Nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln (13 K 326/21 vom 08.03.2022) ist der Weg für eine bundesweite Beobachtung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) frei. Wie das VG mitteilte, lehnte es einen Eilantrag der AfD gegen die Einstufung als Verdachtsfall ab. In der mündlichen Urteilsbegründung führte der Vorsitzende Richter der zuständigen 13. Kammer aus, es lägen „ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der AfD vor“. Dies habe das BfV in Gutachten und den dazugehörigen Materialsammlungen unter Kontextualisierung der als relevant erachteten Aussagen belegt. In den vergangenen beiden Jahren hatte der Inlandsnachrichtendienst Tausende Seiten an Belegen zusammengetragen, etwa Aussagen von Parteimitgliedern analysiert. Es sind vor allem abwertende Äußerungen Einzelner in der Partei zum Islam, halb versteckter Antisemitismus, Verächtlichmachung der Demokratie und seiner Institutionen. Dem habe die AfD „lediglich pauschales Bestreiten entgegengesetzt“. Die Einschätzung des BfV beruhe auf einer „nicht zu beanstandenden Gesamtbetrachtung“.
Prominenten Vertreten der AfD droht nun, dass ihre Telefongespräche abgehört und E-Mails mitgelesen werden. Dafür braucht es keinen richterlichen Beschluss, es entscheidet die „G-10-Kommission“ des Bundestags – ein Gremium von fünf Personen, inklusive der gleichen Anzahl an Stellvertretern, von denen mindestes drei die Befähigung zum Richteramt haben müssen. Es tagt mindestens einmal im Monat, die ehrenamtlichen Mitglieder müssen nicht dem Bundestag angehören (vgl. § 15 Artikel-10-Gesetz). Die Voraussetzungen für E-Mail- oder Telefonüberwachung sind aber hoch, es müssen Anhaltspunkte für schwerwiegende Straftaten wie Hochverrat, geheimdienstliche Agententätigkeit oder Bildung einer terroristischen Vereinigung vorliegen (§§ 3 und 5 Artikel-10-Gesetz). Zudem muss eine alternative Informationsbeschaffung aussichtslos oder wesentlich erschwert sein.
Auch ist nun die Anwerbung von V-Leuten möglich. Der Verfassungsschutz darf solche Informanten aus der Partei gewinnen, allerdings gibt es auch hier speziell für die Parlamente Grenzen. Nach § 9b Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) dürfen Abgeordnete sowie deren Mitarbeiter nicht angeworben werden. Außerdem darf niemand angeworben werden, der steuernden Einfluss auf die Partei ausübt - das könnte bei einem möglichen Parteiverbotsverfahren zu erheblichen Problemen führen, wie das erste NPD-Verbotsverfahren vor dem BVerfG gezeigt hat.
In die Bewertung des VG seien laut Begründung auf der einen Seite Aktivitäten im Zusammenhang mit dem so genannten „Flügel“ einbezogen worden. Dieser sei zwar formal aufgelöst worden, seine Protagonisten übten aber teils weiter maßgeblichen Einfluss innerhalb der Partei aus. Darüber hinaus seien Aktivitäten in der Jugendorganisation Junge Alternative (JA) in die Bewertung eingeflossen. Sowohl im „Flügel“ als auch in der JA sei ein „ethnisch verstandener Volksbegriff ein zentrales Politikziel. Danach müsse das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand erhalten und sollten „Fremde“ möglichst ausgeschlossen werden.“ Es gebe Verlautbarungen, in denen „Umvolkungs-“ und „Volkstod-“Vorwürfe erhoben würden. Ferner sei eine ausländerfeindliche Agitation zu erkennen („Messer-Migranten“). Dies weiche vom Volksbegriff des Grundgesetzes ab. Schließlich rechtfertige auch eine Betrachtung der Partei im Übrigen ihre Einstufung als Verdachtsfall. Diese befinde sich in einem Richtungsstreit, bei dem sich die verfassungsfeindlichen Bestrebungen durchsetzen könnten. Nicht erforderlich sei für eine Einstufung als Verdachtsfall, dass eine Partei von einer verfassungsfeindlichen Grundtendenz beherrscht werde.Das Bundesamt dürfe die Einstufung als Verdachtsfall auch öffentlich mitteilen, um eine politische Auseinandersetzung zu ermöglichen.
Ein sogenannter Hängebeschluss, mit dem das Gericht dem Verfassungsschutz zu einem früheren Zeitpunkt die Einstufung der AfD als Verdachtsfall vorerst untersagt hatte, hat sich somit erledigt. „Es gibt keine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln mehr und auch kein Verfahren aufgrund dessen eine Beobachtung verboten wäre“, erklärte ein Gerichtssprecher der dpa. Gegen den Beschluss ist jetzt Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht in Münster möglich.
Die AfD hatte Anfang 2021 zwei Klagen erhoben und zugleich Eilanträge gegen die Einstufung als Verdachtsfall und die öffentliche Mitteilung des BfV, der „Flügel“ habe ca. 7.000 Mitglieder, gestellt. Mit Beschluss vom 05.03.2021, Az. 13 L 105/21, hatte das VG untersagt, bis zu einer Entscheidung über den Eilantrag die AfD als Verdachtsfall einzustufen oder zu behandeln sowie eine Einstufung oder Behandlung als Verdachtsfall erneut bekanntzugeben. Im Sommer 2021 teilte das VG mit, erst nach der Bundestagswahl 2021 über die Anträge zu entscheiden, um eine Beeinflussung der Wahl zu vermeiden.
Doch auch für den Bereich des Beamtenrechts ergeben sich möglicherweise Konsequenzen: In ein Beamtenverhältnis darf gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 2 BeamtStG nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Das Ableisten des Diensteides, § 38 Abs. 1 BeamtStG, bekräftigt die Haltung der Beamtin/des Beamten. Es ist ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums i.S.v. Art. 33 Abs, 5 GG, dass Beamtinnen und Beamte eine besondere politische Treuepflicht gegenüber dem Staat und seiner Verfassung obliegt, die das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und das Eintreten für deren Erhaltung einschließt.
Damit wird von Beamtinnen und Beamten insbesondere gefordert, sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen zu distanzieren, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Diese Klassifizierung ist bei als verfassungsfeindlich verbotenen Parteien naturgemäß gegeben, auch ein Engagement für die NPD kann insoweit als fehlende Ernennungsvoraussetzung angesehen werden. Wenn die AfD nun als Verdachtsfall gilt ließen sich auch für diese ähnliche Schlüsse ziehen, zumindest wenn die Unterstützung über eine bloße Mitgliedschaft hinausgeht.
Auch nach erfolgter Einstellung kann dies geahndet werden, z.B. bei einer Bewertung als Verstoß gegen die Grundpflicht aus § 33 Abs. 1 S. 3 BeamtStG. Verstöße können disziplinarrechtlich geahndet werden, im Einzelfall kann dies zur Entlassung aus dem Beamtenverhältnis führen, vgl. dazu Urteil des BVerwG vom 02. Dezember 2021 - 2 A 7.21.
Einen spannenden konkreten Beispielsfall gibt es schon: Jens Maier, ehemaliger AfD-Abgeordneter im Bundestag, soll am 14. März 2022 seinen Dienst als Richter an einem sächsischen Amtsgericht wieder antreten. Das zuständige Justizministerium wollte dies verhindern, aber das Dienstgericht für Richter beim Landgericht Leipzig hatte über einen entsprechenden Antrag, Maier vorläufig die Ausübung der Dienstgeschäfte zu untersagen, nicht rechtzeitig entschieden. „Wir haben bereits am 11. Februar beim Dienstgericht den Antrag auf vorläufige Untersagung der Amtsgeschäfte gestellt und waren davon ausgegangen, dass er vor dem 14. März beschieden wird“, sagte eine Sprecherin des Justizministeriums. Das Dienstgericht teilte aber mit, eine Entscheidung vor dem 14. März sei „aus prozessualen Gründen“ nicht möglich. Derzeit werde noch vorbereitende Akteneinsicht gewährt, wann die Kammer entscheiden werde, sei noch nicht absehbar.
Maier wird zum parteiinternen, formal aufgelösten „Flügel“ der AfD gezählt, der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistische Bestrebung eingestuft wurde. Für zahlreiche als extremistisch aufgefasste Äußerungen wurde er kritisiert, sein Ansinnen in die Justiz zurückkehren zu wollen hatte für scharfe Kritik gesorgt. Das Justizministerium hat zugleich einen weiteren Antrag gestellt, um Maier dauerhaft in den Ruhestand zu versetzen. Der entsprechende § 31 DRiG ist in der deutschen Rechtsprechung bislang erst zweimal angewendet worden. Eine schwere Beeinträchtigung der Rechtspflege bedeute laut Justizministerium, dass bei einer Richterin oder einem Richter aufgrund ihres oder seines Verhaltens die Verfassungstreue, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Integrität in Frage stünden und so die Gefahr einer „Justizkrise“ bestehe. Auch ein Disziplinarverfahren droht Maier, zudem war über eine Richteranklage nachgedacht worden.