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Polizei- und Ordnungsrecht NRW - C. Übungsfall Nr. 3

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Polizei- und Ordnungsrecht NRW

C. Übungsfall Nr. 3

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Alkoholverbot

Vgl. Peine Klausurenkurs im Verwaltungsrecht 4. Aufl. 2010 Fall 20, dem der Übungsfall Nr. 3 teilweise nachgebildet und dabei auf das nordrhein-westfälische Landesrecht zugeschnitten wurde. S. zum Themenkomplex „Alkoholverbote im öffentlichen Raum“ z.B. BeckOK PolR NRW-Schroeder § 25 Rn. 9.2 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung.

Der Rat der kreisfreien Stadt A mit ca. 260 000 Einwohnern beschließt in seiner Sitzung am 21.1. den Erlass einer „Ordnungsbehördlichen Verordnung zur Sicherung der öffentlichen Ordnung in der Innenstadt der Stadt A“ (im Folgenden kurz: VO). Mit dieser VO sollen die Gewaltkriminalität und der starke Alkoholkonsum in der Innenstadt reduziert werden. Nach Ansicht des Rates der Stadt A führe der Alkoholkonsum zur Enthemmung und damit zur Steigerung der Gewaltbereitschaft einzelner Personen. Vor allem Jugendliche träfen sich auf Plätzen in der Innenstadt, um dort den in Supermärkten gekauften Alkohol zu trinken. Erfahrungsberichte der Polizei zeigten, dass der Alkoholkonsum zumindest mitursächlich für die Begehung von Gewaltdelikten sei.

Die VO hat folgenden Wortlaut:

„§ 1 Geltungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für den Marktplatz, den Katschhof, den Elisenbrunnen und den Kurpark.

(2) Der beigefügte Lageplan vom 7.1. ist Bestandteil dieser VO.

§ 2 Alkoholverbot

(1) Im Geltungsbereich dieser VO ist es auf den öffentlich zugänglichen Flächen außerhalb konzessionierter Freisitzflächen verboten,

(a) alkoholische Getränke jedweder Art zu konsumieren,

(b) alkoholische Getränke jedweder Art mit sich zu führen, wenn aufgrund der konkreten Umstände die Absicht erkennbar ist, diese im Geltungsbereich der VO konsumieren zu wollen.

(2) Dieses Verbot gilt in den Nächten von Freitag auf Samstag, von Samstag auf Sonntag und von Sonntag auf Montag jeweils von 22.00 bis 6.00 Uhr. Gleiches gilt für die Zeit von 00.00 bis 6.00 Uhr morgens an einem gesetzlichen Feiertag und die zwei Stunden davor (d.h. von 22.00 bis 6.00 Uhr).

(3) Das Verbot des Absatzes 1 gilt nur, wenn die Auswirkungen des Alkoholgenusses geeignet sind, Dritte erheblich zu belästigen.“

In der Sitzung am 21.1. wurde zutreffend festgestellt, dass 40 Mitglieder des Rates anwesend seien und der Rat damit beschlussfähig sei. Während der Sitzung verließen acht Mitglieder den Ratssaal. In der Abstimmung stimmen 28 Ratsmitglieder für die VO.

Die VO wurde am 25.2. ordnungsgemäß verkündet.

An einem frühsommerlichen Samstagabend im Juni trifft sich der Student M mit Kommilitonen im Kurpark, um eine Runde Bier zu trinken. Solche Treffen veranstalten sie regelmäßig. Gegen 23.30 Uhr kommt die Polizei und stellt den Kasten Bier, den P für die Runde spendiert hatte, sicher. M und seine Kommilitonen stehen unvermittelt ohne Bier da. Sie gehen daher enttäuscht nach Hause. Am nächsten Tag kann M den Bierkasten bei der Polizei abholen.

Auch wenn M den Bierkasten zurückbekommen hat, ist er mit dem Vorgehen der Polizei nicht einverstanden. Er ist der Ansicht, dass die Polizei den Bierkasten an sich gar nicht sicherstellen durfte. Ein Verstoß gegen die VO hätte nicht geahndet werden dürfen. Die VO sei unwirksam, weil sie zu unbestimmt sei und weil der Alkohol keine Gefahr begründe, die durch die VO abgewehrt werden müsse. Dass die Alkoholisierung zumindest mitursächlich für die Gewalt sein könne, genüge nicht, um eine Gefahr anzunehmen. Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit führe nicht zwingend zu Gewalttaten. Gewalttaten entstünden unter komplexen Umständen und seien nicht einfach auf eine Alkoholisierung zurückzuführen.

M fragt seinen Freund S, einen Jurastudenten, was er gegen die Maßnahme der Polizei noch unternehmen kann und wie die Erfolgsaussichten eines rechtlichen Vorgehens sind. Übernehmen Sie die Prüfung anstelle des S!

 

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Lösung

M möchte gegen die Sicherstellung des Bierkastens am Abend des 1.6. vorgehen. In Betracht kommt eine Klage gegen die Sicherstellung. Diese Klage hat Erfolg, wenn und soweit sie zulässig und begründet ist.

I. Zulässigkeit der Klage

Die Klage müsste zulässig sein.

1. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges

Mangels auf- oder abdrängender Sonderzuweisungen ist der Verwaltungsrechtsweg nach der Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet, wenn eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn die streitentscheidenden Normen dem öffentlichen Recht entstammen. Wann dies der Fall ist, bestimmt sich z.B. nach der modifizierten Subjektstheorie. Danach ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Natur, wenn durch die streitentscheidenden Normen allein ein Träger öffentlicher Gewalt berechtigt oder verpflichtet wird. Im vorliegenden Fall ist § 43 PolG NRW die streitentscheidende Norm. Durch diese Bestimmung wird ausschließlich die Polizei berechtigt bzw. verpflichtet. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt demnach vor. Diese ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art, da weder M noch die Polizei unmittelbar am Verfassungsleben beteiligt sind.

Der Verwaltungsrechtsweg ist somit nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet.

2. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des M (vgl. § 88 VwGO). M wendet sich gegen die Sicherstellung seines Bierkastens durch die Polizei. Welche Klageart statthaft ist, hängt von der Rechtsnatur der Sicherstellung ab. Die Rechtsnatur der polizeilichen Sicherstellung – wie auch die Rechtsnatur der sonstigen polizeilichen Standardmaßnahmen – ist umstritten. Maßgeblich für die Qualifikation einer polizeilichen Sicherstellung als Verwaltungsakt ist die Frage, ob die Sicherstellung eine Regelung i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG NRW beinhaltet. Eine Regelung i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG NRW liegt vor, wenn die Maßnahme nach ihrem objektiven Sinngehalt auf eine unmittelbare, für die Betroffenen verbindliche Festlegung von Rechten und Pflichten oder eines Rechtsstatus gerichtet ist.

Vgl. Ramsauer in: Kopp/Ramsauer, VwVfG § 35 Rn. 88.

Nach ihrem äußeren Erscheinungsbild ist die Sicherstellung in erster Linie auf den tatsächlichen Erfolg gerichtet, nämlich die Begründung des Gewahrsams der Polizei an dem herausverlangten Gegenstand. Daher spricht sich eine Ansicht dafür aus, die Sicherstellung als bloßen Realakt ohne Regelungscharakter anzusehen. Unter Zugrundelegung dieser Ansicht bestünde jedoch die Gefahr, dass der Adressat einer solchen Maßnahme zum bloßen Objekt hoheitlicher Realakte degradiert würde. Daher sieht eine andere Ansicht zu Recht auch in einer polizeilichen Sicherstellung einen Verwaltungsakt in Form einer konkludenten Duldungsverfügung. Auf der Grundlage dieser Ansicht ist die polizeiliche Anordnung, den Kasten herauszugeben, demnach als belastender Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG NRW zu qualifizieren.

M könnte sich somit im Wege der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO gegen die Sicherstellung wehren. Allerdings kommt eine Anfechtungsklage nur in Betracht, solange sich die Sicherstellung noch nicht erledigt hat, d.h. solange sie noch belastende Rechtswirkungen entfaltet. Im vorliegenden Fall hat sich die Sicherstellung indes bereits erledigt, nachdem M den Bierkasten von der Polizei zurückerhalten hat. Von der Sicherstellung gehen keine belastenden Rechtswirkungen mehr aus. Eine Anfechtungsklage ist demnach nicht statthaft.

Statthafte Klageart könnte jedoch eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO sein. Danach spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat. Problematisch ist allerdings, dass § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO unmittelbar nur den Fall regelt, dass sich der Verwaltungsakt nach Erhebung der Klage, d.h. während des laufenden Klageverfahrens erledigt. Im vorliegenden Fall hat sich die Sicherstellung aber schon vor Erhebung einer Klage erledigt. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ist demnach nicht unmittelbar anwendbar.

Zu prüfen ist, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO jedoch entsprechend anwendbar ist. Die entsprechende Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ist umstritten.

Vgl. hierzu W.-R. Schenke/R. P. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO § 113 Rn. 99.

Insbesondere das Bundesverwaltungsgericht stellte seine eigene Rechtsprechung, dass § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO bei Erledigung des Verwaltungsaktes vor Klageerhebung analog anwendbar sei, in Frage und stellte die Möglichkeit in den Raum, dass eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO in diesem Falle näher liege. Allerdings ließ das Bundesverwaltungsgericht die Frage nach der statthaften Klageart offen.

Vgl. BVerwGE 109, 203.

Gegen die Feststellungsklage spricht jedoch, dass die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO darstellt. Ein Rechtsverhältnis i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO ist nach h.M. eine sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Rechtsnorm ergebende Rechtsbeziehung zwischen einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Ein Verwaltungsakt selbst stellt kein Rechtsverhältnis dar; durch die in einem Verwaltungsakt getroffene Regelung kann wohl ein Rechtsverhältnis begründet, gestaltet oder beendet werden. Außerdem besteht in der hier in Rede stehenden Fallkonstellation dieselbe Interessenlage wie bei einer Erledigung des Verwaltungsaktes nach Klageerhebung. Dabei zielt § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO exakt auf die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes.

Die besseren Argumente sprechen somit dafür, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO entsprechend anzuwenden, wenn sich der Verwaltungsakt vor Klageerhebung erledigt hat.

Die Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog ist demnach die statthafte Klageart.

3. Klagebefugnis

Als Adressat der polizeilichen Sicherstellung ist M möglicherweise zumindest in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt (sog. Adressatentheorie) und demnach klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog.

4. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

M ist gemäß §§ 61 Nr. 1, 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO und das Land NRW ist gemäß §§ 61 Nr. 1, 62 Abs. 3 VwGO beteiligten- und prozessfähig.

5. Richtiger Klagegegner

Richtiger Klagegegner ist gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO das Land NRW.

6. Besonderes Feststellungsinteresse

M müsste ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Sicherstellung haben. Von den in der Rechtsprechung anerkannten berechtigten Interessen kommt im vorliegenden Fall eine Wiederholungsgefahr in Betracht. Eine Wiederholungsgefahr besteht, wenn die hinreichende Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen würde. Da sich P und seine Kommilitonen regelmäßig im Kurpark der Stadt A treffen, um gemeinsam Bier zu trinken, ist es wegen des Alkoholverbots nicht ausgeschlossen, dass die Polizei erneut einen Bierkasten sicherstellt. Somit liegt eine Wiederholungsgefahr und damit ein berechtigtes Interesse des M vor.

7. Klagefrist

Der Beachtung einer Klagefrist bedarf es nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts in der hier gegebenen Fallkonstellation nicht.

8. Ergebnis zu I.

Die Fortsetzungsfeststellungsklage des M gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog ist zulässig.

II. Begründetheit der Klage

Die Fortsetzungsfeststellungsklage des M gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog ist begründet, wenn und soweit die polizeiliche Sicherstellung des Bierkastens rechtswidrig war und M dadurch in seinen Rechten verletzt hat.

1. Ermächtigungsgrundlage für die Sicherstellung

Ermächtigungsgrundlage für die polizeiliche Sicherstellung des Bierkastens ist § 43 Nr. 1 PolG NRW.

2. Formelle Rechtmäßigkeit der Sicherstellung

Zu prüfen ist, ob die Sicherstellung formell rechtmäßig erfolgt ist.

a) Zuständigkeit der Polizei

Das Polizeipräsidium A ist gemäß § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 3 PolG NRW, §§ 10 S. 1, 11 Abs. 1 Nr. 1, 7 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW sachlich und örtlich zuständig. Zur Einsatzzeit an einem Samstagabend um 23.30 Uhr waren die an sich für die Überwachung des Alkoholverbots zuständigen Mitarbeiter der Ordnungsbehörde der Stadt A außer Dienst, so dass die Polizei gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 PolG NRW wegen eines Eilfalls subsidiär zuständig war.

b) Verfahren

Mangels entgegenstehender Hinweise im Sachverhalt war das Verfahren bei der Sicherstellung ordnungsgemäß. Insbesondere war eine vorherige Anhörung des M gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW entbehrlich.

c) Form

Die Sicherstellung konnte formlos erfolgen (vgl. § 37 Abs. 2 VwVfG NRW) und bedurfte daher keiner Begründung (vgl. § 39 Abs. 1 VwVfG NRW).

d) Ergebnis zu 2.

Die Sicherstellung ist formell rechtmäßig.

3. Materielle Rechtmäßigkeit der Sicherstellung

Die polizeiliche Sicherstellung des Bierkastens ist materiell rechtmäßig, wenn und soweit sie inhaltlich mit den gesetzlichen Vorgaben in Einklang steht.

Es müssten die Tatbestandsvoraussetzungen des § 43 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW vorliegen. Diese liegen vor, wenn die Polizei den Bierkasten des M sicherstellen konnte, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren.

Eine Gefahr liegt bei einer Sachlage vor, die im Einzelfall bei ungehindertem Ablauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden am Schutzgut der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führen wird. Der Alkoholgenuss durch M und seine Kommilitonen im Kurpark der Stadt A könnte gegen die öffentliche Sicherheit verstoßen. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechtsgüter und Rechte des Einzelnen sowie des Staates, seiner Einrichtungen und Veranstaltungen.

Im Falle des Verstoßes gegen geltende öffentlich-rechtliche Vorschriften liegen immer eine Störung und eine weitere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vor.

Der Alkoholkonsum durch M und seine Kommilitonen verstößt gegen die VO der Stadt A, die Bestandteil der objektiven Rechtsordnung ist. Somit liegt ein Verstoß gegen die objektive Rechtsordnung und demnach eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor, es sei denn, die VO wäre unwirksam. Zu prüfen ist somit die Rechtmäßigkeit und damit die Wirksamkeit der VO.

Denken Sie daran: Im Gegensatz zum Verwaltungsakt ist eine Gefahrenabwehrverordnung im Falle ihrer Rechtswidrigkeit auf jeden Fall unwirksam.

a) Ermächtigungsgrundlage für die VO

Ermächtigungsgrundlage für die VO ist § 27 OBG.

b) Formelle Rechtmäßigkeit der VO

Zu prüfen ist die formelle Rechtmäßigkeit der VO.

aa) Zuständigkeit

Der Rat der Stadt A müsste für den Erlass der VO sachlich und örtlich zuständig gewesen sein. Gemäß § 27 Abs. 1 OBG können die Ordnungsbehörden Gefahrenabwehrverordnungen erlassen. Zuständig für den Erlass von Verordnungen der örtlichen Ordnungsbehörden i.S.d. §§ 4, 5 OBG ist gemäß § 27 Abs. 4 S. 1 OBG die Vertretung. In der kreisfreien Stadt A ist der Rat der Stadt A zuständig (vgl. §§ 40, 41 Abs. 1 S. 1 GO NRW).

bb) Verfahren

Fraglich ist, ob beim Erlass der VO das Verfahren eingehalten wurde. Im Zeitpunkt der Beschlussfassung könnte der Rat der Stadt A nach § 49 GO NRW beschlussunfähig gewesen sein. Gemäß § 49 Abs. 1 S. 1 GO NRW ist der Rat der Stadt A beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend ist. Die gesetzliche Mitgliederzahl der kreisfreien Stadt A mit ihren ca. 260 000 Einwohnern beträgt gemäß § 3 Abs. 2 lit. a KWahlGNRW

Kommunalwahlgesetz.

66 Mitglieder. Zu Beginn der Ratssitzung waren 40 Ratsmitglieder anwesend, d.h. mehr als die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl. Der Rat war demnach jedenfalls zu diesem Zeitpunkt beschlussfähig. Fraglich ist, ob die Beschlussfähigkeit nachträglich weggefallen ist, nachdem acht Mitglieder die laufende Ratssitzung verlassen haben, was zur Folge hatte, dass im Zeitpunkt der Beschlussfassung nur noch 32 Mitglieder anwesend waren. Der Rat könnte somit nachträglich beschlussunfähig geworden sein. Gemäß § 49 Abs. 1 S. 2 GO NRW gilt der Rat als beschlussfähig, solange die Beschlussunfähigkeit nicht auf Antrag eines Ratsmitglieds durch den Oberbürgermeister festgestellt wurde. Ein solcher Antrag wurde im vorliegenden Fall nicht gestellt. Der Rat der Stadt A galt somit bei der Beschlussfassung als beschlussfähig. Ein (berücksichtigungsfähiger) Verfahrensfehler liegt demnach nicht vor.

cc) Form, Verkündung

Mangels entgegenstehender Hinweis im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass die VO unter Beachtung der Formerfordernisse des § 30 OBG erlassen und gemäß § 33 Abs. 1 S. 2 OBG ordnungsgemäß verkündet wurde.

dd) Ergebnis zu b)

Die VO ist formell rechtmäßig.

c) Materielle Rechtmäßigkeit der VO

Die VO ist materiell rechtmäßig, wenn und soweit sie inhaltlich mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmt.

aa) Erlass zur Abwehr von Gefahren

§ 27 Abs. 1 OBG setzt auf seiner Tatbestandsseite voraus, dass der Erlass der Verordnung zur Abwehr von Gefahren erfolgen muss. Nach § 25 S. 1 OBG sind ordnungsbehördliche Verordnungen Gebote oder Verbote, die für eine unbestimmte Anzahl von Fällen an eine unbestimmte Anzahl von Personen gerichtet sind. Es muss demnach eine abstrakte Gefahr vorliegen. Eine solche Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt, und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also mit einem Rechtssatz, zu bekämpfen. Nachzuweisen ist somit eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Für die Bejahung einer abstrakten Gefahr müssen – bei abstrakt-genereller Betrachtung – hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die es rechtfertigen, auf den drohenden Eintritt von Schäden zu schließen. Der Schaden muss regelmäßig und typischerweise zu erwarten sein.

Solange und soweit die Behörde die erforderliche Gefahrenprognose nicht durchführen kann, weil sie noch keine hinreichenden konkreten Erkenntnisse besitzt, liegt keine Gefahr, sondern allenfalls ein Gefahrenverdacht vor. Vorsorgemaßnahmen zur Abwehr möglicher Beeinträchtigungen im Vorfeld einer Gefahr können nicht auf § 25 OBG gestützt werden.

Im vorliegenden Fall müsste der Alkoholkonsum an den in § 1 VO genannten Stellen eine abstrakte Gefahr im oben beschriebenen Sinne darstellen, die eine Regelung wie § 2 VO rechtfertigt. Dies wäre der Fall, wenn mit einer statistisch hohen Wahrscheinlichkeit nachzuweisen wäre, dass Gewalttätigkeiten, deren Verhinderung die VO dient, auf den vorherigen Konsum von Alkohol zurückzuführen sind. Ein Kausalzusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Gewalttätigkeiten ist in der Regel nicht auszuschließen. Er begründet jedoch allenfalls einen Gefahrenverdacht. Dass Alkoholkonsum generell zu Aggressivität führt, widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung. Welche Wirkungen der Konsum von Alkohol nach sich zieht, hängt vielmehr von den äußeren Umständen, den individuellen Gegebenheiten und Befindlichkeiten sowie den Einflüssen im Einzelfall ab. Alkoholkonsum im öffentlichen Raum ist nicht unüblich und führt keinesfalls typischerweise zur Begehung von Gewalttätigkeiten. Demnach liegt eine abstrakte Gefahr i.S.d. §§ 27 Abs. 1, 25 S. 1 OBG nicht vor. § 2 VO ist demnach rechtswidrig.

bb) Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz

§ 2 Abs. 1b und Abs. 3 VO könnten gegen § 29 Abs. 1 S. 1 OBG verstoßen, indem die beiden Regelungen zu unbestimmt sind. Das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot verlangt, dass Regelungen so getroffen werden, dass der Betroffene den Inhalt und die Grenzen von Ge- oder Verbotsnormen in zumutbarer Weise erkennen und sein Verhalten danach ausrichten kann. Grundsätzlich dürfen auch unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet werden. Allerdings darf die Erkennbarkeit der Rechtslage durch den Betroffenen hierdurch nicht wesentlich eingeschränkt werden; die Gerichte müssen in der Lage bleiben, den Inhalt einer Regelung anhand der anerkannten Auslegungsregeln zu konkretisieren.

(1) § 2 Abs. 1b VO

Zu prüfen ist, ob § 2 Abs. 1b VO den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes genügt. Im Gegensatz zu § 2 Abs. 1a VO, der ein klar formuliertes Verbot, Alkohol zu konsumieren, enthält, ist § 2 Abs. 1b VO weniger klar formuliert. Gleichwohl wird für den Betroffenen auch hier erkennbar, welche Verhaltensweisen verboten sind. Für den Betroffenen erkennbar, erfasst das Verbot nicht das bloße Durchqueren des Geltungsbereichs der VO mit dem zuvor gekauften Alkohol, wenn nicht beabsichtigt ist, den Alkohol dort zu konsumieren. Auch das Verweilen mit mitgeführtem Alkohol ohne Konsumabsicht wird erkennbar nicht vom Verbot erfasst. Verboten ist jedoch das Mitsichführen von alkoholischen Getränken, wenn aufgrund der konkreten Umstände die Absicht erkennbar ist, dass die Getränke an Ort und Stelle konsumiert werden sollen. Soweit der Verordnungsgeber auf die Absicht des Handelnden Bezug nimmt, widerspricht dies nicht dem Bestimmtheitsgebot, weil äußere Umstände diese Absicht belegen müssen. § 2 Abs. 1b VO ist demnach hinreichend bestimmt.

(2) § 2 Abs. 3 VO

Fraglich ist jedoch, ob § 2 Abs. 3 VO hinreichend bestimmt ist. § 2 Abs. 3 VO regelt die Umstände, die das Alkoholverbot auslösen. Danach müssen die Auswirkungen des Alkoholgenusses geeignet sein, Dritte erheblich zu belästigen. Der Verordnungsgeber beabsichtigt mit dem Alkoholverbot, die alkoholbedingten, mit Belästigungen Dritter verbundenen Ausfall- und Folgeerscheinungen (z.B. aggressives Verhalten, Verunreinigungen, ruhestörender Lärm etc.) auszuschließen. Nähere Umstände, bei deren Vorliegen diese Befürchtungen gerechtfertigt wären, bleiben allerdings unerwähnt. In jedem Einzelfall muss vielmehr geprüft werden, ob eine Gefahr vorliegt. Für Betroffene ist damit aber nicht erkennbar, wo die Grenzen liegen, ab wann bzw. unter welchen Voraussetzungen das Verweilen zum Alkoholgenuss geeignet ist, sich belästigend auf Dritte auszuwirken und Sanktionen nach sich zu ziehen. Der Wortlaut des § 2 Abs. 3 VO gibt hierauf keine klare Antwort. Somit ist eine eindeutige Grenzziehung zwischen Erlaubtem und Verbotenem nicht möglich. § 2 Abs. 3 VO ist demnach nicht hinreichend bestimmt und folglich unwirksam.

cc) Ergebnis zu c)

§ 2 VO ist wegen Unwirksamkeit seines Absatzes 3 insgesamt materiell rechtswidrig und damit unwirksam. Wegen Unwirksamkeit der Verbotsnorm des § 2 VO ist die gesamte VO unwirksam, weil die wirksamen Teile der VO ohne die unwirksamen Teile keinen Bestand haben können. Wegen der Unwirksamkeit des § 2 VO ist der Alkoholgenuss des M und seiner Kommilitonen nicht rechtswidrig gewesen. Dies hat zur Folge, dass keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestanden hat und die polizeiliche Sicherstellung somit rechtswidrig gewesen ist.

4. Rechtsverletzung

Aufgrund der rechtswidrigen polizeilichen Sicherstellung des Bierkastens wurde F zumindest in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.

5. Ergebnis zu II.

Die Fortsetzungsfeststellungsklage des M gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog ist begründet.

III. Ergebnis

Die Klage des M ist zulässig und begründet und demnach erfolgreich.

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