Inhaltsverzeichnis
3. Der vorläufige Insolvenzverwalter
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Die wohl wichtigste Maßnahme im Eröffnungsverfahren ist die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 InsO). Er spielt im Eröffnungsverfahren die Hauptrolle (neben dem Richter). Er ist die mobile Person vor Ort, die sich (anders als der Richter, der am Schreibtisch arbeitet) direkt aus dem Unternehmen die erforderlichen Informationen holt. Abhängig von der weiteren Ausgestaltung (allgemeines Verfügungsverbot oder Zustimmungsvorbehalt) kann der vorläufige Insolvenzverwalter sogleich die Macht bzw. zumindest die Aufsicht im Unternehmen übernehmen. Stets wird er kalkulieren, ob das Unternehmen (erst einmal) fortgeführt werden kann. Dazu wird er sich einen Eindruck vom Betrieb verschaffen, Sanierungschancen ausloten, laufende Aufträge abarbeiten und gute Mitarbeiter und Geschäftspartner bei der Stange halten.
Foerste Insolvenzrecht Rn. 97. Häufig wird der vorläufige Insolvenzverwalter zusätzlich damit beauftragt, zu prüfen, ob ein Insolvenzgrund (Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung) vorliegt und wann dieser konkret eingetreten ist (sog. Gutachterauftrag). Hierfür bekommt er ein Zusatzhonorar. Da der vorläufige Insolvenzverwalter ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens regelmäßig in die Rolle des (endgültigen) Insolvenzverwalters wechselt, ist diese Personalie für alle Beteiligten von erheblicher Bedeutung. Der Erfolg eines Verfahrens hängt wesentlich von seinen rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Qualifikationen und seiner Kommunikationsfreudigkeit (Soft Skills) ab. Gerade in der Insolvenzsituation neigen Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter dazu, sich nach Alternativen umzusehen.Bork/Hölzle/Bieg Handbuch Insolvenzrecht Kap. 13 Rn. 14. Hier kann der vorläufige Verwalter Vertrauen wettmachen. Da er viel Geld umwälzt und zahlreiche Treuhandkonten managen muss, kommt das Risiko von Untreuehandlungen in der Praxis hin und wieder vor.Vgl. etwa BGH v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11 = NJW 2015, 64.a) Personalauswahl
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Bis 2012 war für die Benennung des Insolvenzverwalters ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig. Folglich konnte allein der Insolvenzrichter entscheiden, welche Person bei großen Unternehmensinsolvenzen zu einem „gewissen Reichtum“ gelangt (vgl. § 63 InsO). Dass die Insolvenzverwaltung ein finanziell interessantes Berufsfeld ist, verdeutlichen die Verdienstmöglichkeiten bei Großinsolvenzen. So betrug die Vergütung des Insolvenzverwalters bei Lehmann Brothers 80 Mio. € und bei Schlecker 15 Mio. €. Allerdings muss davon ein umfangreicher Mitarbeiterstab bezahlt werden und es müssen im Gegenzug auch weniger lukrative Kleininsolvenzen übernommen werden. Die einzelnen Vergütungstatbestände sind in der gem. § 65 InsO erlassenen Vergütungsverordnung (InsVV) näher geregelt. Der Verwalter bekommt seine Vergütung nicht vom Staat, sondern aus der Masse.
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Die Anforderungen an den vorläufigen Verwalter werden in § 56 InsO beschrieben, auf den § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 InsO verweist. § 56 Abs. 1 S. 1 InsO verlangt, dass es sich um eine natürliche Person handelt, die geschäftskundig und unabhängig von den Beteiligten ist. Kanzleien (juristische Personen oder Personengesellschaften) können daher nicht zum Verwalter bestellt werden.
BGH v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12 = NJW 2013, 3374. Geschäftskunde erfordert solide betriebswirtschaftliche und (insolvenz-)rechtliche Kenntnisse sowie praktische Erfahrungen.Foerste Insolvenzrecht Rn. 48a; FK-InsO/Jahntz § 56 Rn. 12 f. Das Erfordernis der Unabhängigkeit soll die nötige Distanz zum Schuldner sowie zu den Gläubigern gewährleisten. Sie ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Kandidat vom Schuldner oder einem Gläubiger vorgeschlagen wird (§ 56 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 InsO). Auch eine allgemeine Beratung zum Ablauf und den Folgen einer Insolvenz belässt dem Verwalter die Unabhängigkeit (§ 56 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 InsO). Zum Wackelkandidaten wird er aber dann, wenn er den Schuldner in der Krise beratend begleitet hat (als Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt).190
Da die Auswahlentscheidung bei Unternehmensinsolvenzen äußerst schnell getroffen werden muss (innerhalb von Stunden), kommt eine Stellenausschreibung schon aus Zeitgründen nicht in Betracht. Dennoch gibt es einen „Auswahltopf“. Die Insolvenzgerichte führen über die zur Amtsübernahme bereiten Personen sog. Vorauswahl-Listen. Die Listen müssen nach Vorgabe des BVerfG für neue geeignete Bewerber offen sein (kein closed shop). Zudem muss das Gericht konkrete (transparente) Kriterien für die Feststellung der Eignung festlegen, um die Chancengleichheit der Bewerber zu gewährleisten.
BVerfG v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613, 2616. In der Praxis sind die Kriterien durchaus unterschiedlich. Manche Gerichte bestellen vornehmlich Rechtsanwälte,Reischl Insolvenzrecht Rn. 215, 217. wobei zum Teil der Erwerb des Fachanwaltstitels für Insolvenzrecht, eine Zertifizierung der Kanzlei sowie eine gewisse Ortsnähe erwartet wird. 2014 gab es bereits 1525 Fachanwälte/Fachanwältinnen für Insolvenzrecht.Gottwald/Gottwald Insolvenzrechts-Handbuch § 1 Rn. 51. Andere Gerichte beauftragen auch Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater oder Sanierungsberater als Insolvenzverwalter.Paulus Insolvenzrecht § 2 Rn. 56; FA-InsR/Bruder Kap. 2 Rn. 6. Im Ergebnis bleibt es den 182 Insolvenzgerichten in Deutschland überlassen, ihre jeweiligen Qualitätsanforderungen individuell festzulegen (weites Auswahlermessen).Vgl. auch BVerfG v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613, 2614. Wer nicht auf die Liste kommt, kann das gerichtlich überprüfen lassen (§ 23 EGGVG).BVerfG v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NJW 2004, 2725, 2727 f. Dagegen ist die Bestellung einer bestimmten Person zum Verwalter unanfechtbar (§ 6 InsO). Insbesondere gibt es keinen Anspruch auf Beststellung „des Besten“ (keine Konkurrentenklage wie im Beamtenrecht). Daher wird ein erstmals bestellter Verwalter das Beste tun, um die Gutachtenaufträge und Wünsche des Gerichts nach Sachstandsberichten schnellstmöglich zu erfüllen. Nur dann besteht für ihn die Chance, weiterhin lukrative Verfahren zu erhalten.191
Bei der Personalauswahl hat letztendlich die Gläubigerversammlung das letzte Wort. Sie kann in der ersten Gläubigerversammlung (§ 57 S. 1 InsO) den vom Gericht eingesetzten Verwalter wieder abwählen und einen ihr genehmen Verwalter bestimmen. Da in diesem besonderen Fall allerdings für die Beschlussfassung eine Summen- und Kopfmehrheit erforderlich ist (§ 57 S. 2 InsO), hat dieses Ereignis in der Praxis Seltenheitswert. In 99 % der Verfahren wird der vorläufige Insolvenzverwalter daher zum (endgültigen) Insolvenzverwalter.
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Expertentipp
An dieser Stelle spielt der vorläufige Gläubigerausschuss eine große Rolle.
Das ESUG 2012 hat die Personalhoheit der Gerichte in Bezug auf die Person des (vorläufigen) Insolvenzverwalters erstmalig eingeschränkt! Existiert ein vorläufiger Gläubigerausschuss (§§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a, 22a InsO), ist dieser zwingend an der Personalauswahl zu beteiligen (näher Rn. 210). Nach § 56a Abs. 1 InsO muss er zu den Anforderungen und zur Person des vorläufigen Insolvenzverwalters angehört werden. Ein Clou ist in § 56a Abs. 2 InsO enthalten. Schlägt der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig eine bestimmte Person als Verwalter vor, muss das Gericht diesen bestellen, es sei denn, er ist ungeeignet. Damit haben es die Mitglieder des Gläubigerausschusses in der Hand, die Person in Stellung zu bringen, die aus ihrer Sicht das Insolvenzverfahren am besten (für sie) managt. Das ist auch das erklärte Ziel dieser ESUG-Neuerung. Den Gläubigern soll frühzeitig mehr Einfluss auf das Verfahren eingeräumt werden.
Braun/Blümle InsO § 56a Rn. 4. Manchen Gerichten ist diese Neuregelung suspekt. Da die Gerichte über die Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses entscheiden, werden teils Gegenstrategien entwickelt. So kann durch die Aufnahme „kritischer Gläubiger“ die Einstimmigkeit verhindert werden. Zudem gibt es kein Rechtsmittel, wenn der vorgeschlagene Insolvenzverwalter nicht bestellt wird (in § 56a InsO ist die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde extra nicht aufgenommen worden).Krüger Insolvenzrecht S. 47. Im Fall des Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) ist die Bestimmung des Verwalters den Insolvenzgerichten vollends entzogen; hier entscheidet allein der Schuldner (§ 270b Abs. 2 S. 2 InsO), wer ihn im Verfahren begleitet.b) Aufgaben des (starken) vorläufigen Insolvenzverwalters
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Je nach individueller Ausrichtung der Befugnisse hat der vorläufige Verwalter ein breites Spektrum an Aufgaben zu erledigen. Das Eröffnungsverfahren stellt die turbulenteste Phase im Insolvenzverfahren dar und fordert dem Verwalter häufig Nacht- und Wochenendschichten ab. In § 22 Abs. 1 InsO ist lediglich die Rechtsstellung des starken vorläufigen Verwalters näher beschrieben. Für den schwachen Verwalter ist in § 22 Abs. 2 S. 1 InsO geregelt, dass das Gericht seine Pflichten und Aufgaben im Einzelnen festlegen muss (Rn. 186). Diese dürfen nicht über diejenigen eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters hinausgehen (§ 22 Abs. 2 S. 2 InsO). Im Folgenden werden die Aufgaben des starken vorläufigen Verwalters erläutert.
aa) Allgemeine Befugnisse
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Primär ist der starke vorläufige Verwalter verpflichtet, das (noch) vorhandene Vermögen zu sichern und zusammenzuhalten (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 InsO). Er hat daher die Insolvenzmasse in Besitz zu nehmen, notfalls Lagerräume zu versiegeln, Schlösser auszuwechseln oder eine Bewachung zu organisieren.
FA-InsR/Bruder Kap. 2 Rn. 96; HK-InsO/Kirchhof § 22 Rn. 11. Stets darf der vorläufige Verwalter die Geschäftsräume des Schuldners betreten, dort Nachforschungen anstellen und Geschäftsunterlagen einsehen (§ 22 Abs. 3 S. 1, 2 InsO). Vom Schuldner kann er jederzeit Auskunft verlangen (§ 22 Abs. 3 S. 3 InsO). Aufgrund seiner Verfügungsbefugnis ist der starke Verwalter zum Ausspruch von Kündigungen berechtigt. Prozesse des Schuldners werden unterbrochen (§ 240 S. 2 ZPO), wenn ein starker Verwalter bestellt ist.bb) Betriebsfortführung
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Gehört zur Masse ein Unternehmen, muss es der starke vorläufige Insolvenzverwalter fortführen (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO). Eine Stilllegung ist nur mit Zustimmung des Gerichts möglich, sofern die Masse durch die Fortführung erheblich gemindert wird. Eine Veräußerung des Betriebs ist ihm in dieser Phase grundsätzlich nicht erlaubt.
Gottwald/Vuia Insolvenzrechts-Handbuch § 14 Rn. 71. Für den schwachen Verwalter gibt es kein explizites Fortführungsgebot. Aber auch er wird den Schuldner in der Betriebsfortführung aktiv unterstützen.Braun/Böhm InsO § 22 Rn. 26 f. Dies ist im Normalfall die vernünftigste wirtschaftliche Entscheidung. Denn Unternehmen mit laufender Produktion und beheizten Räumen sind im Regelfall mehr wert als leerstehende Gebäude. Zudem bleibt die Chance erhalten, dass ein Investor das Unternehmen übernimmt. Die Fortführung kann außerdem zur Prüfung von Sanierungsmöglichkeiten genutzt werden (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 InsO). Damit bleiben der Gläubigerversammlung im eröffneten Verfahren noch alle Optionen offen, was mit dem Unternehmen passieren soll (Liquidation, Ausproduktion, übertragende Sanierung). Kurz gesagt: Fortgeführt wird immer, wenn es geht. In der Praxis ist allerdings die Mehrheit der Betriebe (ca. 70 % bis 80 %) beim Eröffnungsantrag bereits eingestellt.FA-InsR/Bruder Kap. 2 Rn. 104. Um eine Betriebsfortführung erfolgreich zu managen, sollten moderne (vorläufige) Insolvenzverwalter nicht nur über rechtliche, sondern stets auch über betriebswirtschaftliche und kommunikative Kenntnisse verfügen. Die hierfür erforderlichen Handlungen (z.B. Bestellung von Waren, Beruhigung der Mitarbeiter, Wiederbeziehung von Strom etc.) lassen sich schwer gesetzlich fixieren. Die Verwalterpersönlichkeit entscheidet häufig darüber, ob ein Betrieb im Insolvenzverfahren erfolgreich weiter geführt werden kann. Nicht selten geben vorläufige Verwalter persönliche Garantien gegenüber Lieferanten ab, um die Weiterbelieferung sicherzustellen.Zu möglichen Formulierungen FA-InsR/Bruder Kap. 2 Rn. 111. Etwaige Folge ist die persönliche Haftung des Verwalters (aus c.i.c.).cc) Insolvenzgeld
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Expertentipp
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Ein Problem bei der Betriebsfortführung ist das fehlende Geld. Im Zeitpunkt des Eröffnungsantrags ist zumeist kein Bargeld mehr vorhanden und das Konto ist regelmäßig am Limit. Ohne Gegenleistung lassen sich aber weder Lieferanten noch Arbeitnehmer dazu überreden, Leistungen zu erbringen. Häufig wird daher bereits im Eröffnungsverfahren ein Massekredit aufgenommen, um „den Laden am Laufen zu halten“. Für die Arbeitnehmer gibt es ein eigenes „Zaubermittel“, das sog. Insolvenzgeld. Es ist in §§ 165 bis 172 SGB III geregelt.
Beispiel
Der vorläufige Insolvenzverwalter will den Betrieb der MyTV GmbH während des Eröffnungsverfahrens weiter führen. Dabei möchte er das Instrument des Insolvenzgeldes nutzen, um die 660 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu bezahlen. Unter welchen Voraussetzungen ist die Gewährung von Insolvenzgeld möglich? Warum dauert das Eröffnungsverfahren typischerweise drei Monate?
Kommt es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens (oder Abweisung mangels Masse), bezahlt die Bundesagentur für Arbeit die Lohnrückstände der Arbeitnehmer aus den letzten drei Monaten (§ 165 Abs. 1 SGB III). Da Auszahlungsanlass erst der Eintritt des Insolvenzereignisses ist, müsste ein Insolvenzverwalter die Arbeitnehmer im Eröffnungsverfahren bitten, die nächsten drei Monate (umsonst) weiterzuarbeiten mit dem Versprechen, dass sie am Stichtag der Verfahrenseröffnung (bzw. Abweisung mangels Masse) ihr Insolvenzgeld von der Bundesagentur erhalten.
Beispiel
Am 2.1.2105 beantragt die MyTV GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Wird am 2.4.2015 dann das Verfahren tatsächlich eröffnet, bekommen die 660 Arbeitnehmer der GmbH „auf einen Schlag“ die offenen Gehälter für Januar, Februar und März 2015. Da die Arbeitnehmer aber in diesen drei Monaten fixe Ausgaben haben (Miete, Essen, Handykosten), ist diese SGB III-Lösung nicht ganz ideal.
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Daher haben kreative Insolvenzverwalter eine Lösung erarbeitet und die „Insolvenzgeldvorfinanzierung“ (§ 170 Abs. 4 SGB III) erfunden. Die Vorfinanzierung geschieht derart, dass eine Bank den 660 Arbeitnehmern den (künftigen) Anspruch auf Insolvenzgeld abkauft (Forderungskauf) und sich abtreten lässt (§ 398 BGB).
FK-InsR/Mues Anhang zu § 113 Rn. 48; Uhlenbruck/Ries/Zobel InsO § 22 Rn. 178 ff. Die erforderliche Organisation übernimmt der vorläufige Verwalter. Dieser teilt an alle 660 Arbeitnehmer die entsprechenden vorgefertigten Vertragserklärungen aus, sammelt diese nach Unterzeichnung wieder ein und gibt sie an die Bank weiter. Mit der Gegenzeichnung durch die Bank ist die Vorfinanzierung perfekt. Die 660 Arbeitnehmer erhalten ihren jeweiligen Nettolohn für drei Monate (= Kaufpreis) von der Bank. Die Bank wiederum erhält den abgetretenen Anspruch auf Insolvenzgeld gegen die Bundesagentur (diesen kann die Bank dann ab 2.4.2015 geltend machen). Anfallende Zins- und Sachbearbeitungskosten werden aus der Masse beglichen.Bork/Hölzle/Flören Handbuch Insolvenzrecht Kap. 4 Rn. 92. Mit dem Insolvenzgeld lassen sich Betriebsfortführungen in der Eröffnungsphase finanziell meistern. Nicht nur die Mitarbeiter sind zufrieden, sondern auch der Insolvenzverwalter, da er das Unternehmen in der Eröffnungsphase für drei ganze Monate ohne Personalkosten fortführen kann (ärgert die Konkurrenz). Um einen Missbrauch zu verhindern, hat der Gesetzgeber eine Hürde eingebaut. Danach darf das Insolvenzgeld nur vorfinanziert werden, wenn die zuständige Agentur für Arbeit ihre Zustimmung erteilt (§ 170 Abs. 4 SGB III). Dies setzt voraus, dass eine ernsthafte Sanierungschance für das Unternehmen besteht und ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten werden kann. Ist die Prognose gut, wird die Bundesagentur ihre Zustimmung erteilen.Zum Ermessen FK-InsO/Mues Anhang zu § 113 Rn. 52 f. Zahlt sie das Insolvenzgeld dann aus, gehen die ursprünglichen Lohnansprüche der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber (für diese drei Monate) auf die Bundesagentur über (§ 169 SGB III). Die übergegangenen Ansprüche sind aber keine Masseforderungen, sondern einfache Insolvenzforderungen (§ 55 Abs. 3 S. 1 InsO), auch im Fall eines starken vorläufigen Verwalters.dd) Prüfung der Kostendeckung
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Eine wichtige Aufgabe des vorläufigen Verwalters ist die Prüfung der Kostendeckung (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 InsO). Er muss untersuchen, ob das Vermögen des Schuldners (im Fall der Verwertung) die voraussichtlichen Kosten des gesamten Insolvenzverfahrens decken wird.
BGH v. 17.6.2003 – IX ZB 476/02 = NZI 2004, 30, 31. Von dem Ergebnis in seinem Gutachten hängt letztlich die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab.ee) Gutachterauftrag
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Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung sind rechtliche Begriffe. Jedoch bedarf es betriebswirtschaftlicher Kenntnisse (Liquiditätsrechnung, Überschuldungsbilanz), um deren Eintritt definitiv festzustellen. Dazu wird sich das Insolvenzgericht der Hilfe von Sachverständigen (§ 5 InsO) bedienen. Häufig wird der vorläufige Insolvenzverwalter zugleich als Sachverständiger beauftragt, in seinem Gutachten zu der Frage, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt (§ 16 InsO), ob das Gericht örtlich zuständig ist oder ob es Chancen für eine Unternehmensfortführung gibt, Stellung zu nehmen.
FA-InsR/Bruder Kap. 2 Rn. 157; HK-InsO/Kirchhof § 22 Rn. 36 f. Liegt ein solcher Gutachterauftrag vor, wird der vorläufige Verwalter (zusätzlich) vom Gericht vergütet (§ 11 Abs. 4 InsVV mit § 9 Abs. 2 JVEG). Um die genannten Fragen zu klären, wird der Gutachter Gespräche mit den Leitungsorganen des Schuldners führen sowie sämtliche relevanten Geschäftsunterlagen (Jahresabschlüsse, Gewinn- und Verlustrechnung etc.) sichten.Haarmeyer/Frind Insolvenzrecht Rn. 81. In der Praxis wird der Gutachter häufig darüber hinaus beauftragt, zu klären, zu welchem Zeitpunkt genau die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung eingetreten ist.Bork/Hölzle/Hölzle Handbuch Insolvenzrecht Kap. 2 Rn. 31. Die Literatur befürwortet dieses Vorgehen. So könne frühzeitig geklärt werden, ob Haftungsansprüche gegen Leitungsorgane und Gesellschafter sowie Anfechtungsansprüche in Betracht kommen. Die Erfahrung lehre, dass Kapitalgesellschaften stets viel zu spät (statistisch in der Regel ein Jahr nach dem Eintritt der materiellen Insolvenz) den Eröffnungsantrag stellen.Haarmeyer/Frind Insolvenzrecht Rn. 83. Diese Ansicht ist abzulehnen. Die Fragen einer zu späten Antragstellung sind in einem etwaigen Strafverfahren oder in einem etwaigen Zivilprozess zu klären.c) Haftung
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Nach § 60 Abs. 1 InsO (i.V.m. § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 InsO) ist der vorläufige Verwalter den Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft gegen seine insolvenzrechtlichen Pflichten verstößt. Das Verschulden seiner eigenen Mitarbeiter muss er sich nach § 278 BGB zurechnen lassen. Für die im Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter trifft ihn nur ein Überwachungsverschulden (§ 60 Abs. 2 InsO). Darf der Verwalter Masseschulden begründen, haftet er hierfür verschärft (§ 61 InsO). Da die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ein besonderes Risiko mit sich bringt, werden vereinzelt Haftungsbeschränkungen diskutiert.
Überblick bei MüKo-InsO/Haarmeyer § 22 Rn. 121 ff. Eine Haftpflichtversicherung ist durchaus empfehlenswert.Foerste Insolvenzrecht Rn. 55.