Immer wieder stellt sich die Frage, ob das Handeln der Polizei als Verwaltungsakt oder – mangels „Regelung“ – als Realakt zu verstehen ist.
Dazu heute einige Hinweise und Überlegungen, wie ihr zu einer dogmatisch gut vertretbaren und klausurtaktisch geschickten Lösung kommt (wobei wir hier auf landestypische Besonderheiten, insbesondere die weitere Abgrenzung zur „unmittelbaren Ausführung“ nicht eingehen können).
Zunächst sind pauschale Aussagen (Standardmaßnahme ist immer/nie VA) abzulehnen.
Einige Standardmaßnamen (z.B. Vorladung, Platzverweis, Aufenthaltsverbot) sind klassische Ge- und Verbote, so dass es abwegig wäre, hier einen Regelungscharakter zu verneinen: es handelt sich unproblematisch um Verwaltungsakte i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG.
Schwieriger zu qualifizieren sind Maßnahmen wie Durchsuchungen von Personen, Sachen und Wohnungen oder die Ingewahrsamnahme. Hier liegt es auf den ersten Blick nahe, von einem Realakt auszugehen. Vertretbar ist dies und insbesondere ist die Konstruktion einer konkludenten Duldungsverfügung – wie früher vom BVerwG angenommen – zur Gewährung von Rechtsschutz nicht mehr: auch gegen Realakte gibt es effektiven Rechtsschutz.
Dennoch raten wir aus zwei – überwiegend klausurtaktischen – Gründen davon ab, und empfehlen euch, soweit wie möglich, von einem Verwaltungsakt auszugehen.
Zum einen ist die Prüfung von Verwaltungsakten absolutes Standardwissen und die unmittelbar einschlägigen Normen sind (oder sollten ;-) ausreichend bekannt sein.
Die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Realaktes ist dagegen für viele ungewohnt: Während man manche Vorschriften – z.B. das Anhörungsrecht nach § 28 VwVfG – sinnvollerweise analog anwendet, ist die Anwendung anderer Vorschriften auf Realakte abzulehnen (so kann etwa ein Realakt nicht „nichtig“ i.S.d. § 44 VwVfG sein, auch eine Aufhebung nach §§ 48, 49 VwVfG kommt nicht in Betracht).
Zum anderen hat die „VA-Lösung“ erhebliche Vorteile, wenn es um Vollstreckungsmaßnahmen geht. Denn nach ganz h.M. ermächtigen die entsprechenden Standardbefugnisse (z.B. Durchsuchung, Gewahrsamnahme) nicht zu Zwangsmaßnahmen. Das ist auch überzeugend, denn ansonsten könnte man die in den Vorschriften zum Vollstreckungsrecht vorgesehenen besonderen Voraussetzungen, den rechtsstaatlichen Sicherungen vor staatlicher Gewalt, leicht umgehen. Spätestens, wenn die Polizei also gegen den Willen des Betroffenen handelt, stellt sich die Frage nach dem Vollstreckungsrecht (und es dürfte mit erheblichen Punktabzügen sanktioniert werden, wenn eine auf vollstreckungsrechtliche Probleme angelegte Klausur daran völlig vorbeigeht).
Im Vollstreckungsrecht gilt aber – über alle landestypischen Besonderheiten – der Vorrang der Vollstreckung einer „HDU-Verfügung“ gegenüber dem – nur subsidiär zulässigen – sofortigen Vollzug ohne vorherigen Erlass eines VA. Das ist übrigens kein bloßer Formalismus, sondern Verhältnismäßigkeit und Rechtsstaatlichkeit konkret: Bevor die Polizei eine Tür aufbricht, einen Bürger mit physischer Gewalt durchsucht oder in ein Polizeiauto befördert, muss sie dem Adressaten die Möglichkeit geben, die Türe selbst zu öffnen, freiwillig mitzufahren oder dies zumindest ohne Widerstand zu dulden.
Aus all diesen Gründen empfehlen wir, eine polizeiliche Standardmaßnahme – soweit im konkreten Fall nicht völlig abwegig – als Verwaltungsakt zu qualifizieren.
Dies hat natürlich auch verwaltungsprozessrechtliche Auswirkungen: Gegen einen erledigten Verwaltungsakt ist die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 VwGO analog statthaft; gegen erledigte Realakte dagegen die allgemeine Feststellungsklage gem. § 43 VwGO.
Gibt es also nach unserer „VA-freundlichen“ Lösung überhaupt noch polizeiliche Maßnahmen, die als Realakt zu qualifizieren sind? Ja, natürlich. Die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes setzt nach §§ 41, 43 VwVfG die Bekanntgabe voraus. Bei Maßnahmen gegenüber abwesenden Adressaten (z.B. Wohnungsdurchsuchung) liegt also ein Realakt vor. Dasselbe gilt für die Anwendung (!) von Vollstreckungsmaßnahmen insbesondere im unmittelbaren Zwang. Der berühmte Hieb mit dem Schlagstock ist also ein Realakt. Selbst hier noch den Schwerpunkt in einer konkludenten Duldungsverfügung zu sehen, scheint dann doch zu konstruiert.