernis dar, weil Mängel der Reise nach Art und Gewicht sehr unterschiedlich sein können und von unterschiedlichen Reisenden, je nach deren persönlichen Ansichten, Verhältnissen und Bedürfnissen häufig sehr unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden.
cc. Übertragung der Rechtsprechung des BGH zu § 536c?
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 536c BGB, wonach der Mieter nicht verpflichtet ist dem Vermieter einen Mangel der Mietsache anzuzeigen, wenn dieser bereits Kenntnis von dem Mangel hat, ist auf die hier in Rede stehende Konstellation nicht übertragbar.
Der Gesetzgeber hat dem Mieter diese Verpflichtung auferlegt, weil der Vermieter während der Dauer der Mietzeit vom Besitz der Mietsache ausgeschlossen und daher regelmäßig nur der Mieter in der Lage ist, etwaige Mängel zu entdecken. Die Anzeigepflicht nach § 536c BGB ist damit Ausfluss der all-gemeinen Pflicht des Mieters zur Obhut der Mietsache (BGHZ 68, 281, 285). Sie verfolgt den Zweck, die Mietsache vor Schäden zu bewahren. Die Zielrichtung von § 651d Abs. 2 BGB ist eine andere. Der Reiseveranstalter hat typischerweise durch die für ihn an Ort und Stelle tätige Reiseleitung die gleichen Möglichkeiten wie der Reisende, etwaige Mängel zu bemerken. Der Zweck der Mangelanzeige liegt aus den bereits genannten Gründen in erster Linie darin, dem Reiseveranstalter die Prüfung zu ermöglichen, ob er den Mangel beheben oder auf andere Weise Abhilfe schaffen kann.
b. Entbehrlichkeit aus anderen Gründen?
Eine Entbehrlichkeit der Mangelanzeige kann ferner dann angenommen werden, wenn die Behebung des Mangels von vornherein unmöglich ist oder der Reiseveranstalter unmissverständlich zu erkennen gegeben hat, zur Abhilfe nicht bereit zu sein.
Zwar kann der Reiseveranstalter bei einem ihm bekannten Mangel von selbst aus die Abhilfe anbieten, jedoch rechtfertigt der Umstand eines fehlenden Angebots dahingehend nicht die Annahme er sei zur Behebung nicht willens oder nicht in der Lage.
Der BGH konnte vorliegend nicht abschließend entscheiden, ob Unmöglichkeit der Mangelbehebung vorlag, da das Landgericht Düsseldorf keine Feststellungen hierzu getroffen hat. Dies war auch konsequent, da das Landgericht davon ausgegangen ist, dass die Mangelanzeige ohnehin entbehrlich ist.
3. Ergebnis
Ein Anspruch besteht daher nur für die Zeit ab Anzeige des Mangels.
Expertentipp
Weiterhin wäre § 651f Abs. 1, Abs. 2 zu prüfen. In diesem Zusammenhang ist in der Klausur zwingend darzustellen, dass für den Anspruch aus § 651f auch die Voraussetzungen der Minderung vorliegen müssen. Dies ergibt sich aus der Formulierung „unbeschadet der Minderung“. Auch ist der Schadensersatz neben der Leistung von § 651f erfasst.
Im vorliegenden Fall wäre es wichtig gewesen die Problematik überhaupt zu erkennen und eine eigenständige Argumentation darzulegen. Das Ergebnis ist für die Bewertung - wie so häufig - von untergeordneter Bedeutung.
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