Expertentipp
Kandidaten, welche auf das 2te Examen zusteuern, sollten zudem einen Blick in die Originalentscheidung (Rn. 19 bis 23) werfen. Hier werden die Anforderungen an die Bestimmtheit des Klageantrags anschaulich erklärt.
Tatbestand:
Die Parteien hatten eine - für die Klägerin außereheliche - intime Liebesbeziehung. Der Beklagte, der von Beruf Fotograf ist, erstellte während dieser Zeit zahlreiche Bild- und Filmaufnahmen von der Klägerin, auf denen diese unbekleidet und teilweise bekleidet ist, sowie vor, während und nach dem Geschlechtsverkehr mit dem Beklagten zu sehen ist.
Teilweise hat die Klägerin intime Fotos von sich selbst erstellt und dem Beklagten in digitalisierter Form überlassen. Ferner besitzt der Beklagte Aufnahmen von der Klägerin, die sie bei alltäglichen Handlungen ohne intimen Bezug zeigen. Die Beziehung ist mittlerweile beendet, die Parteien sind zerstritten.
Der Beklagte ist - auf sein Anerkenntnis hin - rechtskräftig verurteilt, es zu unterlassen, die Klägerin zeigende Lichtbilder und/oder Filmaufnahmen ohne deren Einwilligung Dritten und/oder öffentlich zugänglich zu machen oder machen zu lassen.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten alle Bilder, welche sich in seinem unmittelbaren und mittelbaren Besitz befinden und sie
- in unbekleidetem Zustand,
- in teilweise unbekleidetem Zustand, soweit der Intimbereich der Klägerin (Brust und/oder Geschlechtsteil) zu sehen ist,
- lediglich ganz oder teilweise nur mit Unterwäsche bekleidet,
- vor, während oder im Anschluss an den Geschlechtsverkehr,
abbilden, vollständig zu löschen.
Stehen der Klägerin entsprechende Ansprüche zu?
I. Anspruch aus § 6 BDSG? (-)
Dieses Gesetz ist nach §§ 1 Abs. 2 Nr. 3, 27 BDSG nicht anwendbar, da ein rein privater Sachverhalt betroffen ist.
II. Anspruch aus § 37 KUG? (-)
Die in Rede stehenden Lichtbilder und Vervielfältigungsstücke sind nicht widerrechtlich hergestellt worden, da die Klägerin diesbezüglich ihr Einverständnis erteilt hat; weitere Aufnahmen hat sie ihm selbst übergeben.
III. Anspruch auf Löschung der Bilder aus § 823 I i.V.m. § 1004 I 1 analog? (+)
1. Herleitung des Anspruchs
Da die sonstigen absoluten Rechte i.S.d. § 823 I ein gleichwertiges Schutzbedürfnis wie das Eigentum aufweisen, ist insb. in der Rechtsprechung des BGH der quasinegatorische Unterlassungsanspruch analog § 1004 I anerkannt. Dieser kann im Wege einer Gesamtanalogie zu den §§ 12, 862, 1004 BGB entnommen werden.
2. Ausschluss infolge speziellerer Regelungen
§§ 823 I i.V.m. § 1004 I 1 kämen jedoch nicht zur Anwendung, wenn die §§ 22 KUG den Sachverhalt abschließend regeln würden.
Der Bildnisschutz der §§ 22 ff. KUG zielt auf das Verbreiten und die öffentliche Zurschaustellung des hergestellten Bildes ab. Er stellt aber nur eine teilweise Ausformung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar und schließt einen weitergehenden Bildnisschutz nicht aus. Zum rechtlich geschützten Bereich des Persönlichkeitsrechts gehört in Ausformung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung der Art. 1 und Art. 2 GG zugunsten des freien, eigenverantwortlichen Individuums auch, dass der Einzelne grundsätzlich allein zur Verfügung über die Verwendung seines Bildnisses - nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch sonst - berechtigt ist.
3. Eingriff in das APR? (+)
Danach kann unter besonderen Umständen schon das Innehaben der Verfügungsmacht über Bildaufnahmen durch einen Dritten gegen den Willen des Abgebildeten – sei es nur durch Behalten und Betrachten – dessen Persönlichkeitsrecht verletzen.
Expertentipp
Genau arbeiten, hier ging es nicht um eine etwaige (ebenfalls rechtswidrige) Verbreitung, sondern das „bloße“ in Besitz haben der Aufnahmen.
Das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt mit der Privat- und Intimsphäre des Einzelnen auch Aspekte des Geschlechtslebens und das Interesse diese nicht offenbaren zu müssen.
Der Schutz der Privat- und Intimsphäre umfasst Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als "privat" eingestuft werden, insbesondere, weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst, wie es gerade auch im Bereich der Sexualität der Fall ist.
Mithin liegt ein Eingriff in das APR vor.
4. Rechtswidrigkeit des Eingriffs? (+)
Da das APR ein Rahmenrecht darstellt, wird die Rechtswidrigkeit nicht indiziert. Diese muss grds. vielmehr anhand einer umfassenden Güterabwägung positiv festgestellt werden.
Einer umfassenden Abwägung bedürfte es jedoch dann nicht, wenn ein Eingriff in den Kernbereich des APR vorläge.
Das Grundgesetz gewährt dem Einzelnen im Kernbereich höchstpersönlicher, privater Lebensgestaltung einen unantastbaren Bereich zur Entfaltung der Persönlichkeit, der wegen seiner besonderen Nähe zur Menschenwürde absolut geschützt und einer Einschränkung durch Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zugänglich ist
Diesem Kernbereich gehören grundsätzlich Ausdrucksformen der Sexualität an.
Die Beurteilung, ob ein Sachverhalt diesem Kernbereich zuzuordnen ist, hängt davon ab, ob der Betroffene ihn geheim halten will, ob er nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakters ist und in welcher Art und Intensität er aus sich heraus die Sphäre anderer oder die Belange der Gemeinschaft berührt.
Die Funktionsherrschaft des Beklagten über die intimen Aufnahmen gegen den Willen der Klägerin ist dem vorbeschriebenen Kernbereich zuzuordnen. Wer nämlich - wie hier - Bildaufnahmen oder Fotographien, die einen anderen darstellen, besitzt, erlangt allein durch diesen Besitz eine gewisse Herrschafts- und Manipulationsmacht über den Abgebildeten, selbst wenn eine Verbreitung oder Weitergabe an Dritte nicht beabsichtigt oder untersagt ist.
Diese Macht ist umso größer, als Aufnahmen eine vollständige Entblößung des gänzlich Privaten, der grundsätzlich absolut geschützten Intimsphäre des Einzelnen, insbesondere im Zusammenhang mit gelebter Sexualität zeigen. Diese Entblößung wird von dem Abgebildeten regelmäßig als peinlich und beschämend empfunden, wenn sich der Situationszusammenhang wie hier durch die Beendigung der Beziehung geändert hat.
Die zur Anregung des gemeinsamen Sexuallebens erbrachte Entblößung wird als demütigend wahrgenommen, wenn das gemeinsame Erleben entfällt, sie aber dauerhaft sichtbar bleibt, wenn das aktive Subjekt gegen seinen Willen zum reinen Objekt des Bildbetrachters wird. So liegt es im Streitfall. Die Klägerin erfährt durch die gegen ihren Willen fortbestehende Verfügungsmacht des Beklagten über die Aufnahmen, die die Öffnung ihrer Intimsphäre sichtbar festschreiben, ein Ausgeliefertsein und eine
Fremdbestimmung, durch die sie im unantastbaren Kernbereich ihres Persönlichkeitsrechts verletzt wird.
Der Eingriff stellt sich daher grds. als rechtswidrig dar.
Der Schutz dieses unantastbaren Bereichs könnte jedoch infolge einer Einwilligung entfallen sein.
Der Schutz des Persönlichkeitsrechts kann allerdings entfallen, wenn der Grundrechtsträger den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung von sich aus öffnet und bestimmte, an sich dem unantastbaren Kernbereich zuzurechnende Angelegenheiten, der Öffentlichkeit zugänglich macht und damit zugleich die Sphäre anderer oder die Belange der Gemeinschaft berührt. Denn niemand kann sich auf den Schutz seiner Intim- oder Privatsphäre hinsichtlich solcher Tatsachen berufen, die er selbst der Öffentlichkeit preisgegeben hat
Fraglich ist, ob hiervon im vorliegenden Fall ausgegangen werden kann.
Die Einwilligung der Klägerin in die Anfertigung der betreffenden Aufnahmen schließt jedoch i.E. einen Widerruf des Einverständnisses für die Zukunft nicht aus.
Die Rechtsnatur der Einwilligung und die Möglichkeit des Widerrufs einer einmal erteilten Einwilligung für die Zukunft sind jedoch umstritten.
Nach vorliegend vertretener Auffassung handelt es sich um eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, deren Widerruf dann erfolgen kann, wenn die Bedeutung des Persönlichkeitsrechts dies gebietet. Nur so kann dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das auch das Recht am eigenen Bild umfasst, Geltung verschafft werden.
Im Streitfall ist dabei zu berücksichtigen, dass die Aufnahmen im privaten Bereich im Rahmen einer Liebesbeziehung gefertigt worden sind. Daher ist der Schutzbereich der Berufsausübungsfreiheit des Beklagten nicht berührt. Im Raum stünde das Recht des Beklagten auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG, auf Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG und auf allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG. Da der Beklagte verurteilt sei, die Aufnahmen nicht ohne Einwilligung der Klägerin Dritten zugänglich zu machen, beschränke sich sein Anliegen darauf, sich die Aufnahmen anschauen zu dürfen. Daher fällt das Recht des Beklagten auf Kunstfreiheit in Abwägung mit dem Schutz des Persönlichkeitsrechts der Klägerin nicht mehr erheblich ins Gewicht. Aber auch die Kunstfreiheit ist nicht schrankenlos gewährleistet.
Entsprechendes gilt für die Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG. Ist die Beziehung zwischen den Parteien beendet, so überwiegt das Interesse der Klägerin an der Löschung das auf seinem Eigentumsrecht begründete Recht des Beklagten an der Existenz der Aufnahmen. Demnach wäre ein Widerruf hier möglich.
Würde man sich jedoch auf den Standpunkt stellen, dass ein Widerruf nicht möglich ist, so müssten man annehmen, dass die Einwilligung in die Erstellung und die damit verbundene Nutzung der in Rede stehenden Lichtbilder zeitlich auf die Dauer der zwischen den Parteien bestehenden Beziehung beschränkt gewesen ist.
Expertentipp
Wie so oft wäre ein Streitentscheid hier entbehrlich, da beide Ansichten zum gleichen Ergebnis gelangen.
Das Begehren der Klägerin auf Löschung aller sie zeigenden Aufnahmen kann aber keinen Erfolg haben.
Lichtbilder, die die Klägerin in bekleidetem Zustand in Alltags- oder Urlaubssituationen zeigten, tangierten das allgemeine Persönlichkeitsrecht in geringerem Maße und sind weniger geeignet das Ansehen der Klägerin gegenüber Dritten zu beeinträchtigen. Insoweit muss sich die Klägerin an der einmal erteilten Einwilligung zur Erstellung der Fotos und der Nutzung durch den Beklagten festhalten lassen.
5. Verschulden
Ein Verschulden ist nicht nötig!
Expertentipp
Beachten sie, dass sie hier den § 1004 im Rahmen des § 823 prüfen, weshalb hier ein Verschulden nicht erforderlich ist.
6. Ergebnis
Der Klägerin steht das o.g. Recht gem. § 823 I i.V.m. § 1004 I analog zu.
IV. Anspruch aus § 823 I, 249ff.
Da ein Verschulden angenommen werden kann (in Besitz behalten), besteht dieser Anspruch ebenfalls. Ein Irrtum wäre als vermeidbarer Rechtsirrtum einzuordnen und daher unbeachtlich.
Expertentipp
Klare Schwerpunkte in einer Klausur wären: AGL erkennen, APR sauber bearbeiten, Kernbereichslehre anführen und Einwilligung sauber erörtern. Sie müssen die Rechtsprechung nicht kennen, müssen sich jedoch mit den Kerninhalten sauber (d.h. logisch und methodisch nachvollziehbar) auseinandersetzen.