Die Gewalt ist in § 240 StGB sowie in §§ 253, 255 StGB (und daneben u.a. auch in den §§ 249, 252, 113 I) neben der Drohung ein Nötigungsmittel, durch welches der Täter zumeist einen Nötigungserfolg, in den §§ 240 und 253, 255 StGB eine Handlung, Duldung oder Unterlassung bewirkt.
Bei § 240 StGB war lange umstritten, was unter Gewalt zu verstehen ist. Während das Reichsgericht noch eine physische Einwirkung verlangte (der obige Schlag auf die Nase), ließ der BGH (NJW 1969, 1770) den sog. „vergeistigten Gewaltbegriff“ ausreichen, wonach eine psychische Einwirkung auf das Opfer durch bloße Anwesenheit des Täters (Sitzdemonstration) schon Gewalt darstellte. Dem stellte sich das BVerfG (NJW 1995, 1141 und NJW 2002, 1031) unter Hinweis auf das sich aus Art. 103 II GG ergebende Bestimmtheitsgebot entgegen.
Gewalt liegt demnach nur dann vor, wenn der Täter durch körperliche Kraftentfaltung (die allerdings nicht groß sein muss = Abschließen einer Türe) Zwang auf das Opfer ausübt und dieser Zwang vom Opfer körperlich empfunden wird.
Dieses körperliche Empfinden wurde bei Autofahrern bejaht, die aufgrund einer Demonstration auf der Autobahn nicht weiterfahren können, weil die vor ihnen stehenden Autofahrer angehalten haben und nun mit ihren Autos ein körperliches Hindernis darstellen (sog. „2. Reihe Rechtsprechung“ des BGH, bestätigt vom BVerfG JuS 2011563).
Auch das lautstarke Skandieren rechter Parolen während einer Ratsversammlung und das zugleich stattfindende Treten gegen Fenster und Türen, welches dazu führt, dass ein Kommunikation nicht mehr möglich ist, wurde vom BGH als körperlich empfundener Zwang angesehen (BGH JuS 2021. 1082).
Gewalt tritt in 2 Erscheinungsformen auf: als vis absoluta und vis compulsiva. Vis absoluta führt dazu, dass das Opfer entweder seinen Willen nicht mehr bilden kann (es wurde vom Täter bewusstlos geschlagen) oder aber seinen Willen noch bilden, aber nicht mehr ausüben kann (es wurde vom Täter gefesselt). Vis compulsiva hingegen bedeutet, dass der Wille der Opfers nicht gebrochen, sondern „nur“ gebeugt wurde (der Täter ohrfeigt der Opfer im Minutentakt). § 240 StGB erfasst beide Formen der Gewalt.
Bei den §§ 253, 255 StGB kommt es darauf an, ob man mit der h.Lit. im abgenötigten Opferverhalten eine Vermögensverfügung sehen möchte, um die räuberische Erpressung vom Raub gem. § 249 StGB abzugrenzen. Eine Vermögensverfügung setzt freiwilliges Handeln und damit eine Entscheidungsmöglichkeit voraus, weswegen nach dieser Auffassung vis abosluta ausscheidet. Nach dem BGH reicht das Dulden der Handlung eines anderes (=Wegnahme) aus, so dass auch vis absoluta in Betracht kommt und damit ein Gleichklang zwischen den §§ 253, 255 StGB und § 240 StGB erreicht wird.
Hinweis
Nähere Ausführungen zu diesem Thema finden Sie in den Einzelkursen Strafrecht BT I (Nötigung) und Strafrecht BT II (Raub-Räuberische Erpressung) sowie im Komplettpaket Strafrecht.