Inhaltsverzeichnis
D. Vertragsschluss durch Vertreter ohne Vertretungsmacht, § 177
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Schließt ein Vertreter den Vertrag, ohne über eine ausreichende gesetzliche Vertretungsmacht oder ausreichende Vollmacht zu verfügen und besteht auch keine Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins, so ist der Vertrag zunächst schwebend unwirksam. Die Wirksamkeit des Vertrages hängt von der Genehmigung durch den Vertretenen ab, § 177 Abs. 1.
Definition
Genehmigung
Die Genehmigung ist die nach Vornahme des Rechtsgeschäfts erklärte Zustimmung, § 184 Abs. 1.
Prüfungsschema
Wie prüft man: Wirksamkeit des Vertrages durch Genehmigung, § 177
| [Anknüpfungspunkt im Gutachten: Vertragsschluss durch Vertreter und Feststellung fehlender Vertretungsmacht] | |
I. | Genehmigung des Vertretenen? | |
| 1. | Abgabe und Zugang einer Genehmigungserklärung gem. §§ 182, 184 |
| 2. | Auslegung gem. §§ 133, 157 aus Sicht des jeweiligen Empfängers |
II. | (Keine) Unwirksamkeit wegen Aufforderung des Vertragspartners, § 177 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 | |
III. | (Keine) Unwirksamkeit wegen vorher wirksam gewordenen Widerrufs des Vertragspartners gem. § 178 | |
| 1. | Wirksame Widerrufserklärung, § 178 S. 2 |
| 2. | Widerrufsbefugnis, § 178 S. 1 |
IV. | Verweigerung der Genehmigung? | |
| 1. | Wirksame Ablehnungserklärung nach allgemeinen Regeln |
| 2. | Keine Unwirksamkeit wegen Aufforderung des Vertragspartners, § 177 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 |
V. | Fiktive Verweigerung nach § 177 Abs. 2 S. 2? |
I. Art und Wirkung der Genehmigung
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Die Genehmigung wirkt auf den Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung durch den Vertreter zurück, der Schwebezustand wird damit rückwirkend beseitigt und der Vertrag gilt als von Anfang an wirksam, § 184 Abs. 1.
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Wie die Einwilligung ist auch die Genehmigung ein einseitiges Rechtsgeschäft, das formlos (§ 182 Abs. 2) durch empfangsbedürftige Willenserklärung entweder „außen“ gegenüber dem Vertragspartner des Vertretenen oder auch nur „innen“ gegenüber dem Vertreter, § 182 Abs. 1, vorgenommen werden kann.
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Verweigert der Vertretene die Genehmigung des Geschäfts, so wird das Rechtsgeschäft endgültig unwirksam.
II. Reaktionsmöglichkeiten des Vertragspartners
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Der bis zur Genehmigung bestehende Schwebezustand kann für den Vertragspartner unbefriedigend sein. Er hat ein Interesse daran, in zumutbarer Zeit die Wirksamkeit des geschlossenen Vertrages beurteilen zu können. Das Gesetz hilft ihm mit zwei unterschiedlichen Instrumenten:
1. Aufforderung nach § 177 Abs. 2
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§ 177 Abs. 2 sieht vor, dass der Geschäftspartner den Vertretenen zur Erklärung auffordern kann, ob dieser die Genehmigung des Geschäftes erklärt oder verweigert. Diese Aufforderung hat dann zur Folge, dass die Genehmigung abweichend von § 182 Abs. 1 nur noch gegenüber dem Geschäftspartner erklärt werden kann und außerdem eine vorher dem Vertreter gegenüber erklärte Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung unwirksam wird, § 177 Abs. 2 S. 1 Hs. 2. Erklärt der gesetzliche Vertreter die Genehmigung nach der Aufforderung nicht innerhalb von zwei Wochen, so gilt seine Genehmigung als verweigert, § 177 Abs. 2 S. 2.
Beispiel
Die 20 Jahre alte Tochter T des V aus Essen will in München studieren. Derzeit hält sie sich noch auf einer Urlaubsreise in Indien auf. Ihr Vater V erfährt zufällig von einem günstigen Mietangebot des X und schließt im Namen der T den Vertrag mit X ab. Der Beginn des Mietverhältnisses ist zum 1.10. vereinbart. Die T erfährt nach ihrer Rückkehr am 5.9. von dem Vorgang und äußert gegenüber V, dass sie mit dem Vertrag einverstanden sei. Am 10.9. fragt X bei T schriftlich an, ob diese dem Vertragsschluss zustimmt. Da der T inzwischen eine günstigere Wohngelegenheit in einer WG angeboten wurde, reagiert sie nicht. Vier Wochen später verlangt der X Zahlung der Miete für den Monat Oktober.
Muss T zahlen?
Dem X könnte ein Anspruch gegen T auf Zahlung des Mietzinses aus einem mit ihr geschlossenen Mietvertrag gem. § 535 Abs. 2 zustehen.
V hatte einen Mietvertrag zum 1.10. über eine bestimmte Wohnung im Namen der T mit X geschlossen, der die Zahlung der vertraglich vereinbarten Miete durch T vorsieht.
Fraglich ist allein, ob der zwischen X und T zustande gekommene Vertrag wirksam ist und damit eine tatsächliche Zahlungspflicht der T begründet.
Der Vertrag könnte nach § 177 Abs. 1 unwirksam sein. Dies ist dann der Fall, wenn V den Vertrag ohne die erforderliche Vertretungsmacht geschlossen und T den Vertrag auch nicht wirksam genehmigt hat.
Da T gem. § 2 volljährig ist, endete die gesetzliche Vertretungsmacht ihrer Eltern nach §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1, so dass sich eine gesetzliche Vertretungsmacht des V unter keinen Umständen begründen lässt. Eine Vollmacht hatte T dem V ebenfalls nicht erteilt. Eine Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins ist nicht ersichtlich. Folglich handelte der V bei Abschluss des Mietvertrages ohne Vertretungsmacht. Allerdings hatte T dem V am 5.9. gegenüber erklärt, mit dem Vertragsschluss einverstanden zu sein. Darin liegt eine Genehmigung im Sinne des § 184 Abs. 1 zum Abschluss des Vertrages mit X, die gem. § 182 Abs. 1 auch gegenüber dem V erklärt werden konnte. Möglicherweise ist die Genehmigung der T aber nach § 177 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 unwirksam. Die Anfrage des X bei T vom 10.9. ist als Aufforderung im Sinne des § 177 Abs. 2 anzusehen. Dies hat zur Folge, dass die Genehmigung der T nur noch gegenüber dem X erklärt werden kann, nicht mehr gegenüber dem V. Nach § 177 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ist ihre vor dieser Aufforderung erteilte Genehmigung rückwirkend unwirksam. Da die T darauf innerhalb von zwei Wochen seit Zugang der Aufforderung am 10.9. nicht reagierte, ist die Genehmigung bei Ablauf des 24.9. (vgl. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2) als verweigert anzusehen, § 177 Abs. 2 S. 2 Hs. 2. Damit ist der Vertrag endgültig unwirksam. Das Zahlungsverlangen des X gegen T ist damit unbegründet.
2. Widerruf nach § 178
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In der Schwebezeit, d.h. in der Zeit bis zur Genehmigung des Geschäfts durch den Vertretenen, hat der Geschäftspartner außerdem ein Widerrufsrecht gemäß § 178 S. 1. Dieses Widerrufsrecht kann er gegenüber dem Vertretenen oder gegenüber dem Vertreter ausüben, § 178 S. 2. § 178 S. 2 macht vom Grundsatz der §§ 164 Abs. 3, 180 S. 1 eine Ausnahme. Es genügt trotz fehlender Vertretungsmacht der Zugang beim Vertreter. Ausgeschlossen ist der Widerruf des Geschäftsgegners aber im Fall der positiven Kenntnis von der fehlenden Vertretungsmacht bei Vertragsschluss, § 178 S. 1. (Grob) Fahrlässige Unkenntnis schadet ihm hingegen nicht.