Es geht um Vorfälle aus der Zeit, als der derzeitige Bundeskanzler noch Hamburger Erster Bürgermeister war. Das zuständige Hamburger Finanzamt hatte Ende 2016 auf die Rückforderung rechtswidrig erhaltener Steuererstattungen in Höhe von 47 Millionen Euro gegenüber der Skandalbank M. M. Warburg verzichten wollen. Grundlage waren Einnahmen dieser Bank aus strafbaren Cum-Ex-Manipulationen, einige der Warburg-Manager sind inzwischen rechtskräftig strafrechtlich verurteilt.
Der Bankier Christian Olearius traf sich zu der Zeit mehrfach mit dem damaligen Bürgermeister Scholz und warnte vor einer Existenzbedrohung für die Hamburger Privatbank. Nach diesen Treffen änderte die zuständige Finanzbehörde ihre Haltung und vertrat nunmehr die Auffassung, die Forderung sei verjährt. Scholz bestreitet jedweden Zusammenhang und hatte zunächst - zu der Zeit schon Bundesfinanzminister - angegeben, sich an keine Gespräche mit dem Bankier erinnern zu können. Der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erwirkte dann eine Rückforderung, das Geld ist mittlerweile zurückbezahlt.
Der Komplex wird bereits in einem Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft eruiert. CDU/CSU wollten darüber hinaus einen Untersuchungsausschuss im Bundestag einberufen. Gemäß Artikel 44 Abs. 1 Alt. 2 GG besteht ein Anspruch darauf, wenn ein Viertel der Abgeordneten einen solchen Einsetzungsantrag stellt [siehe vertiefend hierzu „Recht interessant“ vom 16.07.2020 - „Gegenstand von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen“]. Doch am 5. Juli lehnte der Bundestag mit der Ampel-Mehrheit den entsprechenden Unions-Antrag ab. Begründung: Der Bundestag sei unzuständig, Vorgänge in den Bundesländern zu untersuchen.
Dass der Bundestag nicht einfach das Verhalten von Landesbehörden untersuchen und bewerten darf bestreiten CDU/CSU nicht. Jedoch seien „Überlappungen“ der Untersuchungsgegenstände möglich, eine „trennscharfe Trennung“ hingegen nicht. Argumentativ lassen die Kläger vortragen, erstens führen die Länder die Steuerverwaltung gem. Art. 108 Abs. 3 GG im Auftrag des Bundes aus, wenn die Steuern Bund und Ländern gemeinsam zustehen. Das ist bei der hier einschlägigen Kapitalertragsteuer der Fall, die eine Sonderform der Einkommensteuer ist. Auf dem Gebiet der Bundesauftragsverwaltung kann der Bundesfinanzminister Weisungen geben und Akten einsehen. Zur Frage, ob Bundesbehörden ihre Aufgaben korrekt wahrgenommen haben, ist aber der Bundestag ermächtigt. Bis dato gibt es aber keinerlei Anzeichen dafür, dass seitens der Bundesfinanzbehörden Versäumnisse o.ä. vorliegen.
Zweitens habe der Bundestag die haushaltspolitische Gesamtverantwortung: Würden in einem Bundesland rechtswidrige Steuererstattungen nicht zurückgefordert, so fehle das Geld auch dem Bund. Der Bundestag müsse rechtzeitig von möglichen Steuerausfällen erfahren und somit auch die Steuerverwaltung der Länder untersuchen dürfen.
Schließlich gehe es um die politische Glaubwürdigkeit des Bundeskanzlers. Vom Bundestag gewählt und durch diesen getragen benötige dieser das Vertrauen des Bundestags für seine Regierung. „Ein Bundeskanzler, der in die rechtswidrige Niederschlagung von Steuerforderungen verwickelt ist, wäre politisch nicht mehr tragfähig“, heißt es in der Klage. Die Vorfälle liegen teils in der Amtszeit von Scholz als Erster Bürgermeister in Hamburg, jedoch geht es auch um seine teilweise lückenhaften und widersprüchlichen Auskünfte bei der Aufarbeitung der Warburg-Affäre – und da war Scholz bereits Bundesfinanzminister bzw. Bundeskanzler, also Bundespolitiker.
Auch Präzedenzfälle gibt es: zur rechtsextremistischen Terrorgruppe NSU gab es zwei Untersuchungsausschüsse im Bundestag, dazu acht Untersuchungsausschüsse in einzelnen Landtagen. Die Abgeordneten sehen durch die völlige Ablehnung des Einsetzungsantrags ihren grundgesetzlichen Anspruch auf einen Untersuchungsausschuss verletzt. Mit der Organklage muss sich nun das Bundesverfassungsgericht befassen; Eilantrag hat die CDU/CSU-Fraktion nicht eingelegt.