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Im Übrigen gelten die allgemeinen Regelungen zur Kündigung. Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören (§ 102 Abs. 1 BetrVG). Die Kündigung bedarf (auch bei Massenkündigungen) der Schriftform (§ 623 BGB). Sind mehr als 10 Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt, gilt das Kündigungsschutzgesetz (§ 23 Abs. 1 S. 3 KSchG). Eine Kündigung ist nur möglich, wenn die Kündigung sozial gerechtfertigt ist (§§ 1 ff. KSchG), wobei die Insolvenz als solche kein Kündigungsgrund ist (Umkehrschluss aus § 113 InsO).[5]BAG DB 2013, 1365; NZA 2007, 387, 389; Jauernig/Berger/Thole Insolvenzrecht § 19 Rn. 41. Der Insolvenzverwalter kann das Arbeitsverhältnis daher nur aus verhaltens-, personen- oder betriebsbedingten Gründen kündigen (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG), sofern es länger als sechs Monate bestanden hat (§ 1 Abs. 1 KSchG). In der Praxis überwiegen betriebsbedingte Kündigungen. Vgl. ErfK/Müller-Glögge InsO § 113 Rn. 9. Beispiel ist die Stilllegung des gesamten Flugbetriebs der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin. Vgl. BAG BeckRS 2020, 10022 Rn. 89 ff. Eine betriebsbedingte Kündigung ist nur wirksam, wenn die (Teil-)Betriebsstilllegung bereits durchgeführt wurde oder der Insolvenzverwalter zum Zeitpunkt der Kündigung den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst hat, den Betrieb endgültig stillzulegen und sein Plan bereits greifbare Formen angenommen hat. BAG BeckRS 2020, 10022 Rn. 90 f.; NZG 2016, 35 Rn. 53. Beschließt die Gläubigerversammlung entgegen einer beabsichtigten Stilllegung eine Betriebsfortführung, scheidet der Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung aus. Schmidt NZI 2021, 314, 315. Gleiches gilt, wenn der Insolvenzverwalter noch in ernsthaften Verhandlungen über eine Betriebsveräußerung steht, da es insoweit an einem endgültigen Beschluss zur Betriebsstilllegung fehlt. BAG BeckRS 2020, 10022 Rn. 91; NZG 2016, 35 Rn. 52. Ist eine Stilllegung erfolgt, wird der Betrieb aber bei laufender Kündigungsfrist von einem Dritten übernommen, besteht ein Anspruch auf Wiedereinstellung. ArbG Düsseldorf NZI 2021, 332 Rn. 47. Nach Ablauf der Kündigungsfrist ist der Anspruch ausgeschlossen.
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Sind nur einzelne Arbeitsplätze von der Betriebsschließung betroffen, ist die betriebsbedingte Kündigung nur wirksam, wenn sie auf einer korrekten Sozialauswahl beruht (§ 1 Abs. 3 KSchG). Einzubeziehen sind alle vergleichbaren Arbeitsplätze im Betrieb (nicht im Unternehmen). Bei der Auswahl sind Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung – durch eine Punktetabelle – zu gewichten. Neben dem allgemeinen Kündigungsschutz ist zudem der besondere Kündigungsschutz für Schwangere (§ 17 MuSchG), für Mütter und Väter in Elternzeit (§ 18 Abs. 1 BEEG), für schwerbehinderte Arbeitnehmer (§§ 168, 172 Abs. 3 SGB IX) sowie für Betriebsratsmitglieder (§ 15 KSchG) zu beachten. BeckOK ArbR/Plössner InsO § 113 Rn. 25. Kann der erhöhte Bestandsschutz wegen der Besonderheit in der Insolvenz (Betriebsstilllegung) nicht aufrechterhalten werden, da der Arbeitsplatz entfällt, muss die Beendigung des Arbeitsvertrags über das jeweilige Verfahren erfolgen (z.B. § 15 Abs. 4 KSchG, §§ 168, 172 Abs. 3 ff. SGB IX, § 17 Abs. 2 S. 1 MuSchG, § 18 Abs. 1 S. 4 BEEG). Bei einem schwerbehinderten Arbeitnehmer muss das Integrationsamt unter den Voraussetzungen des § 172 Abs. 3 SGB IX seine Zustimmung zur betriebsbedingten Kündigung erteilen; § 166 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX gibt dem schwerbehinderten Menschen keine Beschäftigungsgarantie. BAG NZI 2019, 818 Rn. 36 ff.