Der BGH (NStZ 2023, 349) musste sich mit folgendem Sachverhalt befassen:
A stieg zusammen mit 3 weiteren Mittätern in das von X und Y bewohnte, abgeschiedene Wohnhaus ein. Sie weckten die beiden schlafenden Opfer auf, setzen Sie nebeneinander auf eines der Betten, ließen die Jalousien herunter und befragten sie unter Vorhalten einer geladenen Waffe und eines Messers nach Geldverstecken. Nachdem diese über einen Zeitraum von 20 Minuten hinweg sich weigerten, wandte sich schließlich die verängstigte X an ihren Lebensgefährten Y und flehte ihn an, das Versteck zu verraten, was dieser aus Angst auch um seine Lebensgefährtin tat. Die Täter verschwanden anschließend mit dem Geld.
Das erstinstanzlich zuständige Landgericht Duisburg hat die Täter wegen besonders schweren Raubes gem. §§ 249, 250 II Nr. 1 StGB in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub gem. § 239a I StGB verurteilt.
Zur Überprüfung durch den BGH stand die Verurteilung aus § 239a StGB. Wie wollen aber zunächst einmal mit dem besonders schweren Raub gem. §§ 249, 250 II Nr. 1 StGB beginnen.
Prüfungstipp
In einer Klausur stellt sich wie immer die Frage, womit Sie die Prüfung beginnen sollen. § 239a StGB hat im Vergleich zu § 249 StGB den höheren Strafrahmen. Gleichwohl sollten Sie mit dem Raub beginnen, um bei § 239a die Prüfung nicht zu unübersichtlich werden zu lassen, zumal es vorliegend um das „Klassiker-Problem“ der Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung geht. Da zwischen § 239a StGB einerseits und §§249 bzw. 253, 255 StGB andererseits auch Tateinheit besteht, laufen Sie auch nicht Gefahr, etwas zu prüfen, was dann später in Gesetzeskonkurrenz zurücktritt.
Im objektiven Tatbestand müssen Sie bei der Wegnahme des Geldes als fremde bewegliche Sache bereits durch das Einstecken prüfen, ob und wenn ja, wie sich die Mitwirkungshandlung des Y auswirkt. Die Wegnahme muss ja „gegen und ohne den Willen“ des Gewahrsamsinhabers geschehen.
Hier geht es nun um die Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung.
Nach Auffassung der Lit. erfolgt diese Abgrenzung genauso wie bei den §§ 242 zu 263 StGB. Stellt das Handeln, Dulden oder Unterlassen des Gewahrsamsinhabers eine Vermögensverfügung dar, dann ist Raub bereits tatbestandlich ausgeschlossen und es erfolgt eine Bestrafung über §§ 253, 255 StGB. Da sich das Opfer qualifizierten Nötigungsmitteln ausgesetzt sieht, bestimmt sich die erforderliche Freiwilligkeit der Vermögensverfügung danach, ob das Opfer glaubt, sich der Gewalt oder dem angedrohten Übel entgegenstellen zu können oder ob es eine Hüterstellung zur Sache hat (Wessels/Hillenkamp Strafrecht BT/2 Rn. 712; Schönke/Schröder-Eser/Bosch § 249 Rn. 2).
Vorliegend kamen die Täter ohne die Mitwirkung des Y nicht an das Geld heran, was sich bereits daraus ergibt, dass sie 20 Minuten lang versuchten, diesen zur Preisgabe des Verstecks zu motivieren. Y hatte also eine Hüterstellung zum Geld, weswegen das Benennen des Verstecks eine Vermögensverfügung sein könnte. Weitere Voraussetzung ist aber, dass diese unmittelbar zum Vermögensverlust führt. Dies könnte problematisch sein, weil der Gewahrsamsverlust erst durch das Suchen und Einstecken des Geldes bewirkt wurde.
Teilweise wird in der Lit. in derartigen Fallgestaltungen die Unmittelbarkeit verneint und dementsprechend § 249 durch das Wegnehmen der Sache aus dem Versteck bejaht (Wessels/Hillenkamp/Schuhr Strafrecht BT 2 Rn. 755). Nach dieser Auffassung läge mithin eine Wegnahme vor. Die Gegenauffassung verweist darauf, dass bereits eine konkrete schadensgleiche Vermögensgefährdung vorliege, sofern es nur noch vom Täter abhängt, ob die Gefahr in einen Schaden umschlage (Küper, Lenckner-FSS. 506). Dieser Auffassung zufolge wäre das Benennen des Verstecks eine Vermögensverfügung gewesen und § 249 würde ausscheiden.
Der BGH (NStZ-RR 2022, 14) und teilweise auch die Lit. (Jahn JuS 2011, 1131; Joecks/Jäger StGB § 255 Rn. 6) lehnen eine Abgrenzung der beiden Tatbestände über eine Vermögensverfügung ab. Entscheidend ist allein das äußere Erscheinungsbild: nimmt der Täter sich die Sache, wird aus § 249 StGB bestraft, andernfalls aus §§ 253, 255 StGB. Nach dieser Auffassung schließen sich Raub und räuberische Erpressung nicht tatbestandlich aus. Vielmehr ist der Raub lex specialis und verdrängt auf Konkurrenzebene die räuberische Erpressung. Folgte man dieser Auffassung dann läge eine Wegnahme vor.
Folgt man dem BGH dann liegt nach dem äußeren Erscheinungsbild eine Wegnahme und damit ein Raub vor. In dem Vorhalten von Waffe und Messer ist eine Drohung zu sehen, die auch subjektiv-final zu der Wegnahme führte. Der objektive Tatbestand ist damit verwirklicht. Da die Täter auch vorsätzlich und mit rechtwidriger Zueignungsabsicht handelten, liegen die Voraussetzungen des § 249 StGB vor. Die Waffe erfüllt zusammen mit dem Messer, welches jedenfalls ein gefährliches Werkzeug ist den § 250 II Nr. 1 StGB.
Kommen wir damit zu § 239a StGB.
Im objektiven Tatbestand muss der Täter das Opfer entführen oder sich dem Opfers bemächtigen. Da eine Ortsveränderung nicht stattgefunden hat, kommt ein Entführen nicht in Betracht.
Ein Bemächtigen liegt vor, wenn der Täter das Opfer physisch oder psychisch in seine Gewalt bringt und unterwirft. Die Täter haben sich jedenfalls durch das Vorhalten von Waffe und Messer ihrer Opfer bemächtigt. Man könnte aber auch schon ein Bemächtigen im Aufwecken, Herunterlassen der Jalousien und Platzieren der Opfer auf dem Bett sehen. Diese wurden sicherlich bereits durch dieses Verhalten der 4 Täter massiv eingeschüchtert und spürten eine Zustand des „Ausgeliefertseins“. Der BGH ist darauf allerdings nicht gesondert eingegangen. Weitere Voraussetzungen sind im objektiven Tatbestand nicht zu prüfen.
Im subjektiven Tatbestand müssten die Täter zunächst gem. § 15 StGB vorsätzlich gehandelt haben, was vorliegend in Gestalt der Absicht verwirklicht ist.
Darüber hinaus müssten sie aber auch die Absicht gehabt haben, diesen Zustand zu einer Erpressung auszunutzen. Wie festgestellt liegt aber nach Auffassung der BGH ein Raub vor. Da aber jeder Raub eine räuberische Erpressung beinhaltet, stellt diese Situation den BGH nicht vor Herausforderungen.
Prüfungstipp
Sofern Sie oben mit der Literatur eine Tatbestandsalternativität bejaht und aber zugleich aufgrund der fehlenden Unmittelbarkeit eine Vermögensverfügung verneint und eine Wegnahme bejaht haben, müssen Sie die Prüfung an dieser Stelle beenden. Haben Sie hingegen zuvor die Vermögensverfügung bejaht, dann haben Sie §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 StGB bejaht und haben nun kein Problem. Sofern sie also bei der Abgrenzung der Literatur folgen möchten, macht es klausurtaktisch Sinn, den Vertretern zu folgen, die in der Preisgabe eines Verstecks eine konkrete schadensgleiche Vermögensgefährdung und mithin eine Vermögensverfügung sehen.
Kommen wir damit zum „Klassiker-Problem“ des § 239a StGB. Nach überwiegender Auffassung ist im 2-Personen-Verhältnis aufgrund des hohen Strafrahmens des § 239a StGB und der Abgrenzung zu §§ 253, 255 StGB eine teleologische Restriktion geboten. Der BGH (a.a.O.) führt dazu folgendes aus:
„Der Tatbestand des § 239a Abs. 1 StGB ist im Zwei-Personen-Verhältnis, insbesondere für Fälle des Sichbemächtigens, einschränkend auszulegen. Der Täter muss durch eine Entführung oder in sonstiger Weise die physische Herrschaftsgewalt über das Opfer gewinnen, dadurch eine stabile Bemächtigungslage schaffen und entweder von vornherein beabsichtigen, diese Lage zu einer Erpressung auszunutzen, oder die zu anderen Zwecken hergestellte Verfügungsgewalt über das Opfer zu einer Erpressung ausnutzen. Dabei muss der stabilisierten Bemächtigungslage mit Blick auf die erstrebte Erpressung eine eigenständige Bedeutung zukommen…. Damit ist - insbesondere in Abgrenzung zu den Raubdelikten - indes lediglich gemeint, dass sich über die in jeder mit Gewalt oder Drohungen verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weiter gehende Drucksituation auf das Opfer gerade auch aus der stabilen Bemächtigungslage ergeben muss. Der erforderliche funktionale Zusammenhang liegt insbesondere dann nicht vor, wenn sich der Täter des Opfers durch Nötigungsmittel bemächtigt, die zugleich unmittelbar der beabsichtigten Erpressung dienen, wenn also Bemächtigungs- und Nötigungsmittel zusammenfallen.“
Prüfungstipp
Als „Faustregel“ kann man sich folgendes merken: Ist das Nötigungsmittel der §§ 249, 253, 255 StGB zugleich (= zeitliche Identität) das Bemächtigungsmittel des § 239a StGB, dann scheidet § 239a StGB aus. Alles, was darüber hinausgeht kann eine stabile Bemächtigungslage begründen. Der hohe Strafrahmen des § 239a StGB liegt in dem „doppelten Zwang“. Das Opfer muss sich schon durch die Bemächtigungslage dem Täter ausgeliefert sehen. Diese muss also eine eigenständige Bedeutung entfalten.
Eine solche stabile Bemächtigungslage hat der BGH vorliegend in der 20-minütigen Bedrohungssituation gesehen:
„Nach diesen Maßstäben fallen hier Bemächtigungs- und Nötigungsmittel nicht zusammen. Die über den nicht unerheblichen Zeitraum von etwa zwanzig Minuten (vgl. zum Ausreichen einer Zeitspanne von lediglich sechseinhalb Minuten: BGH, Urteil vom 31. August 2006, aaO) mittels mehrerer Waffen fortwährend wiederholten Bedrohungen der Geschädigten, die zuvor aus dem Schlaf gerissen und bei heruntergelassener Jalousie nebeneinander unter Bewachung durch mehrere Täter in ihrem abgelegenen Wohnhaus auf ein Bett gesetzt worden waren, begründeten eine stabilisierte Bemächtigungslage und erzeugten eine Drucksituation, die über dasjenige hinausreichte, was zur Durchführung der Erpressung erforderlich war. Ein Sichbemächtigen lag demnach auch unter Berücksichtigung der für das Zwei-Personen-Verhältnis geltenden Einschränkungen vor.“
Das kann man durchaus anders bewerten, denn augenscheinlich hat sich vor allem Y nicht sonderlich beeindruckt gezeigt, weswegen die Täter die Drohungen über 20 Minuten aufrechterhalten mussten, um den bis dahin nur versuchten Raub vollenden zu können. Auf der anderen Seite hat Y das Versteck vor allem auf das flehentliche Bitten der X und aus Sorge um ihr Leben hin verraten. Damit befinden wir uns aber im 3-Personen-Verhältnis, welche keine Einschränkung verlangt (so auch Anm. Valerius NStZ 2023, 34). Es gibt also viele Wege hin zu einer Strafbarkeit des A und seiner Mittäter aus § 239a StGB.
Hinweis
Wie Sie sehen konnten, eignet sich dieser kleine Fall wunderbar, um „Klassiker-Probleme“ abzufragen und damit ein heißer Anwärter auf die Examensklausur.