Die Bedeutung der Vorschrift als verfassungsrechtliche Grundlage des freien Mandats reicht aber weit darüber hinaus. Aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG leiten sich eine ganze Reihe von Rechten der Abgeordneten ab, die in der Verfassung nirgendwo ausdrücklich garantiert sind. Dazu zählen das Rederecht, das Antrags- und Informationsrecht, das Recht auf Gleichbehandlung mit anderen Abgeordneten. Sogar das Recht der Abgeordneten sich zu Fraktionen zusammenzuschließen wird auf Art. 38 I 2 GG zurückgeführt.
Verfassungsprozessual handelt es sich bei Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG nicht um ein grundrechtsgleiches Recht, dass die Beschwerdebefugnis einer Verfassungsbeschwerde begründen kann. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG ist insofern missverständlich formuliert, dort ist nur das grundrechtsgleiche Recht aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG (Wahlrecht) erfasst.
Jedoch können Abgeordnete eine Verletzung des freien Mandats – und damit auch aller aufgezählten Einzelaspekte, die durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG geschützt sind – im Rahmen eines Organstreitverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht geltend machen.