Auf einer zweitägigen Fachtagung der Hamburger Bucerius Law School (BLS) wurden die – teils schon lange bekannten – Probleme diskutiert. So steigt das Stresslevel bei den Prüfungen stetig und messbar an. Eine Studie bei 451 Studierenden über 13 Monate hinweg ergab: Etwa 59 Prozent der Studierenden galten mindestens zu einem Zeitpunkt als „auffällig“ bei der Messung von chronischen Stress, 48 Prozent wiesen sogar Angstsymptome auf, und 19 Prozent hatten erhöhte Werte in der Kategorie „Depressivität“. Die per smartphone-Umfragen erhobenen Daten wurden durch messbare körperliche Reaktionen untermauert: Speichelproben zeigen, dass der Cortisol-Spiegel (Cortisol-Aufwachreaktion) ein Jahr vor dem Examen im Normalbereich lag. Unmittelbar vor dem Examen wurden dann deutlich abweichende Verläufe gemessen. So wurde auch ein Zusammenhang zwischen Stressempfinden und der Examensnote festgestellt – je stressiger die Studierenden die Phase vor dem Examen erlebten, umso schlechter war im Mittel die Note der schriftlichen Examensklausuren.
Seit Längerem werden hier Reformen gefordert. Die Forderungen finden sich auch im „Hamburger Protokoll“, das Vertreter*innen von 15 juristischen Fakultäten, der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. (BRF) und die Initiative iur.reform im Dezember 2023 erarbeiteten:
Erstens soll der Pflichtstoff für das 1. Staatsexamen deutlich verringert werden. Die aktuelle Stofffülle verleitet den Expert*innen nach zum Auswendiglernen oder gar Lernen „auf Lücke“. Damit werde das eigentliche Ziel der Prüfung, nämlich Methodik und Systemverständnis, nicht erreicht. Die “Streichposten“ sollten vor dem Examen in Klausuren während des Studiums abgefragt werden.
Forderungen zwei und drei gehen auf das Verfahren ein: Das Protokoll schlägt unabhängige Anlaufstellen vor, bei denen Prüflinge Konflikte, zu denen es im Rahmen von (mündlichen) Prüfungssituationen gekommen ist, melden können. Auf der einen Seite könne so die Sensibilität für die Belange der Prüflinge gesteigert werden, andererseits können die Justizprüfungsämter anhand der gesammelten Informationen die Eignung der eingesetzten Prüferinnen und Prüfer besser feststellen. Das erste Staatsexamen und idealerweise auch das Studium müssten zudem regelmäßig auf Zielerreichung und Reformbedarf/-umsetzung überprüft und evaluiert werden. Die Verfasser*innen sprechen sich daher für ein dauerhaftes, gesetzlich verankertes Monitoring aus.
Schließlich fordert man einen integrierten Bachelor-Abschluss. Wer alle Zulassungsvoraussetzungen für das Examen gesammelt und die Schwerpunktprüfung bestanden hat befinde sich leistungstechnisch bereits auf dem Niveau eines Masterabschlusses. Der Bachelor of Laws (LL.B.) müsse daher schon zu einem früheren Zeitpunkt verliehen werden können, allein um den gebotenen Abstand zum juristischem Staatsexamen widerzuspiegeln. Der LL.B. dürfe damit nicht nur als „Trostpreis“ gelten können, wenn das Examen endgültig nicht bestanden sei, sondern müsse einen eigenen Stellenwert erhalten.
Bei den Prüfungskommissionen mangelt es auch an Diversität. Eine groß angelegte Studie, die Andreas Glöckner von der Fernuniversität Hagen, Emanuel Towfigh von der EBS Universität Wiesbaden und Christian Traxler von der Hertie School of Governance im Auftrag des Nordrhein-Westfälischen Justizministeriums durchgeführt haben, kam schon 2018 zum Ergebnis, dass Frauen in den juristischen Staatsexamina schlechter beurteilt werden als ihre männlichen Kandidaten. Auch Menschen mit Migrationshintergrund schnitten im Vergleich schlechter ab. Dies gilt vor allem bei mündlichen Prüfungen.
Grundsätzlich aber werden die Abschlussnoten immer besser. Nach den aktuellsten Zahlen für den Prüfungsjahrgang 2021 ist die bundesweite Durchfallquote auf 24,7% gesunken, das sind gut drei Prozent weniger als noch 2020. Die niedrigste Durchfallquote erreichten Berlin (16,6%) dicht gefolgt vom Saarland (16,7), Bronze ging nach Sachsen-Anhalt (18,5).
Ein Prädikatsexamen schafften 20,4%der 2021er geprüften Personen - knapp zwei Prozent mehr als 2020. Die meisten Prädikatsexamen gab es mit 31,8% in Sachsen-Anhalt und Berlin (28,7%), die wenigsten in Mecklenburg-Vorpommern (12%) und Brandenburg.