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§ 3 Abs. 1 InsO nennt für die örtliche Zuständigkeit zwei Anknüpfungspunkte, den allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners (§ 3 Abs. 1 S. 1 InsO) und den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit (§ 3 Abs. 1 S. 2 InsO). Es handelt sich um ausschließliche Gerichtsstände. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 1 S. 2 InsO ist die örtliche Zuständigkeit vorrangig danach zu bestimmen, wo sich der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners befindet.Vgl. BayOblG NZI 2020, 560 Rn. 31; OLG Brandenburg NZI 2019, 667 Rn. 7. Im Englischen wird dieser als COMI (= centre of main interests) bezeichnet. Maßgeblich ist der Ort, an dem die Entscheidungen der Geschäftsleitung getroffen, dokumentiert und nach außen in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden.AG Hannover NZI 2019, 115; Reischl Insolvenzrecht Rn. 50. Der Mittelpunkt ist nach objektiven, für Dritte erkennbaren Kriterien zu bestimmen.BGH NJW-RR 2007, 1062, 1063. Die bloße Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen reicht hierfür nicht.BayOblG NZI 2020, 560 Rn. 33.
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Erst in zweiter Linie ist für die örtliche Zuständigkeit gem. § 3 Abs. 1 S. 1 InsO auf den allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners abzustellen. Bei juristischen Personen oder Personengesellschaften richtet sich der allgemeine Gerichtsstand nach dem Satzungssitz (§ 17 ZPO). Bei natürlichen Personen ist der Wohnsitz maßgeblich (§ 13 ZPO). Das Gericht muss seine Zuständigkeit nach § 5 InsO von Amts wegen prüfen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Anknüpfung ist der Eingang des Eröffnungsantrags bei Gericht.BGH NZI 2007, 344; BeckOK InsR/Madaus InsO § 3 Rn. 3. Sind mehrere Gerichte zuständig, etwa wenn der Schuldner eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit an verschiedenen Orten ausübt, gilt der Prioritätsgrundsatz. Das Gericht, bei dem zuerst Eröffnungsantrag gestellt wurde, schließt die anderen Gerichte aus (§ 3 Abs. 3 InsO).
Beispiel
Die MODEHAUS GmbH betreibt ihr einziges Kaufhaus in Nürnberg. Dort treffen die Geschäftsführer Gloria (G) und Serkan (S) ihre Entscheidungen. Da der COMI in Nürnberg liegt, ist örtlich ausschließlich das Insolvenzgericht Nürnberg zuständig (§ 3 Abs. 1 S. 2 InsO). Wäre der COMI nicht zweifelsfrei feststellbar, käme es auf den Satzungssitz (§ 17 ZPO) an (§ 3 Abs. 1 S. 1 InsO).
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Eine Verlegung des COMI oder des Satzungssitzes beeinflusst die örtliche Zuständigkeit. Daher ist es nicht ungewöhnlich, dass Unternehmen aus taktischen Gründen ihren Sitz vor Insolvenzeröffnung in einen anderen Gerichtsbezirk verlegen. Die Sitzverlegung (kurz) vor Insolvenzantragstellung ist nicht per se unzulässig, sondern im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit anzuerkennen.Vgl. BeckOK InsR/Madaus InsO § 3 Rn. 25 ff. Etwas Anderes muss bei rechtsmissbräuchlicher Zuständigkeitserschleichung gelten, etwa wenn die Sitzverlegung der gewerbsmäßigen Firmenbestattung dient.BayOblG NZI 2020, 560 Rn. 36; LG Bremen NZI 2021, 83 Rn. 17. Dies ist daran zu erkennen, dass die Gesellschaft am neuen Ort keine werbende Tätigkeit ausübt und ein neuer Geschäftsführer bestellt wird, der über keinerlei Unterlagen der Gesellschaft verfügt.Reischl Insolvenzrecht Rn. 52. Verlegt der Schuldner nach dem Eröffnungsantrag seinen COMI oder Satzungssitz, bleibt das angegangene Insolvenzgericht zuständig (§ 4 InsO i.V.m. § 261 ZPO).BGH BeckRS 2008, 24714 Rn. 8.