A Leitsätze
1 Bei der Prüfung, ob die Klage "demnächst" zugestellt worden ist, sind bis zum Fristablauf eingetretene Versäumnisse des Klägers in die für die Bewertung als unmaßgebliche Verzögerung bedeutsame Frist nicht mit einzurechnen (Anschluss an BGH, Urteil vom 25. September 2015 - V ZR 203/14, NJW 2016, 568 Rn. 11; Urteil vom 29. September 2017 - V ZR 103/16, NJW-RR 2018, 461 Rn. 6; Urteil vom 17. Mai 2019 - V ZR 34/18, NJW-RR 2019, 976 Rn. 13).
2 Hat der Kläger alle von ihm geforderten Mitwirkungshandlungen für eine ordnungsgemäße Klagezustellung erbracht, insbesondere den Gerichtskostenvorschuss eingezahlt, sind er und sein Prozessbevollmächtigter im Weiteren grundsätzlich nicht mehr gehalten, das gerichtliche Vorgehen zu kontrollieren und durch Nachfragen auf die beschleunigte Zustellung hinzuwirken (Anschluss an BGH, Urteil vom 12. Juli 2006 - IV ZR 23/05, BGHZ 168, 306 Rn. 20 f.; Urteil vom 1. Oktober 2019 - II ZR 169/18, juris Rn. 10).
B Tatbestand (vereinfacht):
Urteil des BGH vom 21.3.2022 – Via ZR 275/21, NJ n2022, 273
(…) Der Kläger hat am 27. Dezember 2018 per Telefax und im Original am 28. Dezember 2018 Klage eingereicht. Am 8. Januar 2019 ist eine Vorschussrechnung, gerichtet an seinen Prozessbevollmächtigten, erstellt worden, deren Zugang der Kläger bestritten hat. Weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter haben in der ersten Jahreshälfte 2019 Nachfrage nach dem Verbleib der Vorschussrechnung gehalten. Der Kläger hat lediglich mit Schriftsatz vom 29. April 2019 eine Reduktion seines Zahlungsantrags vorgenommen. Am 11. Juli 2019 ist eine Vorschussrechnung an den Kläger persönlich gestellt worden. Der Vorschuss ist am 7. August 2019 einbezahlt worden. Danach sind die Akten weggelegt worden. Mit Schriftsatz vom 16. April 2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers angefragt, wann mit einer Terminierung zu rechnen sei, bislang fehle eine Bestätigung der Klagezustellung an die Beklagte. Nach Überprüfung des Zahlungseingangs durch das Landgericht ist die Klage der Beklagten am 22. Mai 2020 zugestellt worden.
Bearbeitervermerk: Es ist zu unterstellen, dass die Verjährungsfrist für den Anspruch des K mit dem Ende des Jahres 2019 erreicht wurde.
Fallfrage:
Greift die Rückwirkung der Zustellung nach § 167 ZPO?
C Lösung
Vorliegend soll durch die Zustellung die Verjährungsfrist gewahrt werden. Diese Wirkung tritt nach § 167 ZPO bereits mit Eingang des Antrags bei Gericht ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.
I Zustellungsverzögerung durch gerichtlichen Geschäftsbetrieb
Anders als der Wortlaut nahelegt ist keine rein zeitliche Betrachtungsweise vorzunehmen. Der Begriff „demnächst“ muss im Wege einer wertenden Betrachtung ausgelegt werden.
Die Partei eines Prozesses soll gerade keine Nachteile dadurch erfahren, dass der gerichtliche Geschäftsbetrieb nicht ordentlich geführt wurde. Solche Umstände sind für die Partei(en) nicht beeinflussbar. Aus dieser Betrachtungsweise folgt, dass eine Zustellung sogar dann als demnächst angesehen werden kann, wenn diese mit mehrmonatiger Verzögerung erfolgt. Insoweit existiert keine absolute zeitliche Grenze für eine noch hinzunehmende Verzögerung durch den Beklagten.
II Zustellungsverzögerung durch Eigenverschulden
Andere Grundsätze gelten für solche Umstände, die bei gewissenhafter Prozessführung der Parteien hätten vermieden werden können. Die vertretene Partei muss sich dabei das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten über § 85 Abs. 2 zurechnen lassen. Dabei ist auch bloß leicht fahrlässiges Verhalten erfasst. Hier gilt es jedoch zwei wichtige Einschränkungen zu berücksichtigen.
1 Bloß geringfügige Verzögerungen
Nicht erfasst sind bloß geringfügige Verzögerungen. Ob eine Geringfügigkeit angenommen werden kann, richtet sich danach, um wie viele Tage sich der für die Zustellung der Klage ohnehin erforderliche Zeitraum infolge des Parteiverschuldens verzögert hat. Dabei werden Verzögerungszeiträume von bis zu 14 Tagen, gerechnet vom Tag des Ablaufs der Verjährungsfrist, regelmäßig als geringfügig betrachtet.
2 Schuldhafte Verzögerungen vor Ablauf der Frist
Wird eine Klage bereits vor Ablauf einer durch Zustellung zu wahrenden Frist eingereicht, die Klage aber erst nach Ablauf der Frist zugestellt, sind bis zum Fristablauf eingetretene Versäumnisse nicht mit einzurechnen, weil eine Partei die ihr eingeräumte Frist bis zum letzten Tag ausnutzen darf. Im Ergebnis bedeutet dies, dass in der Klausur nur die Zustellungsverzögerung durch die Partei nach Ablauf der Frist zu betrachten ist. Ein Verschulden vor Ablauf der Frist bleibt bei der Bewertung außer Betracht.
Daher sind bei der Betrachtung des Eigenverschuldens des K nur Umstände ab dem 1.1.2020 zu berücksichtigen. Daher ist eine etwaige Verzögerung im Rahmen der Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses im Jahr 2019 für die Bewertung nicht relevant.
III Relevante Einzelumstände ab dem 1.1.2020
Ab dem 1.1.2020 wurden alle notwendigen Mitwirkungshandlungen des K erbracht. Es wurden insbesondere alle Mitwirkungshandlungen für eine ordnungsgemäße Klagezustellung erbracht, hier insbesondere der Gerichtskostenvorschuss eingezahlt. Die Verzögerung hatte ihren Grund nur im Geschäftsbetrieb des Gerichts.
Weitere Pflichten treffen die Parteien nicht. Insbesondere musste der Prozessbevollmächtigte des K das gerichtliche Vorgehen nicht kontrollieren und durch Nachfragen nicht auf eine beschleunigte Zustellung hinwirken. Auch besteht im Rahmen von § 167 ZPO keine Pflicht den Gebühren- und Auslagenvorschuss ohne Aufforderung des Gerichts zu zahlen.
Daher greift hier die Rückwirkung der Zustellung nach § 167 ZPO.