Inhaltsverzeichnis
1. Grundlagen
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Bei juristischen Personen ist auch die Überschuldung Eröffnungsgrund (§ 19 Abs. 1 InsO). Gleiches gilt gem. § 19 Abs. 3 S. 1 InsO für rechtsfähige Personengesellschaften, die keine natürliche Person als Vollhafter haben (z.B. GmbH & Co. KG). Grund für diesen zusätzlichen Eröffnungsgrund ist, dass die Haftung bei Kapitalgesellschaften auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt ist.Becker Insolvenzrecht § 2 Rn. 13; Foerste Insolvenzrecht Rn. 129. Da Unternehmen vorwiegend (95 %) wegen Zahlungsunfähigkeit Eröffnungsantrag stellen, hat die Überschuldung in der Praxis eine geringe Bedeutung. Die Überschuldung (§ 19 InsO) ist von der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) abzugrenzen, da nur letztere den Zugang zum Schutzschirmverfahren (§ 270d InsO) oder zu den Restrukturierungsinstrumenten des StaRUG erlaubt. Die Norm des § 19 Abs. 2 InsO wurde in der Vergangenheit mehrfach geändert. Seit der Finanzmarktkrise 2008 gilt ein modifizierter zweistufiger Überschuldungsbegriff.BeckOK InsR/Wolfer InsO § 19 Rn. 1. Mit dem SanInsKG hat der Gesetzgeber 2022 kurzfristig auf die Energiekrise und die drohende Insolvenzgefahr für Unternehmen reagiert und die Norm abgemildert.
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Nach dem Wortlaut des § 19 Abs. 2 S. 1 InsO ist ein Unternehmen überschuldet, wenn „das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn die Fortführung des Unternehmens in den nächsten 12 Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“ Aus dem Wortlaut folgt, dass ein Unternehmen überschuldet ist, wenn das Vermögen (Aktiva) die bestehenden Verbindlichkeiten (Passiva) nicht mehr deckt (= rechnerische Überschuldung) und seine Fortführung in den nächsten 12 Monaten nicht überwiegend wahrscheinlich ist (= negative Fortführungsprognose). Die beiden Komponenten müssen kumulativ vorliegen.Vgl. Fischer NZI 2016, 665. Das Gesetz selbst enthält keine Prüfungsreihenfolge. In der Praxis wird der Prüfung der Fortführungsprognose Vorrang eingeräumt.BeckOK InsR/Wolfer InsO § 19 Rn. 8; Harig/Jürgens NZI 2021, 911, 912. Grund ist, dass eine positive Fortführungsprognose die Überschuldung definitiv ausschließt. Ist ungewiss, ob die Prognose positiv oder negativ ausgehen wird, wird empfohlen, die rechnerische Überschuldung zu überprüfen.