Inhaltsverzeichnis
II. Verfahrensgrundsätze, Verfahrensweise und Rechtsbehelfe
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Für den Schuldner ist es wichtig zu wissen, dass im Insolvenzrecht andere Verfahrensgrundsätze gelten als im normalen Zivilprozess. Mit Zugang des Eröffnungsantrags wird die gerichtliche Maschinerie in Gang gesetzt. Der Schuldner hat nur noch bedingt Einfluss auf das Verfahren (er kann lediglich seinen Eröffnungsantrag wieder zurücknehmen). Bevor die einzelnen Maßnahmen des Gerichts zur Sicherung des Schuldnervermögens vorgestellt werden, sollen zunächst zum besseren Verständnis die Verfahrensgrundsätze im Insolvenzverfahren aufgezeigt werden.
1. Verfahrensgrundsätze
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Das Insolvenzverfahren ist ein Mix aus streitiger und freiwilliger Gerichtsbarkeit.
Zimmermann Insolvenzrecht Rn. 12; Foerste Insolvenzrecht Rn. 40. Daher geht es bei den Verfahrensgrundsätzen sowie den Verfahrensweisen etwas bunter zu. Grundsätzlich gelten die ZPO-Vorschriften analog (§ 4 InsO). Anwendung findet der Dispositionsgrundsatz. Das Gericht darf nur „loslegen“, wenn ein Antrag vorliegt (z.B. Eröffnungsantrag, Antrag auf Restschuldbefreiung, Antrag auf Eigenverwaltung). Auch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) muss der Insolvenzrichter beachten. Eine wichtige Abweichung von den ZPO-Bestimmungen gilt für den Verhandlungsgrundsatz. Das Gericht ist nach § 5 InsO weitgehend zur Amtsermittlung verpflichtet. So prüft es von Amts wegen, ob tatsächlich ein Insolvenzgrund vorliegt (§ 16 InsO) und schaltet notfalls einen Sachverständigen (Gutachter) ein. Auch Beweise erhebt das Gericht aus eigener Initiative, indem es Zeugen anhört, amtliche Auskünfte von Behörden oder schriftliche oder mündliche Gutachten von Sachverständigen einholt (§ 5 Abs. 1 S. 2 InsO).Foerste Insolvenzrecht Rn. 126. Der Grundsatz der Mündlichkeit spielt eine untergeordnete Rolle. Bei überschaubaren Vermögensverhältnisse ist das gesamte Verfahren schriftlich durchzuführen (§ 5 Abs. 2 S. 1 InsO). Auch ansonsten ist eine mündliche Verhandlung im gesamten Insolvenzverfahren entbehrlich (§ 5 Abs. 3 S. 1 InsO). Die durchzuführenden Termine sind lediglich parteiöffentlich (z.B. Berichtstermin, Prüfungstermin).Bork Insolvenzrecht Rn. 56.2. Gerichtliche Entscheidungen und Rechtsbehelfe
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Da eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist, entscheidet das Gericht ausnahmslos durch Beschluss oder Verfügung, nie durch Urteil. Die Zustellungen im Insolvenzverfahren erfolgen stets von Amts wegen (§ 8 Abs. 1 S. 1 InsO). Regelmäßig wird der Insolvenzverwalter mit der Zustellung beauftragt (§ 8 Abs. 3 InsO). In zahlreichen Situationen schreibt die InsO nur noch die öffentliche Bekanntmachung vor. Diese erfolgt heute (aus Kostengründen) nach § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, 3 InsO ausschließlich über das Internet (www.insolvenzbekanntmachungen.de). Die Bekanntmachung gilt als bewirkt, wenn zwei Tage seit dem Tag der Veröffentlichung im Internet verstrichen sind (§ 9 Abs. 1 S. 3 InsO). Ist beispielsweise eine Entscheidung an einem Dienstag getroffen worden, wird sie am Donnerstag um 24 Uhr wirksam.
Foerste Insolvenzrecht Rn. 43.179
Die Einlegung von Rechtsbehelfen ist in der InsO „gedrosselt“. Die sofortige Beschwerde gegen Beschlüsse des Insolvenzgerichts ist nur eröffnet, wenn die InsO das vorsieht (§ 6 InsO i.V.m. §§ 567 ff. ZPO). Ist die Beschwerde statthaft, muss sie binnen zwei Wochen eingelegt werden (§§ 569 Abs. 1 ZPO mit § 4 InsO). Die Frist ist eine Notfrist. Sie beginnt mit der Verkündung des Beschlusses (§ 6 Abs. 1 InsO), mangels Verkündung mit der Zustellung (§ 6 Abs. 2 InsO) und mangels Zustellung mit der Veröffentlichung (§ 9 Abs. 3 InsO). Sie ist beim Ausgangsgericht (= Insolvenzgericht = Amtsgericht) einzulegen (§ 6 Abs. 1 S. 2 InsO entgegen § 569 Abs. 1 ZPO).
Braun/Baumert InsO § 6 Rn. 24. Dieses kann der Beschwerde abhelfen, also seine eigene Entscheidung abändern (§§ 572 Abs. 1 S. 1 ZPO mit § 4 InsO). Falls das Gericht das nicht tut, muss es die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht (= Landgericht) vorlegen (§§ 572 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 ZPO mit § 4 InsO). Gegen Entscheidungen des Landgerichts ist die Rechtsbeschwerde zum BGH eröffnet (§§ 4 InsO i.V.m. 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Zum BGH kommt man aber nur, wenn das Landgericht die Rechtsbeschwerde in seiner Entscheidung zugelassen hat. Eine Zulassung muss erfolgen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient (§§ 4 InsO i.V.m. 574 Abs. 2, 3 ZPO). Gegen besonders eilige Entscheidungen, die schnell umgesetzt werden müssen, gibt es keine Rechtsbeschwerde, auch wenn das Landgericht diese (fälschlicherweise) zugelassen hat.BGH v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14 = NZI 2014, 904, 905. Die Frist für die Rechtsbeschwerde beträgt einen Monat (§ 575 ZPO mit § 4 InsO). Die sofortige Beschwerde wird im Zusammenhang mit einzelnen Beschlüssen des Insolvenzgerichts nochmals näher behandelt.180
Im Insolvenzrecht ist das Recht auf Akteneinsicht äußerst wichtig, da in den Akten möglicherweise wertvolle Hinweise zu unerlaubten Handlungen der Leitungsorgane oder dem genauen Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzreife stehen. Punktuelle Einsichtsrechte finden sich in §§ 154, 175 Abs. 1 S. 2, 188 S. 2 InsO. Die effektivste Norm ist aber § 299 ZPO. Danach steht den Verfahrensbeteiligten analog § 299 Abs. 1 ZPO (mit § 4 InsO) ein Einsichtsrecht zu (Rn. 69).
3. Haftung des Insolvenzrichters
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Bei schuldhafter Pflichtverletzung des Richters tritt die Amtshaftung aus Art. 34 GG, 839 BGB ein. Das Spruchrichterprivileg findet keine Anwendung (§ 839 Abs. 2 S. 1 BGB), da das Insolvenzgericht keine Rechtsprechungstätigkeit ausübt.
Reischl Insolvenzrecht Rn. 173, 207. Diese Haftung ist für die Insolvenzrichter belastend, da gerade im Insolvenzverfahren Entscheidungen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung getroffen werden (z.B. Auswahl eines ungeeigneten Verwalters,Vgl. auch BGH v. 31.1.2008 – III ZR 161/07 = NZI 2008, 241 f. Bestätigung eines Insolvenzplans etc.).