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Insolvenzrecht - b) Selbstständige Tätigkeit

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Insolvenzrecht

b) Selbstständige Tätigkeit

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Einen besonderen Fall stellt die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners dar (§ 35 Abs. 2 bis 4 InsO). Ist der Schuldner eine natürliche Person, kann der Insolvenzverwalter nach § 35 Abs. 2 S. 1 InsO die gesamte gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit des Schuldners freigeben und unwiderruflich auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verzichten. Das wird sinnvoll sein, wenn die selbstständige Tätigkeit nur verlustbringend ist, so dass das Entstehen von Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) durch die Freigabe gestoppt werden kann. Dem Schuldner wiederum wird durch die Freigabe bereits während des Insolvenzverfahrens der Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz (Art. 2 Abs. 1 GG) ermöglicht. Vgl. BGH NJW 2019, 2156 Rn. 42.

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Der Schuldner muss den Verwalter zunächst darüber informiert, ob er seine selbstständige Tätigkeit fortführen will (§ 35 Abs. 3 S. 1 InsO). Solange er Geschäfte ohne Wissen des Verwalters tätigt, werden keine Masseverbindlichkeiten begründet. BFH NZI 2020, 184 Rn. 16 ff. Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, sich zum Freigabewunsch zu erklären (§ 35 Abs. 2 S. 1 InsO). BFH NZI 2020, 184 Rn. 16. Dem Schuldner steht sogar ein (einklagbarer) Anspruch auf Abgabe der Erklärung zu (§ 35 Abs. 3 S. 2 InsO). Es gibt zwei Entscheidungsoptionen. Der Insolvenzverwalter kann entweder erklären, dass die Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit weiterhin in die Insolvenzmasse fallen (Positiverklärung) oder dass sie freigegeben werden (Negativerklärung). Die Erklärung muss unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats erfolgen. Sie ist gegenüber dem Gericht anzuzeigen (§ 35 Abs. 4 S. 1 InsO).

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Die Freigabe wird mit dem Zugang der Erklärung gegenüber dem Schuldner wirksam (ex nunc). BGH NZI 2019, 374 Rn. 23; BayOblG NZI 2022, 142 Rn. 25; BFH NZI 2020, 626 Rn. 23. Sie bewirkt, dass die pfändbaren Vermögensgegenstände des Schuldners, die zu seiner selbstständigen Tätigkeit gehören, sowie die entsprechenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf den Schuldner übergeleitet werden. BGH NZI 2019, 374 Rn. 20, 27 f.; BayOblG NZI 2022, 142 Rn. 26; Braun/Bäuerle InsO § 35 Rn. 67. Es entsteht ein insolvenzfreies Sondervermögen, das der ausschließlichen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners unterliegt. BGH NZI 2022, 118 Rn. 16; NZI 2019, 745 Rn. 44 ff.; BFH NZI 2020, 626 Rn. 24. Damit gibt es zwei getrennte Haftungsmassen. Die Einkünfte, die der Schuldner nach der Freigabe erzielt, sind nicht mehr massezugehörig (sog. Neuerwerb) und stehen nur noch den Neugläubigern zu. BGH NZI 2022, 118 Rn. 16; NZI 2019, 374 Rn. 19, 24; NJW 2019, 2156 Rn. 47; BFH NZI 2020, 626 Rn. 24. Zum Neuerwerb gehören auch Vergütungsforderungen, die der Schuldner vor Verfahrenseröffnung im Voraus an einen Dritten abgetreten hat, da § 91 InsO nach der Freigabe keine Geltung mehr hat. BGH NZI 2019, 745 Rn. 35 ff. Die Freigabe beendet das Entstehen von Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 InsO. Vertragliche Ansprüche, die aus der weitergeführten Tätigkeit resultieren, z.B. aus fortbestehenden Miet- und Arbeitsverträgen, muss der Schuldner ab Zugang der Freigabeerklärung selbst bezahlen. BGH NJW 2012, 1361, 1362 ff.; BayOblG NZI 2022, 142 Rn. 25. Dagegen bleiben die vor der Freigabe entstandenen Verbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten und die vor Freigabe erzielten Einkünfte massezugehörig. BGH NZI 2019, 374 Rn. 21, 25 ff.; NJW 2019, 2156 Rn. 46 ff.

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In § 35 Abs. 2 S. 2 InsO wird auf § 295a InsO verwiesen, der dem Schuldner Zahlungspflichten auferlegt. Danach muss der Schuldner bereits während des Insolvenzverfahrens so viel an die Masse zahlen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre (= fiktives Nettoeinkommen). Die Zahlungen sind im Kalenderjahresturnus zu leisten. Das „Gericht“, gemeint ist das Insolvenzgericht, nicht das Prozessgericht, setzt den Betrag auf Antrag des Selbstständigen fest (§ 35 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 295a Abs. 2 InsO). BeckOK InsR/Kirchner InsO § 35 Rn. 75; offengelassen BGH NZI 2022, 118 Rn. 16. § 35 Abs. 2 S. 2 InsO stellt eine echte Anspruchsgrundlage dar, so dass der Verwalter die Beträge vom Schuldner einklagen kann. BeckOK InsR/Riedel InsO § 295a Rn. 7; Piper NZI 2022, 964, 968.

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