Mit dieser Frage musste sich erneut der BGH (NStZ 2020,46) anhand folgenden Sachverhalts auseinander setzen: Durch die Anklage ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, am 20. April 2017 ein Verbrechen des besonders schweren Raubes (§ 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) begangen zu haben. Hierzu ist im konkreten Anklagesatz ausgeführt, dass der Angeklagte mit einem bisher unbekannt gebliebenen Mittäter am 20. April 2017 maskiert und mit einer silberfarbenen geladenen Gaspistole einen Überfall auf ein Lebensmittelgeschäft durchgeführt und neben Bargeld auch eine Armbanduhr erbeutet haben soll. Darüber hinaus ist im Anklagesatz festgehalten, dass „der Angeschuldigte und sein Mittäter“ die Uhr „an den B. er Hells-Angels-Präsidenten Y. “ verkauften.
Das LG sprach den Angeklagten vom Tatvorwurf des besonders schweren Raubes frei. Es sah auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte sich der Hehlerei schuldig gemacht hat. Zur Überzeugung des LG hat sich der Angeklagte aber durch den Verkauf der Uhr an den gutgläubigen Y einige Tage später gem. § 263 I StGB schuldig gemacht, indem er ihm vorspiegelte, er habe die Uhr legal erworben und sie stamme nicht aus einer rechtswidrigen Tat.
Hinweis
Man fragt sich natürlich, warum eine Hehlerei nicht nachgewiesen werden konnte, ein Betrug aber schon. Immerhin muss der Angeklagte gewusst haben, dass die Uhr aus einer rechtswidrigen Tat eines anderen stammte, ansonsten hätte er den Y nicht täuschen können. Dem BGH-Urteil ist in dieser Hinsicht nichts zu entnehmen. Es liegt die Vermutung nahe, dass dem Angeklagten wahrscheinlich keine Tathandlung nachgewiesen werden konnte. Denkbar ist, dass ein anderer Täter die Uhr angekauft oder sich sonst wie verschafft hatte und der Angeklagte nur nachfolgend bei der „Verwertung“ half. Hätte nicht sicher festgestanden, ob der Angeklagte entweder die Uhr geraubt oder aber selber nachfolgend sich verschafft oder abgesetzt hat, dann hätte man über eine ungleichartige, echte Wahlfeststellung nachdenken können, nicht zwischen Raub und Hehlerei, wohl aber zwischen Diebstahl und Hehlerei.
Nun stellte sich für den BGH die Frage, ob das Landgericht den Angeklagten wegen Betruges verurteilen durfte. Das wäre ohne Nachtragsanklage gem. § 266 StPO, die vorliegend nicht erhoben wurde, nur dann möglich, wenn der Betrug zur angeklagten, prozessualen Tat gehört (§ 264 StPO).
Man möchte diese Frage voreilig bejahen, hat doch die StA im Anklagesatz festgehalten, dass „der Angeschuldigte und sein Mittäter“ die Uhr „an den B. er Hells-Angels-Präsidenten Y. “ verkaufte. Hierzu hat der BGH (a.a.O.) aber folgendes ausgeführt:
„Die in der Anklageschrift enthaltenen Hinweise erfolgten ersichtlich nicht zum Zwecke einer Ausdehnung des Anklagevorwurfs auf dieses Geschehen, sondern sind im Sinne eines Beweisanzeichens zur Stützung des Verdachts einer Beteiligung des Angeklagten an der Tat in die Anklageschrift aufgenommen worden …. Anhaltspunkte dafür, dass die Veräußerung eines Teils der Tatbeute deliktisch erfolgt sein und der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft sich auch auf dieses Geschehen erstrecken könnte, sind weder dem konkreten Anklagesatz noch dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, das zur Ergänzung und Auslegung des Anklagesatzes herangezogen werden, zu entnehmen.“
Kommen wir damit zurück zur prozessualen Tat. Nach der Definition des BGH (a.a.O.) wird eine solche prozessuale Tat wie folgt definiert:
„Tat im Sinne dieser Vorschrift ist ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll…. Die Tat als Prozessgegenstand ist dabei nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten darin zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört dazu das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet… Die prozessuale Tat wird in der Regel durch Tatort, Tatzeit und das Tatbild umgrenzt und insbesondere durch das Täterverhalten sowie die ihm innewohnende Angriffsrichtung sowie durch das Tatopfer bestimmt“
Expertentipp
Zur Bestimmung der prozessualen Tat kann man sich am materiell-rechtlichen Tatbegriff orientieren. Stehen die Delikte zueinander in Tateinheit, kann in der Regel auch eine prozessuale Tat angenommen werden. Liegt hingegen Tatmehrheit vor, kann man in der Regel auch von 2 prozessualen Taten ausgehen. Hätte der Angeklagte auch den Raub verwirklicht, dann stünden der Raub und der nachfolgende Betrug zueinander in Tatmehrheit. Das spricht dafür, dass 2 prozessuale Taten angenommen werden müssten.
Der BGH (a.a.O.) ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Betrug eine andere prozessuale Tat darstellt:
„Gemessen hieran ist der abgeurteilte Betrug zum Nachteil des Tatopfers Y. nicht Gegenstand der zugelassenen Anklage. Insoweit handelt es sich nicht um die nämliche Tat im Sinne des § 264 StPO. Beide Lebensvorgänge unterscheiden sich nicht nur im Hinblick auf Tatzeit und Tatort, sondern insbesondere in Bezug auf das Tatbild, das Tatopfer sowie die Angriffsrichtung. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der abgeurteilte Betrug auf einen aus dem Raub stammenden Beutegegenstand bezogen ist. Anders als in der Fallkonstellation einer sich an den Raub anschließenden Hehlerei, in denen der Tatbestand der Hehlerei als ein mit dem vorangegangenen Raub einheitliches geschichtliches Vorkommnis bildender Vorgang angesehen worden ist, wenn und soweit sich der Angeklagte „als Glied in der sich an diese Tat anschließenden ‚Verwertungskette‘ für das Raubgut hehlerisch betätigte“ (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 1999 – 1 StR 262/99, NStZ 1999, 523, 524; siehe aber auch BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 – 1 StR 423/87, BGHSt 35, 172, 174; Beschluss vom 16. Oktober 1987 – 2 StR 258/87, BGHSt 35, 80, 82), fehlt es in der vorliegenden Fallkonstellation schon aufgrund der unterschiedlichen Angriffsrichtung an einem in diesem Sinne engen Zusammenhang mit der Vortat.“
Hinweis
Beachten Sie also: wäre der nachfolgende Verkauf eine Hehlerei gewesen, dann läge wohl eine einheitliche, prozessuale Tat vor. Die Hehlerei schützt als klassisches Nachtatgeschehen das Vermögen des durch die Vortat Geschädigten, in unserem Fall also das Vermögen des Eigentümers der Uhr. Der Betrug hingegen schützt in unserem Fall das Vermögen des gutgläubig Erwerbenden.
Da somit der Betrug nicht angeklagt worden war, durfte er nicht abgeurteilt werden. Die fehlende Anklage stellt ein Verfahrenshindernis dar. Aus diesem Grund hat der BGH das Verfahren eingestellt.