Inhaltsverzeichnis
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Die Ratsmitglieder sollen durch ihr kommunalpolitisches Engagement keine beruflichen und finanziellen Nachteile erleiden. Der Gesetzgeber hat ihnen deshalb verschiedene Schutz- und Entschädigungspositionen eingeräumt, die an die Wahrnehmung dieses öffentlichen Amtes gebunden sind.Vgl. im Einzelnen: Bätge DVP 2018, 393. Diese gesetzlichen Ansprüche sichern sowohl das passive Wahlrecht als auch das freie Mandatsausübungsrecht in tatsächlicher Hinsicht ab. Kein Bürger soll aus beruflichen oder finanziellen Gründen auf die Übernahme des Mandates verzichten und aus der Mandatswahrnehmung finanzielle Einbußen erleiden. Umgekehrt sollen dadurch aber auch keine finanziellen Vorteile geschöpft werden sollen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Ausübung des Mandats als „Erfüllung einer allgemeinen Bürgerpflicht, nicht Tätigkeit zur Sicherstellung der materiellen Lebensgrundlage“ bezeichnet, weshalb es grundsätzlich als kommunalpolitisches Ehrenamt ausgestaltet ist.BVerfG Beschluss vom 4.4.1978 – 2 C 11/93 –, juris, Rn. 70.
Die Behinderungs- und Benachteiligungsverbote des § 44 Abs. 1 GO sollen Behinderungen bei der Bewerbung, der Annahme und der Ausübung des Mandates sowie Benachteiligungen am Arbeitsplatz verhindern. Das Recht auf Freistellung von der Arbeit gemäß § 44 Abs. 2 GO ist beschränkt auf den für die Mandatsausübung erforderlichen Umfang. Bei Mandatsträgern, die innerhalb eines vorgegebenen Arbeitszeitrahmens über Lage und Dauer der individuellen Arbeitszeit selbst entscheiden können (Gleitzeitbeschäftigte), ist die Zeit der Ausübung des Mandats innerhalb dieses Arbeitszeitrahmens zur Hälfte auf ihre Arbeitszeit anzurechnen. Zur Teilnahme an kommunalpolitischen Bildungsveranstaltungen besteht ein begrenzter Anspruch auf Urlaubsgewährung nach § 44 Abs. 3 GO.
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Die Mitglieder des Rates und auch die Mitglieder der Bezirksvertretungen und Ausschüsse sollen durch ihr kommunalpolitisches Engagement keine finanziellen Nachteile erleiden. Ihnen sind deshalb verschiedene gesetzliche Entschädigungspositionen eingeräumt. Es handelt sich hierbei anders als bei den Entschädigungsleistungen für Bundestags- und Landtagsabgeordnete nicht um Alimentationen, die der Sicherung des Lebensunterhaltes dienen. Bei den Entschädigungsansprüchen für Ratsmitglieder geht es vielmehr um die Vermeidung mandatsbezogener finanzieller Nachteile.BVerfG Beschluss vom 4.4.1978 – 2 C 11/93 –, juris, Rn. 70.
Bei der Bestimmung und Bemessung der einzelnen Entschädigungspositionen ist ein Dreiklang von miteinander verbundenen Rechtsquellen zu beachten. Die parlamentsgesetzlichen Bestimmungen der Gemeindeordnung (§§ 44–46) legen die grundsätzlichen Aspekte der Entschädigung kommunaler Mandatsträger fest und überlassen die näheren Einzelheiten der exekutiven Ausgestaltung entweder in der Entschädigungsverordnung NRW dem für Kommunales zuständigen Ministerium oder dem Rat durch Regelung in der Hauptsatzung.
Ratsmitglieder haben einen gesetzlichen Anspruch auf angemessene Aufwandsentschädigung (§ 45 Abs. 5 Nr. 1 GO i.V.m. § 1 EntschVO NRW). Diese wird nach § 1 Abs. 1 EntschVO NRW entweder ausschließlich als monatliche Pauschale gewährt (gesetzlicher Regelfall) oder teilweise pauschal und teilweise als Sitzungsgeld für Sitzungen des Rates, der Ausschüsse und Fraktionen. Der Rat entscheidet sich nach pflichtgemäßem Ermessen in der Hauptsatzung für eine der beiden Möglichkeiten. Anders als bei der Verdienstausfallentschädigung soll ohne Vorlage eines Nachweises im Einzelfall der gesamte finanzielle Aufwand abgegolten werden, der mit der Tätigkeit als Ratsmitglied verbunden ist. Allerdings ist ein Anspruch ausgeschlossen, wenn das betreffende Ratsmitglied aus eigenem Entschluss keine Mandatstätigkeit mehr ausübt.OVG NRW Beschluss vom 27.3.2019 – 15 E 46/19 –, juris; Frenzen in Dietlein/Heusch, § 45, Erl. 27; Bätge DVP 2018, 393, 395.
Beispiel
Ein Ratsmitglied nahm demonstrativ mehrere Monate bis zum Ende der Wahlperiode nicht mehr an Rats- und Ausschusssitzungen teil. Zudem leerte es sein Postfach im Rathaus nicht und stellte keine Anträge mehr. Der Rat beschloss daraufhin, dem Ratsmitglied keine Aufwandsentschädigung mehr zu zahlen. Das Ratsmitglied erhob Klage beim Verwaltungsgericht mit dem Antrag, die Stadt zu verpflichten, ihm die nicht ausgezahlten Aufwandsentschädigungen zu bewilligen. Ist die Klage begründet?
Gemäß § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO ist dies dann der Fall, wenn das Ratsmitglied einen Anspruch auf die Gewährung von Aufwandsentschädigung hat und durch die Ablehnung in seinen Rechten verletzt worden ist. Anspruchsgrundlage könnte § 45 Abs. 5 Nr. 1 GO sein. Danach haben Ratsmitglieder einen Anspruch auf eine angemessene Aufwandsentschädigung. Anders als bei der Verdienstausfallentschädigung soll ohne Vorlage eines Nachweises im Einzelfall der gesamte finanzielle Aufwand abgegolten werden, der mit der Tätigkeit als Ratsmitglied verbunden ist. Der Anspruch auf den monatlich zu zahlenden Pauschalbetrag besteht grundsätzlich auch dann, wenn das Ratsmitglied aus tatsächlichen Gründen gehindert ist, sein Mandat auszuüben (beispielsweise infolge Erkrankung oder beruflich bedingter Ortsabwesenheit).
Allerdings ist ein Anspruch ausgeschlossen, wenn das betreffende Ratsmitglied aus eigenem Entschluss keine Mandatstätigkeit mehr ausübt. Bereits nach der Wortlautauslegung setzt der Begriff „Aufwandsentschädigung“ dem Grunde nach einen entsprechenden Aufwand, d.h. mandatsbedingte Kosten, voraus. Dies wird bei der pauschalisiert gezahlten Aufwandsentschädigung zunächst einmal vermutet. Allerdings kann die Vermutung dann erschüttert werden, wenn das Ratsmitglied aus eigenem Entschluss das Mandat nicht mehr ausübt. Im vorliegenden Fall lassen die Umstände (keine Teilnahme an den Ratssitzungen, fehlende Leerung des Postfaches, keine Stellung von Anträgen) darauf schließen, dass das Ratsmitglied sein Mandat nicht nur in minderwertiger Weise, sondern aus eigenem Entschluss gar nicht ausübt. Die Klage ist mithin unbegründet.
Ratsmitglieder haben des Weiteren einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung des erlittenen Verdienstausfalls unter den Voraussetzungen, dass dieser
• | durch die Mandatsausübung entstanden ist und |
• | die Mandatsausübung während der Arbeitszeit erforderlich war. |
Anspruchsinhaber sind unter diesen Voraussetzungen sowohl abhängig Beschäftigte als auch selbständige Ratsmitglieder. Der Verdienstausfall ist durch die Mandatsausübung entstanden, wenn eine Tätigkeit vorliegt, „die mit dem Mandat in unmittelbaren Zusammenhang steht oder auf Veranlassung des Rates, der Bezirksvertretung oder des Ausschusses erfolgt“ (Legaldefinition des § 44 Abs. 2 S. 2 GO). Hierunter fallen die jeweiligen Gremiensitzungen inklusive der Fraktionssitzungen sowie alle wahrgenommenen Termine, die auf Veranlassung der Kollegialorgane Rat, Bezirksvertretung oder Ausschuss entstanden sind. Neben der erforderlichen Kausalität des entstandenen Verdienstausfalls mit der Mandatsausübung muss als weitere Voraussetzung die Mandatsausübung während der Arbeitszeit erforderlich gewesen sein. Als Arbeitszeit gelten die Zeiten, an denen nach den Arbeitsverhältnissen des jeweiligen Mandatsträgers tatsächlich Arbeit geleistet wird.OVG NRW Urteile vom 6.11.2018 – 15 A 132/18 und 15 A 144/18 –, jeweils juris; Smith in Kleerbaum/Palmen, GO NRW, § 45 Erl. II.3.a); Bätge DVP 2018, 393, 396. Entgangener Gewinn aus Nebentätigkeiten und Verdienst, der außerhalb der Arbeitszeit hätte erzielt werden können, bleiben außer Betracht.
Schüler und Studenten erhalten ebenso wie Arbeitslose keine Verdienstausfallentschädigung, da ihnen für ihre Haupttätigkeit – der Ausbildung an der Schule bzw. Hochschule – kein Verdienst zusteht. Sofern sie sich neben der Schule oder ihrem Studium gelegentlich oder auch regelmäßig etwas hinzuverdienen, wird in aller Regel eine Nebentätigkeit vorliegen, die bei der Erstattung nach § 45 Abs. 1 S. 2 GO außer Betracht bleibt.
Der Verdienstausfall ist bei solchen Personen ausgeschlossen, die ersichtlich keine finanziellen Nachteile erleiden. Hiervon ist insbesondere bei Beamten und Soldaten auszugehen, da sie Anspruch auf bezahlten Sonderurlaub haben. Auch Bundestags- und Landtagsabgeordnete, die gleichzeitig ein kommunales Mandat wahrnehmen sind nicht anspruchsberechtigt, da diese voll alimentiert werden.BVerfG Urteil vom 5.11.1975 – 2 BvR 193/74 –, BVerfGE 40, 296. In aller Regel erhalten auch Pensionäre und Rentner keine Verdienstausfallentschädigung, da sie durch Pension bzw. Rente voll alimentiert sind und Gelegenheitsjobs sich im Verhältnis dazu nur als nicht erstattungsfähige Nebentätigkeiten darstellen dürften.OVG NRW Urteile vom 6.11.2018 – 15 A 132/18 und 15 A 144/18 –, jeweils juris; Bätge DVP 2018, 393, 396.
Beispiel
Ein Ratsmitglied ist pensionierter Beamter und im Ruhestand gleichzeitig als selbständiger Wohnungsverwalter tätig. Er beantragte Verdienstausfall für verschiedene nachmittägliche Gremiensitzungen und gab an, dass er als Wohnungsverwalter 20 € pro Stunde und eine Arbeitszeit von 15:00 bis 19:00 Uhr habe. Nach Ablehnung durch den Bürgermeister erhob er eine Verpflichtungsklage auf Bewilligung der beantragten Verdienstausfallentschädigung. Die Verpflichtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg, da ein Anspruch auf Verdienstausfall aus mehreren Gründen nicht besteht: Zum einen besteht hinsichtlich der Pension kein finanzieller Nachteil durch die Tätigkeit als Ratsmitglied, da eine volle Alimentation durch ungekürzte Versorgungsbezüge erfolgt. Der entgangene Verdienst aus der Nebentätigkeit muss hingegen außer Betracht bleiben, § 45 Abs. 1 S. 2 GO.VG Köln Urteil vom 20.6.2012 – 4 K 7073/10 –, juris, Rn. 20 ff.
Als weitere Entschädigungsansprüche sind dem Grunde nach anerkannt die Fahrtkostenerstattung und Reisekostenvergütung, eine Zulage für die Wahrnehmung bestimmter Funktionen (wie z.B. ehrenamtlicher Bürgermeister, Fraktionsvorsitzender oder Ausschussvorsitzender), die Haushaltsführungsentschädigung und der Ersatz entgeltlicher Kinderbetreuung.Vgl. hierzu im Einzelnen: Bätge DVP 2018, 393.
Hinweis
Von den individuellen, personenbezogenen finanziellen Entschädigungsansprüchen ist die Gestellung von Sachmitteln und Kommunikationsmitteln zum Zwecke der Vorbereitung auf die Ratssitzung zu unterscheiden, die die Gemeinde gemäß § 56 Abs. 3 Sätze 5 und 6 GO in angemessenem Umfang neben den Fraktionen und Gruppen auch solchen Ratsmitgliedern gewährt, die keiner Fraktion oder Gruppe angehören.Vgl. zum Verteilungsmaßstab des Art. 3 Abs. 1 GG bei Fraktionsgeschäftsführungszuwendungen: BVerwG Urteil vom 5.7.2012 – 8 C 22/11 –, NVwZ 2013, 442.