A Sachverhalt:
Die Klägerin (K) nimmt den Beklagten (B) wegen fehlerhafter Rechtsberatung insbesondere auf die Zahlung von Schadensersatz in Anspruch.
Die Mutter der K wurde bei einem Verkehrsunfall am 30. September 2006 schwer verletzt. Sie ist seitdem schwerstbehindert, auf einen Rollstuhl angewiesen und dauerhaft pflegebedürftig. Nach dem Unfall beauftragte die Mutter der K zunächst eine Rechtsanwältin (R) mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen.
Ende November 2006 bestätigte die Streithelferin (S) als Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers ihre volle Einstandspflicht dem Grunde nach.
Im Dezember 2007 beauftragte die Mutter der K den B mit der Weiterverfolgung der unfallbedingten Schadensersatzansprüche gegenüber der S. Das Mandat endete im Mai 2016.
K lebt mit starken Schuldgefühlen ihrer pflegebedürftigen Mutter gegenüber. K ist seit Oktober 2014 in psychotherapeutischer Behandlung.
K hat behauptet ihre seit 2014 bestehenden Leiden seien auf den Unfall, bei dem auch sie in dem Fahrzeug der Mutter gesessen hätte und leicht verletzt worden sei, zurückzuführen.
Sie meint, der B hätte im Rahmen des Mandats mit ihrer Mutter auch über die ihr zustehenden und inzwischen verjährten Ansprüche gegenüber der S aufklären und beraten müssen.
Hat die K einen Anspruch gegen B auf Schadensersatz dem Grunde nach?
B Lösung:
Ansprüche der K gegen B kommen – in Ermangelung eines eigenen Vertrags zwischen K und B – nur dann in Betracht, wenn sie in den Vertrag einbezogen wurde. Vorliegend kommt einzig der examensrelevante Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter in Betracht.
Es ist fraglich, ob die Voraussetzungen vorliegen.
Ein Anwaltsvertrag hat auch ohne ausdrückliche Regelung Schutzwirkung zu Gunsten eines Dritten, sofern sich dies der ergänzenden Auslegung des Vertrags unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben ergibt.
Dabei muss der Dritte mit der Hauptleistung des Rechtsanwalts bestimmungsgemäß in Berührung kommen. Der Gläubiger muss ein schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Beratungsvertrages haben. Die Einbeziehung Dritter muss dem schutzpflichtigen Berater bekannt oder für ihn zumindest erkennbar sein. Ausgeschlossen ist ein zusätzlicher Drittschutz regelmäßig dann, wenn der Dritte wegen des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts bereits über einen inhaltsgleichen vertraglichen Anspruch verfügt.
Auch ob die Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, ist Frage der Auslegung.
„Wenn Dritte in die Schutzwirkungen eines Vertrages einbezogen werden sollen, müssen diese bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berührung kommen. Das erforderliche Näheverhältnis liegt nur vor, wenn die Leistung des Rechtsanwalts bestimmte Rechtsgüter eines Dritten nach der objektiven Interessenlage im Einzelfall mit Rücksicht auf den Vertragszweck bestimmungsgemäß, typischerweise beeinträchtigen kann (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2016 - IX ZR 252/15, BGHZ 211, 251 Rn. 20 mwN). Entscheidend für eine Ersatzpflicht hinsichtlich von Vermögensschäden des Dritten ist, ob die vom Anwalt zu erbringende Leistung nach objektivem Empfängerhorizont auch dazu bestimmt ist, dem Dritten Schutz vor möglichen Vermögensschäden zu vermitteln. Der Auftraggeber muss ein entscheidendes Eigeninteresse an der Wahrung der Drittinteressen haben. Inwieweit dieses Näheverhältnis besteht, hängt entscheidend von Ausprägung und Inhalt des anwaltlichen Beratungsvertrages ab (vgl. BGH, aaO).“
Der zwischen den Parteien geschlossene Anwaltsvertrag hatte die Verfolgung der unklaren Schadensersatzansprüche der Mutter der K zum Gegenstand. Die K war persönlich nicht an den streitgegenständlichen Rechtspositionen beteiligt und allenfalls mittelbar betroffen. Auch entsteht die Leistungsnähe beim Anwaltsvertrag nicht alleine dadurch, dass Ansprüche dem Mandanten nahestehender Personen aus demselben Rechtsgrund und gegen denselben Anspruchsgegner in Betracht kommen. Vielmehr war der Anwaltsvertrag auf die Verfolgung der Schadensersatzansprüche der Mutter gerichtet.
Hinweis
Eine Haftung wegen der Verletzung von Warn- und Hinweispflichten scheitert im Übrigen schon daran, dass die Gefährdung von Vermögensinteressen der K für den B nicht offenkundig war (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2018 - IX ZR 80/17, NJW 2018, 2476 Rn. 12 ff).
Hier musste sich dem B auch nicht bereits bei Übernahme des Mandats aufdrängen, dass die K wegen des familiären Alltags etliche Jahre nach dem Unfall psychisch erkranken würde. Es wurde nicht einmal vorgetragen, dass der B Kenntnis von den psychischen Beschwerden zum relevanten Zeitpunkt hatte.
Demnach fehlt in dieser Konstellation bereits die Leistungsnähe. Folglich besteht kein Anspruch von K gegen B dem Grunde nach.