Mit diesen Konsequenzen musste sich das LG München (BeckRS 2019, 38560) auseinandersetzen.
Der Beschuldigte B war nachts mit einem E-Scooter mit 1,49 Promille durch die Stadt gefahren und in eine Kontrolle geraten. Die Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin beim zuständigen Ermittlungsrichter die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111a StPO. Dieser Antrag wurde durch Beschluss zurückgewiesen. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass für E-Scooter die Grenzwerte der absoluten Fahruntüchtigkeit noch nicht hinreichend bestimmt seien, jedenfalls aber die für sonstige Kraftfahrzeuge geltende Grenze von 1,1 Promille nicht übertragbar sein, da von E-Scootern im Gegensatz zu Autos eine geringere Gefährlichkeit ausgehe. Zu denken sei hier eher eine Vergleichbarkeit mit Fahrrädern, bei welchen die Grenze auf 1,6 hochgesetzt ist. Da aufgrund dessen eine Strafbarkeit gem. § 316 StGB wahrscheinlich nicht gegeben sei, lägen auch die Voraussetzungen der §§ 111a StPO, 69 StGB nicht vor.
Hinweis
Bei einer absoluten Fahruntauglichkeit ist einzig der Promillewert ausschlaggebend. Bei einer relativen Fahruntauglichkeit (ab 0,3 Promille) müssen zusätzlich alkoholbedingte Ausfallerscheinungen hinzukommen.
Gegen diesen Beschluss hat die StA Beschwerde gem. §§ 304 ff StPO eingelegt. Diese Beschwerde muss eingelegt werden bei dem Gericht dessen Entscheidung angefochten wird. Das Gericht hat dann die Möglichkeit, abzuhelfen. Geschieht das nicht, muss sich das nächst höhere Beschwerdegericht, hier das LG München, mit der Sache befassen, § 306 StPO.
Das LG München hat unter Hinweis auf die „Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr“ (eKFV) E-Scooter als Kraftfahrzeuge gem. § 1 II StVG eingestuft und sie den sonstigen Kraftfahrzeugen gleichgesetzt. Damit, so das LG, sei auch hier für die Bestimmung der absoluten Fahruntauglichkeit gem. § 316 StGB die Promillegrenze von 1,1 relevant, die vorliegend weit überschritten sei.
Im Einzelnen führt das Gericht (a.a.O.) folgendes aus:
„Gemäß § 1 Absatz 1 eKFV sind Elektrokleinstfahrzeuge im Sinne der Verordnung grundsätzlich Kraftfahrzeuge im Sinne von § 1 Absatz 2 StVG. Zwar wird im Rahmen der Begründung des Referentenentwurfs des Bundesministeriums für Verkehr und Infrastruktur vom 21.09.2018 eine Vergleichbarkeit zwischen Fahrrädern und Elektrokleinstfahrzeugen im Bereich der Fahreigenschaften sowie der Verkehrswahrnehmung und deshalb die Anwendung der Verkehrs- und Verhaltensregeln über Fahrräder mit Maßgabe besonderer Vorschriften thematisiert (siehe S. 25 des Referentenentwurfs). Aus Sicht der Kammer ist jedoch aus dem Verordnungserlassverfahren klar erkennbar, dass im Rahmen einer einheitlichen Rechtsanwendung Elektrokleinstfahrzeuge als Kraftfahrzeuge grundsätzlich den für Kraftfahrzeugen geltenden Vorschriften unterliegen sollen, soweit ausdrücklich keine anderen Regeln für Elektrokleinstfahrzeuge festgesetzt sind.
Auch die Einordnung des von Elektrokleinstfahrzeugen ausgehenden Gefährdungspotentials, führt zu keinem anderen Ergebnis.
Zum einem sind Elektrokleinstfahrzeuge der verschiedenen E-Scooter Anbieter mit einem Gewicht von circa 20-25 kg deutlich schwerer als ein durchschnittliches Fahrrad und weisen damit im Rahmen der möglichen Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h ein höheres Verletzungspotential gegenüber Dritten als Fahrräder auf. Zum anderen muss zum Ausschluss einer Gefahr für Dritte, im Fall der Benutzung eines Elektrokleinstfahrzeugs unter Alkoholeinfluss, die ohne große Anstrengung und Koordinationsbemühungen abrufbare Motorkraft sicher beherrscht werden. Im Gegensatz dazu muss ein alkoholisierter Fahrradfahrer durch eigene Anstrengung und Koordination das Fahrrad erst bewegen und wird im Zweifel auch eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h kaum erreichen. Im Fall eines alkoholisierten Fahrradfahrers steht deshalb aus Sicht der Kammer nicht wie bei einem Elektrokleinstfahrzeug die Fremd- sondern die Eigengefährdung im Vordergrund (so grundsätzlich auch OLG Nürnberg Beschluss vom 13.12.2010 - 2 St OLG Ss 230/10 sowie im Fall der Benutzung eines sog. „Segway“ OLG Hamburg Beschluss vom 19.12.2016 - 1 Rev 76/16).
Aus Sicht der Kammer sind Elektrokleinstfahrzeuge im Ergebnis im Rahmen des Gefährdungspotentials eher mit Mofas vergleichbar, in deren Fall auch von einem Grenzwert von 1,1 ‰ für den Fall der sog. absoluten Fahruntüchtigkeit auszugehen ist (siehe hierzu MüKo StGB § 316 Rn. 40 sowie Fischer § 316 StGB Rn. 25).“
Damit bestand nach Ansicht des Gerichts eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass dem Beschuldigten, der sich jedenfalls gem. § 316 II StGB strafbar gemacht haben könnte, in einer späteren Hauptverhandlung gem. § 69 StGB die Fahrerlaubnis entzogen werden würde. Damit hat es die Voraussetzungen einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gem. 111a StGB bejaht.
Der Tenor lautete wie folgt:
- Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft München I vom 07.10.2019 wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 23.09.2019 aufgehoben.
- Dem Beschuldigten ... wird die Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StPO vorläufig entzogen.
- Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie seine notwendigen Auslagen trägt der Beschuldigte.