Die §§ 277-279 a.F. stellten die Fälschung von Gesundheitszeugnissen, das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse und den Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse nur dann unter Strafe, wenn Behörden oder Versicherungsgesellschaften getäuscht werden sollten. Aufgrund der Einschränkung und der im Vergleich zu den §§ 267 ff StGB geringeren Strafandrohung begriff die h.Lit. diese Normen als Privilegierung mit Sperrwirkung. Legte also ein Täter einen gefälschten Impfausweis in einer Apotheke vor, so lagen zwar in der Regel die Voraussetzungen des § 267 I Var. 3 StGB vor. Aufgrund der Sperrwirkung konnte es nach dieser Auffassung aber nicht zu einer Verurteilung kommen.
Mittlerweile (Stand Juni 2022) sind verschiedene Entscheidungen der Oberlandesgerichte ergangen, die bzgl. der Sperrwirkung voneinander abweichen, was möglich ist, weil es überwiegend Entscheidungen aufgrund von Beschwerden sind, die eingelegt wurden, weil die Gerichte im Zwischenverfahren die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hatten, §§ 204, 210 II StPO. Hätte es sich um Revisionsentscheidungen der Oberlandesgerichte gehandelt, wäre ein Abweichen des einen OLG von der Rechtsauffassung der anderen OLG nicht möglich gewesen. Es hätte dann gem. § 121 II GVG eine Vorlagepflicht zum BGH bestanden.
Jüngst hat das OLG Celle (Urt. v. 31.05.2022, BeckRS 2022, 12898 mit Hinweisen auf alle zu diesem Thema bislang ergangenen Entscheidungen!) die Sperrwirkung noch verneint.
Hinweis
Aufgrund des Rückwirkungsverbots (Art. 103 II GG, § 2 StGB) muss das alte Recht noch auf alle Taten angewendet werden, die vor dem 24. November 2021 begangen (§ 8 StGB) worden sind. Aus diesem Grund versagte das LG Osnabrück (JuS 2022, 178) im Dezember 2021 die gerichtliche Bestätigung einer Beschlagnahme eines Impfausweises. Eine Beschlagnahme setzt einen Anfangsverdacht voraus, der aber fehlt, wenn die Tat aus rechtlichen Gründen nicht bestraft werden kann. Andere Gerichte hätten mit der Argumentation der Oberlandesgerichte, die eine Sperrwirkung ablehnen, die Beschlagnahme bestätigen können.
Die Eingrenzung auf Behörden oder Versicherungen hat der Gesetzgeber Ende 2021 aufgehoben. Zudem sind die § 277 und § 279 StGB jetzt subsidiär gegenüber den sonstigen Urkundendelikten.
Daraus ergibt sich folgendes:
- Stellt die noch nicht approbierte A, die gerade nach Ablegen ihres 2. Staatsexamens ihr Praktisches Jahr an einem Krankenhaus macht, ihrem Freund F eine Bescheinigung aus, nach welcher dieser geimpft sein soll und unterzeichnet sie diese mit ihrem eigenen Namen, wobei sie sich als niedergelassene Ärztin ausgibt und die Bezeichnung „Dr. A“ wählt, dann macht sie sich nur gem. § 277 I StGB strafbar. Tut sie dies gewerbsmäßig, dann liegt ein besonders schwerer Fall gem. § 277 II StGB vor. Eine Strafbarkeit gem. § 267 I StGB kommt nicht in Betracht, da nicht über den Aussteller getäuscht wird. Der aus der Urkunde = Bescheinigung ersichtliche Aussteller (=A) und der tatsächliche Aussteller (=A) sind identisch. Verwendet nun der F diese Bescheinigung, um sich in der Apotheke ein Impfzertifikat zu besorgen, macht er sich gem. § 279 StGB strafbar.
- Stellt die A diese Bescheinigung hingegen unter dem Namen des approbierten Arztes Z aus, dann hat sie sich gem. § 267 I Var. 1 StGB strafbar gemacht, der insoweit den § 277 I StGB verdrängt. Gleiches gilt, wenn sie den bereits von Z ausgestellten Impfpass verändert, indem sie eine Impfung hinzufügt, die nicht stattgefunden hat. Hier hat sich A erneut gem. § 267 I Var. 1 StGB strafbar gemacht, da die einzelne Eintragung eine Urkunde ist, so dass erneut das Herstellen einer unechten Urkunde nach der 1. Var. vorliegt. Der Impfpass dürfte keine Gesamturkunde darstellen, da er keine Abgeschlossenheits- oder Vollständigkeitserklärung beinhaltet.
F hat sich dann gem. § 267 I Var. 3 StGB strafbar gemacht, der den § 279 StGB verdrängt. - Trägt Arzt A eine nicht stattgefundene Impfung im Impfpass des F ein, dann kommt nur eine Strafbarkeit gem. § 278 StGB in Betracht. § 267 StGB scheidet aus, da keine Täuschung über den Aussteller vorliegt. Es liegt nur eine schriftliche Lüge vor, die aber von § 267 I StGB nicht erfasst ist. Eine Subsidiaritätsklausel findet sich dementsprechend in § 278 StGB nicht.
Hinweis
Die schriftliche Lüge wird jenseits von § 278 StGB noch von § 271 StGB (§ 348 StGB) erfasst, aber nur dann, wenn eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch in eine öffentliche Urkunde eingetragen wird.