Inhaltsverzeichnis
3. Rechnerische Überschuldung
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Die rechnerische Überschuldung wird auf Grundlage eines eigenständigen Überschuldungsstatus ermittelt.BGH NZI 2020, 167 Rn. 21; Andres/Leithaus/Leithaus InsO § 19 Rn. 9. Er ist von der Handelsbilanz zu unterscheiden, da andere Wertansätze maßgeblich und stille Reserven aufzulösen sind. In der Überschuldungsbilanz sind auf der Aktivseite alle Vermögenswerte aufzunehmen, die im Fall eines Insolvenzverfahrens „zu Geld gemacht“ werden können. Zu den Aktiva gehören die gegenständliche Vermögensgegenstände (bewegliche Sachen, Forderungen, Grundstücke, Rechte) und immaterielle Werte (Markenrechte, Patente, Firmenwert), sofern eine konkrete Verwertungschance besteht. Nach h.M. sind die Gegenstände mit Liquidationswerten (= Verwertung darf in einem planvollen Zeitraum vorgenommen werden) anzusetzen.BGH NZI 2020, 167 Rn. 21; näher Harig/Jürgens NZI 2021, 911, 912 f. Auf der Passivseite sind alle Verbindlichkeiten einzustellen, wozu auch gestundete, noch nicht fällige, gesicherte sowie nachrangige Verbindlichkeiten gehören. Streitige (ungewisse) Verbindlichkeiten sind zu passivieren, wenn ihr Bestehen hinreichend wahrscheinlich ist.Uhlenbruck/Mock InsO § 19 Rn. 163; Harig/Jürgens NZI 2021, 911, 913. Überwiegen die Passiva, ist die Gesellschaft überschuldet.
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In der Praxis werden verschiedene Instrumente zur Beseitigung der Überschuldung eingesetzt. In Betracht kommen eine harte Patronatserklärung der Muttergesellschaft,BGH NZI 2021, 872 Rn. 74; Braun/Salm-Hoogstraeten InsO § 19 Rn. 26. Forderungsverzichte der Gläubiger (§ 397 BGB) oder eine Kapitalerhöhung. Für Gesellschafterdarlehen, die als Fremdkapital grundsätzlich zu passivieren sind, gibt es eine besondere Lösung. Nach § 19 Abs. 2 S. 2 InsO muss die Verbindlichkeit im Überschuldungsstatus nach § 19 Abs. 2 S. 2 InsO nicht passiviert werden, wenn zwischen Gesellschaft und Gesellschafter ein sog. qualifizierter Rangrücktritt vereinbart wird. Die Norm des § 19 Abs. 2 S. 2 InsO ist analog auch für Nachrangvereinbarungen zwischen Gesellschaft und Gläubigern anwendbar.BGH NZI 2015, 315 Rn. 14. Bezüglich der Tiefe des Rangrücktritts ist in § 19 Abs. 2 S. 2 InsO ausdrücklich klargestellt, dass ein sog. qualifizierter Rangrücktritt (= Rang nach den Forderungen des § 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 InsO) genügt. Der BGH hat die Anforderungen an einen qualifizierten Rangrücktritt präzisiert. Zwingende Voraussetzung ist, dass sich der Rangrücktritt für die Zeit vor und nach der Insolvenzeröffnung erstreckt und dass die Forderung vor Insolvenzeröffnung nur aus freiem Vermögen beglichen werden darf.BGH NZI 2015, 315 Rn. 16 ff.