Polizei- und Ordnungsrecht NRW - D. Übungsfall Nr. 4

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Polizei- und Ordnungsrecht NRW

D. Übungsfall Nr. 4

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Autoschaden durch städtischen Poller

Nach OLG Köln NZV 2004, 95.

A ist Taxifahrer in der kreisfreien Stadt B. In der Innenstadt von B gibt es im Bereich der H.-Straße eine Fußgängerzone. Die Fußgängerzone wird durch einen versenkbaren, automatisch gesteuerten hydraulischen Poller abgesperrt, der von der Straßenverkehrsbehörde der Stadt B installiert wurde. Der Poller soll verhindern, dass unbefugte Personen in die Fußgängerzone fahren. Personen, die – wie A als Taxifahrer – eine ausdrückliche Gestattung besitzen, dient der versenkbare Poller als Ausfahrtmöglichkeit aus der Fußgängerzone, wenn sie an anderer Stelle in die Zone hineingefahren sind.

Eines Morgens möchte A die Ausfahrtmöglichkeit über den versenkbaren Poller nutzen. Unvorhersehbar fährt der Poller aufgrund eines technischen Defekts nach seinem Absenken sofort wieder hoch, gerade als der sich ordnungsgemäß verhaltende A vorsichtig über den Poller fährt. Der hochfahrende Poller beschädigt das Taxi des A nicht unerheblich. A fordert daraufhin die Stadt B auf, ihm Ersatz für die Beschädigung seines Taxis leisten. Die Stadt B bestreitet, den Schaden schuldhaft verursacht zu haben und lehnt Ersatzleistungen ab.

A sucht einen Rechtsanwalt auf und bittet ihn zu prüfen, ob es eine Möglichkeit gibt, den Schaden von der Stadt B ersetzt zu bekommen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Stadt B den Schaden verschuldet hat, denn er will sich nicht über Jahre mit der Stadt B darüber streiten, ob sie den Schaden verursacht hat oder nicht.

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Lösung

I. Vorüberlegungen

A will gegenüber der Stadt B einen Ersatzanspruch für die Beschädigung seines Taxis durch den unvorhergesehen hochfahrenden Poller geltend machen. Nach dem ausdrücklichen Wunsch des A soll der Anspruch auf eine rechtliche Grundlage gestützt werden, die eine verschuldensunabhängige Haftung der Stadt B ermöglicht. Unter Zugrundelegung dieser Prämisse scheidet ein Schadenersatzanspruch aus Amtshaftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG von vornherein aus. Als Anspruchsgrundlagen für verschuldensunabhängige Ersatzansprüche kommen § 39 Abs. 1 lit. b und a OBG in Betracht. Beide Anspruchsgrundlagen unterscheiden sich zwar in den Voraussetzungen, nicht aber in der Rechtsfolge. Ihrer Rechtsnatur nach handelt es sich bei den Ansprüchen nach § 39 Abs. 1 OBG um besondere Ausprägungen des allgemeinen Aufopferungsgedankens.

II. Anspruch des A nach § 39 Abs. 1 lit. b OBG

A hat gegen die Stadt B einen Anspruch auf Entschädigung nach § 39 Abs. 1 lit. b OBG, wenn die Voraussetzungen dieses Anspruchs vorliegen.

1. Anspruchsvoraussetzungen

a) Maßnahme der Ordnungsbehörde

Gemäß § 39 Abs. 1 lit. b OBG müsste zunächst eine Maßnahme der Ordnungsbehörden gegeben sein. Der Begriff der Maßnahme wird weit ausgelegt. Er umfasst vielfältiges positives Tun. Fraglich ist, ob im vorliegenden Fall eine solche Maßnahme vorliegt. An sich ist mit einer Maßnahme ein positives menschliches Tun durch Behörden gemeint, durch das jemand einen Schaden erleidet. Im vorliegenden Fall wurde das Taxi jedoch durch den unvorhergesehen hochfahrenden Poller verursacht. Bei dem Poller handelt es sich eigentlich nicht um ein positives Tun durch die Straßenverkehrsbehörde. Somit könnte angenommen werden, dass keine Maßnahme i.S.d. § 39 Abs. 1 lit. b OBG vorliegt. Etwas anderes könnte aber dann gelten, wenn man das Absenken und das Hochfahren des Pollers in Anbetracht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum sog. „feindlichen Grün“ (s.o. Rn. 463) als Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörde qualifizieren, der Straßenverkehrsbehörde also die Funktionen des Pollers zurechnen könnte. Dies wäre der Fall, wenn dem Poller ein Handeln der Straßenverkehrsbehörde zugrundeliegen würde, das auf die Regelung des Verkehrs gerichtet ist, so dass die durch eine solche Anlage vorgenommene Verkehrsregelung die gleiche Funktion wie die Regelung durch Polizei- oder Ordnungskräfte hätte. Dies wird in der Rechtsprechung angenommen.

Vgl. OLG Düsseldorf VersR 1997, 1234.

Die Rechtsprechung steht auf dem Standpunkt, dass die Straßenverkehrsbehörde mit der Einrichtung des Pollers – wie bei einer Lichtzeichenanlage – von ihrer Befugnis nach §§ 44, 45 StVO Gebrauch mache, den Verkehr zu regeln. Damit bezwecke sie eine Kostenersparnis und eine Vereinfachung bei der Verkehrsregelung, indem sie die eigentlich zur Durchsetzung der Verkehrsregelung erforderlichen menschlichen Maßnahmen und Weisungen durch eine automatische Anlage ersetze. Die durch eine solche Anlage vorgenommene Verkehrsregelung habe demnach die gleiche Funktion wie die Regelung durch Polizei- oder Ordnungskräfte. Der Anlage liege ein Handeln der Straßenverkehrsbehörde zugrunde, das auf die Regelung des Verkehrs gerichtet sei. Daher seien der Straßenverkehrsbehörde die einzelnen Funktionen der Anlage zuzurechnen. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die durch den automatisch gesteuerten, hydraulischen Poller gegebenen Gebots- und Verbotszeichen in Form des Hochfahrens und des Absenkens ihre Existenz dem Handeln der Straßenverkehrsbehörde verdanken und ihr demnach zuzurechnen sind. Das Hochfahren und das Absenken des Pollers stellen folglich Maßnahmen i.S.d. § 39 Abs. 1 lit. b OBG dar.

Die Straßenverkehrsbehörde ist eine Sonderordnungsbehörde i.S.d. § 12 OBG und somit ohne Weiteres eine Ordnungsbehörde i.S.d. § 39 Abs. 1 lit. b OBG.

Eine Maßnahme der Ordnungsbehörde i.S.d. § 39 Abs. 1 lit. b OBG liegt folglich vor.

b) Rechtswidrigkeit der Maßnahme

Der Anspruch nach § 39 Abs. 1 lit. b OBG setzt des Weiteren die Rechtswidrigkeit der Maßnahme voraus. Nach überwiegender Ansicht ist dabei auf die Rechtswidrigkeit des Erfolges abzustellen (sog. Erfolgsunrecht). Auf dieser Grundlage ist unter keinem Gesichtspunkt anzunehmen, dass die Straßenverkehrsbehörde berechtigt sein kann, Fahrzeuge, die aus der Fußgängerzone herausfahren und dabei den versenkten Poller überqueren müssen, zu beschädigen. Die erforderliche Rechtswidrigkeit ist somit gegeben.

c) Schaden

Es müsste ein Schaden entstanden sein. Als Schaden kommen u.a. ein Sachschaden und die zur Schadensbeseitigung erforderlichen Aufwendungen in Betracht. Indem das Taxi des A durch den unvorhergesehen hochfahrenden Poller beschädigt wurde und repariert werden muss, ist ein Schaden durch die rechtswidrige Maßnahme der Straßenverkehrsbehörde eingetreten.

d) Anspruchsausschluss gemäß § 39 Abs. 2 OBG

Zu prüfen ist, ob der Anspruch nach § 39 Abs. 1 lit. b OBG nach § 39 Abs. 2 OBG ausgeschlossen ist. Ein Ausschluss kommt in Betracht, wenn A auf andere Weise Ersatz erlangt hat (lit. a) oder wenn durch die Maßnahme die Person oder das Vermögen des A geschützt worden ist (lit. b). Weder von dem Ausschlussgrund des lit. a noch von dem des lit. b kann im vorliegenden Fall die Rede sein. Der Anspruch nach § 39 Abs. 1 lit. b OBG ist demnach nicht ausgeschlossen.

e) Ergebnis zu 1.

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 39 Abs. 1 lit. b OBG liegen vor.

2. Rechtsfolgenseite

Die Stadt B hat A den erlittenen Schaden zu ersetzen. Ersetzt werden gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 OBG Vermögensschäden. Darunter fällt der Schaden, den A durch die Beschädigung seines Taxis erlitten hat. Die Stadt B hat A Geld zu gewähren (vgl. § 40 Abs. 2 OBG).

Der Anspruch des A könnte jedoch zumindest gemindert sein, wenn A den Schaden mitverursacht hat (vgl. § 40 Abs. 4 OBG). Eine Mitverursachung könnte A angelastet werden, wenn A die Beschädigung seines Taxis durch ein Fehlverhalten bei der Ausfahrt aus der Fußgängerzone und dem Überfahren des abgesenkten Pollers selbst (mit-)verursacht hätte. Für ein solches Mitverschulden ergeben sich aus dem Sachverhalt jedoch keine Anhaltspunkte; vielmehr hat sich A nach den Angaben im Sachverhalt ordnungsgemäß verhalten. Ein Mitverschulden des A scheidet demnach aus.

3. Ergebnis zu II.

A hat gegen die Stadt B einen Anspruch auf Ersatz des Schadens, den A durch die Beschädigung seines Taxis durch den unvorhergesehen hochfahrenden Poller erlitten hat.

III. Anspruch des A nach § 39 Abs. 1 lit. a OBG

Neben dem Anspruch nach § 39 Abs. 1 lit. b OBG könnte A auch einen Anspruch gemäß § 39 Abs. 1 lit. a OBG haben. Dieser Anspruch unterscheidet sich hinsichtlich seiner Voraussetzungen von dem zuerst genannten Anspruch allein dadurch, dass der Schaden nicht durch eine rechtswidrige Maßnahme, sondern durch eine Maßnahme infolge einer Inanspruchnahme nach § 19 OBG verursacht worden sein muss. Dass A von der Straßenverkehrsbehörde als Nichtverantwortlicher zur Abwehr einer Gefahr in Anspruch genommen wurde, ist jedoch nicht der Fall. Somit kommt ein Anspruch des A gegen die Stadt B gemäß § 39 Abs. 1 lit. a OBG nicht in Betracht.

IV. Ergebnis

A hat gegen die Stadt B einen Anspruch auf Ersatz des Schadens, den er durch die Beschädigung seines Taxis erlitten hat. Der Rechtsanwalt wird diesen verschuldensunabhängigen Ersatzanspruch bei der Stadt B, die als kreisfreie Stadt Kostenträgerin und damit Entschädigungspflichtige ist (vgl. §§ 42 Abs. 1 S. 1, 45 Abs. 1 S. 2 OBG) geltend machen. Im Falle der gerichtlichen Geltendmachung sind die ordentlichen Gerichte gemäß § 43 Abs. 1 OBG zuständig.

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