Die Rechtsprechung des BGH zu dieser Frage ist nicht immer eindeutig. So hat er im „Scheuenmordfall“ (BGH Urteil vom 03.12.2015, 4 StR 223/15 - abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de und dargestellt bei BGH und Co) dieses Problem gar nicht diskutiert, sondern ist, wie das Landgericht vor ihm, davon ausgegangen, dass in der Zweithandlung nur ein Totschlag zu sehen sei, obgleich zwischen beiden Handlungen eine deutliche, zeitliche Zäsur lag. Er hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass „in der zweiten Handlung lediglich eine Tatverschleierung mit gleicher Angriffsrichtung gegen das wider Erwarten noch nicht verstorbene Opfer“ zu sehen sei.
In einer anderen Entscheidung hat er hingegen deutlich gemacht, dass auch ein versuchter Totschlag als „andere Tat“ in Betracht komme, sofern es eine deutliche Zäsur gebe, was in dem zur Entscheidung vorliegenden Sachverhalt allerdings verneint wurde (BGH Beschl. v. 14.03.2017, 2 StR 370/16 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de)
Folgender Sachverhalt lag der BGH Entscheidung zugrunde:
A, B, C und D suchen am Tattag die als Prostituierte arbeitende X auf, um sie auszurauben. Sie planen, X durch körperliche Gewalt außer Gefecht zu setzen, um dann in aller Ruhe die Wohnung zu durchsuchen. Zu diesem Zweck klingelt D bei X, gibt sich als Freier aus und gelangt in die Wohnung. Er geht dann ins Badezimmer, um zu duschen und öffnet dabei das Seitenfenster. Während er sich aufs Bett legt, steigen A, B und C durch das Fenster ein und treten, von X unbemerkt, in den Raum, in welchem X sich gerade auf das Bett setzt. Für X völlig überraschend versetzt A ihr von hinten einen heftigen Faustschlag ins Gesicht, durch welchen X kurzfristig das Bewusstsein verliert. Als sie wieder zu sich kommt, schlagen und treten alle auf sie ein und würgen sie, so dass sie mehrfach das Bewusstsein verliert. Anschließend fesseln sie die auf dem Bauch liegende X an Händen und Füßen und verbinden das mit einem Stoffteil, welches sie X um den Hals gewickelt haben. Diese Fesselung führt dazu, dass sich X bei unwillkürlichen Bewegungen oder aber bei Eintritt einer erneuten Bewusstlosigkeit selber strangulieren könnte. Dabei nehmen sie spätestens jetzt billigend in Kauf, dass dadurch der Tod eintritt. Nachfolgend durchsuchen sie die Wohnung und nehmen Geld und diverse Wertgegenstände mit. X überlebt.
Das LG verurteilte die Angeklagten wegen versuchten Verdeckungsmordes gem. §§ 211, 212, 22, 23, in Tateinheit mit schwerem Raub gem. §§ 249 I, 250 II Nr. 3 a und b, und gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 3, 4 und 5.
Der BGH hob das Urteil auf. Problematisch ist die Verdeckungsabsicht.
Fraglich ist zunächst, ob den Tätern in Anbetracht des lediglich bedingten Vorsatzes bzgl. des Erfolgseintritts überhaupt Verdeckungsabsicht nachgewiesen werden kann. Das hängt davon ab, ob die Täter den Erfolg (=Tod) zur Verdeckung brauchten, etwas weil sie befürchteten, dass ein überlebende Opfer sie identifizieren könnte, oder ob die Handlung zur Verdeckung ausgereicht hätte.
Unabhängig davon aber müssten die Täter auch die Absicht gehabt haben, eine „andere“ Straftat zu verdecken. Auf den Raub kann dabei nicht abgestellt werden, weil dieser ja erst zeitlich nachfolgend begangen werden sollte. Als andere Straftat könnten aber die bereits begangenen, körperlichen Misshandlungen in Betracht kommen. Grundsätzlich kann nach der Rechtsprechung des BGH eine Körperverletzung eine andere Tat darstellen, da aufgrund des Vorsatzwechsels eine Zäsur angenommen wird, welche die §§ 223 ff zu einer anderen Tat machen, auch wenn sich die Körperverletzung ebenso wie die Tötung gegen die körperliche Integrität des Opfers richtet
Keine andere Tat wäre hingegen eine vorangegangene (versuchte) Tötung. Hierzu führt der BGH folgendes aus:
„Um eine andere – zu verdeckende – Straftat im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB handelt es sich jedoch dann nicht, wenn der Täter nur diejenige Tat verdecken will, die er gerade begeht. Will der Täter im Zuge der Tatausführung den Tötungserfolg zusätzlich herbeiführen, um seine vorherigen Tathandlungen zu verdecken, ist daher für die Annahme eines Verdeckungsmordes dann kein Raum, wenn der Täter bereits von Anfang an mit Tötungsvorsatz gegen das Opfer gehandelt hat. In diesem Fall macht allein das Hinzutreten der Verdeckungsabsicht die davor begangenen Einzelakte nicht zu einer anderen Tat … Anders ist die Rechtslage nur dann zu beurteilen, wenn zwischen einer vorsätzlichen Tö- tungshandlung und einer mit Verdeckungsabsicht vorgenommenen weiteren Tötungshandlung eine deutliche Zäsur liegt …. In den Fällen, in denen ein äußerlich ununterbrochenes Handeln zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz beginnt und dann mit Tötungsvorsatz weitergeführt wird, liegt die erforderliche Zäsur schon in diesem Vorsatzwechsel selbst …“
Ausweislich des Tatplanes wollten die Täter X zunächst mit Gewalt außer Gefecht setzen, um sie dann auszurauben. Sie hatten also ursprünglich Körperverletzungsvorsatz. Allerdings hat sich dieser Vorsatz im Laufe der Misshandlungen irgendwann in einen Tötungsvorsatz umgewandelt. Das Problem ist, dass das LG keine Ausführungen zum Zeitpunkt des Vorsatzwechsels gemacht hat. Hatten die Täter schon zum Zeitpunkt des Einschlagens, Tretens und Würgens der X Tötungsvorsatz, scheidet Verdeckungsabsicht nach den oben genannten Grundsätzen aus. Es würde sich dann nicht um eine „andere“ Tat handeln. Fassten sie diesen Vorsatz hingegen erst später, als sie X fesselten, dann wären die Misshandlungen „bloße“ Körperverletzungen gewesen, die als andere Tat in Betracht kommen. Was macht man nun aber, wenn sich der Zeitpunkt des Vorsatzwechsels nicht mehr genau feststellen lässt? Dann müsste man „in dubio pro reo“ zugunsten der Angeklagten annehmen, dass diese den Tötungsvorsatz schon zum Zeitpunkt des gemeinsamen Einschlagens auf X fassten. In diesem Fall wäre die Verdeckungsabsicht zu verneinen.
In Betracht kommen könnte aber die Ermöglichungsabsicht. Dann müsste den Angeklagten aber nachgewiesen werden können, dass sie den Tod oder die Tötungshandlung brauchten, um den späteren Raub schneller oder leichter begehen zu können.
Auch an Habgier könnte man denken, allerdings nur dann, wenn die Angeklagten sich durch den Tod der X eine Vermögensmehrung versprochen haben, was nicht ersichtlich ist.
Als tatbezogenes Mordmerkmal käme die Grausamkeit in Betracht, die darin zu sehen sein könnte, dass X infolge eigener Bewegungen qualvoll ersticken würde. Dann müssten die Täter zudem aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung heraus gehandelt haben, was in Anbetracht der kalten Brutalität nahe liegt. Da allerdings auch die Möglichkeit besteht, dass der Tod durch Strangulation erst eintritt, nachdem das Opfer aus anderen Gründen bewusstlos geworden ist, muss die Grausamkeit verneint werden, da das Opfer die Grausamkeit dann nicht mehr empfunden hätte.
Sofern also kein Mordmerkmal bejaht werden kann, liegt ein versuchter Totschlag vor, wobei man hier aufgrund der brutalen Vorgehensweise evtl. an § 212 Abs. 2 StGB denken könnte.