In § 132 II 1 GVG heißt es wie folgt: „Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält.“
Sofern also ein Senat von der Rechtsprechung der anderen abweichen möchte, muss er mit einem Anfragebeschluss zunächst die anderen Senate fragen, ob diese an der bisherigen Rechtsprechung festhalten möchten. Folgen diese der vorgeschlagenen Änderung, ist eine Anrufung des großen Senats nicht mehr erforderlich (so z.B. geschehen bei der Rechtsprechungsänderung zum „Absetzen“ bei der Hehlerei gem. § 259 StGB). Folgt nur ein Senat nicht, muss der große Senat angerufen werden, sofern der anfragende Senat seine Anfrage nicht zurücknimmt. Was passiert nun aber, wenn der anfragende Senat nach seiner Anfrage aber vor einer Entscheidung des großen Senats in einer anderen Sache eine Entscheidung zu dem speziellen Thema erlässt, die die bisherige Rechtsprechung bestätigt.
Diesem Problem muss sich momentan der BGH aufgrund einer Anfrage des 2. Senats zur Frage, was zum geschützten Vermögen bei den §§ 253, 263 StGB gehört, stellen. Der 2. Senat möchte vom ökonomischen Vermögensbegriff abweichen und jedenfalls den illegalen Rauschmittelbesitz vom strafrechtlich geschützten Vermögen ausnehmen (vgl. dazu unseren Post „Was gehört eigentlich zum strafrechtlich geschützten Vermögen bei den §§ 253, 263 StGB?“). Diese Anfrage stellte er mit Beschluss vom 01.06.2016. Brisant ist, dass eben dieser 2. Senat – wenn auch in anderer Besetzung – zu diesem Thema am 22.09.2016 (2 StR 335/15) eine Entscheidung erließ, die die bisherige Rechtsprechung bestätigt und damit im Gegensatz zum Anfragebeschluss steht.
Nach Auffassung des 1. Senats beim BGH ist die Anfrage nun hinfällig und damit zugleich unzulässig geworden. „Soweit der anfragende Senat darüber hinaus selbst eigene entgegenstehende Rechtsprechung mit dem Anfragebeschluss aufgegeben hat, trifft ihn die Bindungswirkung des Anfrageverfahrens ebenso wie angefragte Senate, d.h. mit der Aufgabe bisheriger Rechtsprechung ist er grundsätzlich ebenso gehindert, weiter nach der aufgegebenen Rechtsprechung zu entscheiden; im Gegensatz zu einem angefragten Senat entfällt die Bindungswirkung für ihn jedoch mit einer gegenteiligen Entscheidung, weil damit zugleich seine Anfrage hinfällig geworden ist (Graf in BeckOK/StPO, Ed. 27, § 132 GVG Rn. 19). Bleibt sie weiter aufrecht erhalten, ist sie unzulässig geworden.“
Wäre diese Auffassung zutreffend, wären damit die Voraussetzungen für die Anrufung des großen Senats nicht gegeben.
Wir werden Euch bei BGH & Co weiter auf dem Laufenden halten.