Der Muezzin ist ein Ausrufer, kein Geistlicher, der die muslimische Gemeinde fünfmal täglich zu bestimmten Uhrzeiten zum Beten in die Moschee zum Gebet ruft. Der islamische Gebetsruf „Adhan“ erfolgt in arabischer Sprache. Die Textverse mit Wiederholungen heißen übersetzt „Gott (Allah) ist groß“, „Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Gott“, „Ich bezeuge, dass Mohammed der Gesandte Gottes ist“, „Kommt zum Gebet“, „Kommt zum Heil“, „Gott ist groß“, „Es gibt keine Gottheit außer Gott“.
Ermöglicht hatte den Ruf zum Gebet die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Die parteilose Politikerin ist der Ansicht, dass der Ruf den Muslimen aufgrund der im Grundgesetz verbrieften Freiheit der Religionsausübung nicht verweigert werden kann. In rund 30 Moscheegemeinden ist das bereits üblich, in NRW beispielsweise in Krefeld und Oer-Erkenschwick am nördlichen Rand des Ruhrgebiets und Düren (da schon seit 1984), aber auch im hessischen Raunheim. In München, Frankfurt am Main und Hannover ertönte der Ruf während des ersten Corona-Lockdowns als Ersatz für Gottesdienste. Im Oktober 2021 startete Köln ein Modellprojekt für Moscheegemeinden, die per Lautsprecher zum Gebet rufen wollen. Die DITIB-Gemeinde ist nun die erste, die einen entsprechenden Vertrag mit der Domstadt geschlossen hat.
Der Ruf in Köln ist lediglich freitags zwischen zwölf und 15 Uhr erlaubt und darf höchstens fünf Minuten dauern. In Düren darf der Muezzin drei Mal täglich rufen, in Raunheim nur freitags vier Minuten lang. Während des Fastenmonats Ramadan ruft er in Raunheim ebenfalls täglich. Es gelten jeweils Begrenzungen für die Lautstärke. In Köln hat die auf Vorgabe der Stadt Moscheegemeinde ein Schall-Gutachten erstellen lassen. Der Muezzinruf darf die Lautstärke von 60 Dezibel nicht überschreiten, was etwa der Lautstärke eines normalen Gesprächs entspricht. Das Projekt ist vorerst auf zwei Jahre befristet.
In Oer-Erkenschwick ist der Ruf zum Gebet freitags zwischen zwölf und 14 Uhr für maximal 15 Minuten erlaubt. Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht wies eine Klage dagegen 2020 ab (OVG NRW, Az. 8 A 1161/18). Die Kläger sahen sich in ihrem Recht auf negative Religionsausübungsfreiheit verletzt. Es gebe „kein Recht darauf, von anderen Glaubensbekundungen verschont zu bleiben“, hieß es in der Begründung.
Einige Menschen demonstrierten gegenüber der Moschee mit Sprechchören und Transparenten gegen den Muezzin-Ruf und die Unterdrückung von Frauen im Iran. Eines ihrer Transparente trug die Aufschrift: „Kein Muezzin-Ruf in Köln! Der öffentliche Raum sollte weltanschaulich neutral sein“. Umstritten ist vor allem die Trägerorganisation der Kölner Zentralmoschee: Die DITIB untersteht der türkischen Religionsbehörde und war 2018 vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan persönlich eröffnet worden.
Abdurrahman Atasoy, stellvertretender Vorsitzender im DITIB-Bundesverband, äußerte sich „sehr glücklich“ über den mit der Stadt Köln geschlossenen Vertrag. „Der öffentliche Gebetsruf ist ein Zeichen für die Beheimatung der Muslime.“ Aus „unsichtbaren und usseligen Hinterhofmoscheen“ hätten man es jetzt in die Mitte der Gesellschaft geschafft, so die DITIB. „Das Freitagsgebet ist im Islam das wichtigste Gebet der Woche und in seiner religiösen Bedeutung vergleichbar mit dem christlichen Sonntagsgottesdienst oder dem jüdischen Schabbat“. Durch den Gebetsruf würden Muslime an das gemeinschaftliche Gebet erinnert. „Dass Muslime mit ihren repräsentativen Moscheen als sichtbarer und mit ihrem Gebetsruf als hörbarer Teil endlich gesellschaftlich angekommen und angenommen sind, ist die Kernbotschaft dieses langen Prozesses“ sagte Atasoy.