Sehr medienwirksam wurde vor kurzem das Finanzministerium in Berlin durchsucht. In der Pressemitteilung der zuständigen StA Osnabrück wird der Zweck der Maßnahme wie folgt benannt:
„Ziel der heutigen Durchsuchungen ist es, den Straftatverdacht und insbesondere individuelle Verantwortlichkeiten weiter aufzuklären. Es soll unter anderem untersucht werden, ob und gegebenenfalls inwieweit die Leitung sowie Verantwortliche der Ministerien sowie vorgesetzte Dienststellen in Entscheidungen der FIU eingebunden waren.“
Diese Formulierung lässt vermuten, dass sich die Durchsuchung gem. § 102 StPO gegen Beschuldigte im Finanzministerium richtet, also gegen Personen, gegen die ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Tatsächlich jedoch war es eine Durchsuchung gem. § 103 StPO „bei anderen Personen“. Eine solche Durchsuchung bei nicht beschuldigten Dritten setzt gem. Abs. 1 S. 1 folgendes voraus:
„Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des Beschuldigten oder zur Verfolgung von Spuren einer Straftat oder zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet.“
Um diesen entscheidenden Unterschied deutlich zu machen, veröffentlichte nun der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Wolfgang Schmidt, auf Twitter Teile des vom Richter erlassenen Durchsuchungsbeschlusses und wurde prompt selbst zum Beschuldigten. Vorgeworfen wird ihm die Begehung einer Straftat gem. § 353d Nr. 3 StGB, der folgendes unter Strafe stellt:
„Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer …
- die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumente eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens, ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.“
Der Durchsuchungsbeschluss ist zunächst ein amtliches Dokument eines Strafverfahrens. Er wird gem. § 105 StPO von einem Richter zum Zwecke der Beweissicherung oder zum Auffinden des Beschuldigten im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erlassen. Die teilweise Veröffentlichung auf Twitter stellt eine öffentliche Mitteilung dar, die erfolgt ist, bevor das Strafverfahren gegen Mitarbeiter der FIU abgeschlossen ist. Diesbezüglich hat der Beschuldigte sicherlich auch vorsätzlich gehandelt.
Hinweis
Hätte der Staatssekretär nur beschreibend oder in indirekter Rede über den Inhalt des Beschlusses berichtet, dann lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vor. Von daher kann man sich durchaus über Sinn und Unsinn dieser Norm Gedanken machen.
Hinweis
Die StA Osnabrück hat Ermittlungen eingeleitet gegen bislang noch unbekannte Mitarbeiter der Financial Intelligence Unit (FIU) = Anti-Geldwäsche-Behörde beim Zoll, die dem Bundesfinanzministerium zugeordnet ist. Die bislang unbekannten Beschuldigten sollen im Verdacht stehen, Strafvereitelung im Amt durch Unterlassen gem. §§ 258a, 13 StGB begangen zu haben, indem sie Verdachtsmeldungen zur Terrorfinanzierung nicht rechtzeitig weitergeleitet haben sollen, so dass Ermittler nicht eingreifen konnten.
Nun stellt sich aber die Frage, ob Veröffentlichungen zugunsten eines von der strafrechtlichen Maßnahme Betroffenen nicht aufgrund einer Einwilligung erlaubt = gerechtfertigt sein könnten.
Dies richtet sich zunächst nach dem durch die Norm geschützten Rechtsgut. Disponibel sind nur Individualrechtsgüter. Zum geschützten Rechtsgut führt das LG Amberg (Beschl.v. 04.08.20115 – 11 Qs 5/15) folgendes aus:
„§ 353 d Nr. 3 StGB verfolgt eine doppelte Schutzrichtung, wobei deren Elemente in einem Alternativverhältnis zueinander stehen. So soll die Strafvorschrift in erster Linie verhindern, dass Beteiligte an Verfahren, insbesondere Laienrichter und Zeugen, durch die vorzeitige Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke in ihrer Unbefangenheit beeinträchtigt werden. Der durch eine vorweggenommene öffentliche Diskussion amtlichen Prozessmaterials - oft verbunden mit einseitigen Stellungnahmen oder gar unmittelbar auf Einflussnahme angelegten Wertungen - drohenden Voreingenommenheit und den darin liegenden Gefahren für die Wahrheitsfindung und für ein gerechtes Urteil soll entgegengetreten werden. Daneben treten als Schutzgut des § 353 d Nr. 3 StGB die Persönlichkeitsrechte der vom Verfahren Betroffenen und - hinsichtlich des Angeklagten - die Aufrechterhaltung der bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu seinen Gunsten bestehenden Unschuldsvermutung. Aufgrund dieser doppelten Schutzrichtung des § 353 d Nr. 3 StGB entfällt die Zwecktauglichkeit der Vorschrift auch nicht allein dadurch, dass ein Angeklagter solche amtlichen Mitteilungen im Wortlaut selbst veröffentlicht.“
Aus diesem Grund kommt eine rechtfertigende Einwilligung nicht in Betracht. Dazu das BVerfG (Beschl.v. 27.06.2014 – 2 BvR 429/12):
„Aufgrund dieser doppelten Schutzrichtung des § 353d Nr. 3 StGB entfällt die Zwecktauglichkeit der Vorschrift nicht allein dadurch, dass sich ein durch das Verfahren Betroffener durch die verfrühte Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke derjenigen Rechte begibt, soweit sie seinem Schutz dienen und damit zu seiner Disposition stehen können. Bedeutung und Tragweite des materiellen Schuldprinzips und der Neutralität des Gerichts für das rechtsstaatliche Strafverfahren rechtfertigen bereits isoliert betrachtet die Strafbarkeit seines Handelns“
Fraglich ist, ob eine Rechtfertigung gem. § 34 StGB in Betracht kommen könnte. Dies würde aber voraussetzen, dass gerade die wörtliche Mitteilung das erforderliche Mittel ist. Dies dürfte nur ausnahmsweise anzunehmen sein, so zB wenn der Wortlaut eines Vernehmungsprotokolls die Anwendung verbotener Verhörmethoden beweist oder wenn einen falschen Eindruck erweckenden Presseberichten nur durch eine Wortlautmitteilung der Anklageschrift entgegengetreten werden kann (Schönke/Schröder-Perron/Hecker, § 353d Rn 58)
Letztlich könnte der Beschuldigte einem Verbotsirrtum gem. § 17 StGB unterlegen sein. Allerdings dürfte dieser durch das Einholen eines anwaltliches Rats vermeidbar gewesen sein.